Werdet wieder schmutzig

Streitkultur Talkshows sollten provokante Positionen zeigen und den Konflikt fördern
Ausgabe 34/2019
Werdet wieder schmutzig

Montage: der Freitag

Talkshows sind unter Verdacht geraten. Einst als Unterhaltungsformat eingeführt für Menschen, die anderen gerne beim Streiten zuschauen, werden sie neuerdings dafür kritisiert, politisch unliebsamen Positionen eine Bühne zu bieten. Die Talkshow war schon immer ein Schmuddelkind, es hat mehr mit Catchen als mit Boxen zu tun.

2018 eskalierte die Lage: Nachdem die ARD-Sendung Maischberger anlässlich der Verfilmung des Romans Unterwerfung von Michel Houellebecq „Islam: Wo endet die Toleranz?“ fragte, empfahl der Deutsche Kulturrat eine einjährige Talkshow-Pause im Fernsehen. Immer wieder tauchen Online-Petitionen auf, die bestimmte Shows verbieten wollen. Was ist geschehen?

Ebenso wie die Talk-Themen unterliegt auch die Art der Argumentation Konjunkturzyklen. Aktuell sind das Framing und die Moralfalle erfolgreich. Das Zauberwort des Framing wurde populär, als ein Framing-Manual der ARD publik wurde. Hierin wurden Formulierungen aufgelistet, durch die Rundfunkgebühren als segensreich erscheinen sollen. Die Aufregung war groß, da die Framing-Theorie unverhohlen zur Manipulation aufrief und dabei von einem Menschenbild ausgeht, das die Bewusstseinsstufe eines Sechsjährigen hat.

Dessen ungeachtet findet die Theorie immer mehr Anhänger, über die dann leider alle reden wie im WG-Plenum: Man antwortet nicht, sondern problematisiert die Frage. Vor allem Politiker beherrschen die Dialogvermeidung. Sie geben Antworten, nach denen niemand gefragt hat, und spulen Phrasen ab, die niemand hören will.

Soll nicht nur eine Frage, sondern ein ganzes Thema vermieden werden, hat sich die Moralfalle bewährt. Wird etwa über Clan-Kriminalität gesprochen, geht der Talk-Gast, der als Anwalt solche Clans vor Gericht verteidigt, so vor: Er lehnt den Begriff „Clan-Kriminalität“ ab. Wenn damit das Problem noch nicht erledigt ist, schiebt er eine moralische Ermahnung nach. Die speist sich meist aus folgendem Argument: Gerade die Deutschen mit ihrer Geschichte sollten des Holocaust nicht zu solchen Verallgemeinerungen greifen.

Im Normalfall wäre damit das Thema erledigt. Die Realität krimineller Strukturen, die sich in bestimmten Milieus gebildet haben, ist nicht mehr diskutierbar, wenn kein Muster darin erkannt werden darf. Und wenn ein Thema nicht öffentlich besprochen werden kann, existiert es nicht. Für den Moralfallen-Steller ist damit der Auftrag erfüllt: Er hat seine Clans erfolgreich verteidigt, indem er ihr öffentliches Erscheinen verhindert hat.

Diese beiden Techniken sind aktuell so erfolgreich darin, Konflikte durch Realitätsausschluss zu verhindern, dass die politischen Talkshows darunter leiden. Neue Konflikte entstehen interessanterweise erst dadurch, dass jemand versucht, der Moralfalle zu entkommen. Das gelingt meist nur mit einer Provokation, die eine Meinung verlangt, die nicht mit Haltungsapplaus rechnet. Früher übernahmen die Linken mit Stolz diese Rolle, heute handelt es sich oft um Vertreter der AfD.

An dieser Stelle könnte die Talkshow das Fahrwasser des konfliktbereinigten Gesprächs verlassen und endlich wieder politisch werden. Verblüffenderweise ertönen aber genau hier die Verbotsrufe und fordern, dass Rechte überhaupt nicht mehr eingeladen werden dürfen.

Will man die Talkshow als Volksschule, ist das sicher ein praktischer Rat. Begreift man sich hingegen als erwachsener Teil der Öffentlichkeit, ist das ein Offenbarungseid. Nimmt man den Kampf gegen Rechts ernst, ist es eine Bankrotterklärung, zu behaupten, man könne irrige Meinungen dadurch widerlegen, dass man ihnen den Zutritt zur Bühne verweigert.

Talkshow-Verbot und Reinheitsgebot der Gesprächsrunde sind Moralfallen. Man hängt dem Glauben an, dass etwas nicht mehr existiert, wenn man es nicht mehr sieht. Ein wenig Dialektik zeigt, wie gefährlich dieser Glaube ist. Wer ihm anhängt, überlässt jenen das Feld, die nicht zu den Guten gehören wollen. Bad Boys und Bad Girls rocken seit jeher die Show. Das Gesetz ist so alt wie das Drama. Es abzuschaffen bedeutet, den Konflikt mit seinem Unterhaltungs- und Aufklärungswert auf dem Altar der moralischen Reinheit zu opfern.

Die Talkshows stehen vor der Wahl: Sie können sich ins Reservat der konfliktbereinigten Monokultur zurückziehen, oder sie bleiben Teil des Marktplatzes, wo Politik und Chaos miteinander ringen. Die Talkshow ist im besten Fall eine Unterhaltung durch Konflikt. Der kann schmutzig, schrill oder erkenntnisreich sein, denn er ist die sinnliche Seite der Dialektik.

Bernd Stegemann ist Professor an der Berliner Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch und Dramaturg am Berliner Ensemble. 2018 erschien bei Matthes & Seitz sein Buch Die Moralfalle. Für eine Befreiung linker Politik

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