Auch Laptops beanstandet

CHEMIEWAFFENKONVENTION Jede Regierung kann Inspektoren zurückweisen, wenn sie nicht gerade in Bagdad sitzt

Ein Beschluß des UN-Sicherheitsrates vom Wochenende hat den Einfluß von UNSCOM bei der künftigen Waffenkontrolle im Irak spürbar eingeschränkt. Das dort bisher übliche Kontrollregime unterlag erkennbar anderen Regeln, als sie beispielsweise die 1997 in Kraft getretene Chemie-Waffenkonvention, der inzwischen 121 Staaten beigetreten sind, vorschreibt.

Von jeher war der Erfolg von Abrüstungsvereinbarungen eng mit der Praxis wirksamer Kontrollen verbunden. Das Problem dabei blieb stets die Abwägung zwischen dem »soviel wie nötig« und dem »so wenig wie möglich« - der Garantie von Sicherheit einerseits und dem Respekt vor Souveränität andererseits. Auch die Wirksamkeit eines Verbots chemischer Waffen steht und fällt mit der umfassenden Kontrolle darüber, ob die entsprechenden Waffenarsenale, Ausgangsmaterialien und möglichen Produktionsstätten beseitigt werden.

Zur Zeit sind wir Zeugen zweier Systeme - des Systems der UNSCOM, die im Irak als Sanktionsinstrument der UN die Beseitigung von Massenvernichtungswaffen sichern soll, und des Kontrollverfahrens der Konvention über das Verbot der Anwendung, Herstellung, Entwicklung und Lagerung von Chemiewaffen. Mit deren Inkrafttreten 1997 hat die Organisation zum Verbot chemischer Waffen (kurz: C-Waffenorganisation) ihre Arbeit aufgenommen, die inzwischen 121 Staaten vereint und über genau definierte Kontrollverfahren zu wachen hat. Dabei wird zwischen »Routinekontrollen« und »Verdachtsinspektionen« unterschieden, wobei letzteren wiederum ein strenges Reglement zugrunde liegt - das heißt, auch eine Verdachtsinspektion degradiert den betroffenen Staat nicht etwa zum seiner Souveränität beraubten Objekt allmächtiger Inspektoren.

Da sich - ähnlich wie im Irak - anfallende Kontrollen nicht nur auf vorhandene chemische Waffenarsenale, sondern ebenso auf relevante Anlagen der chemischen Industrie erstrecken, enthält die Konvention zudem detaillierte Regelungen über die genaue Deklaration von Kontrollausrüstungsgegenständen, die von den Inspektoren in ein Land eingeführt werden dürfen. Ähnliches Gewicht haben Regeln über die Vertraulichkeit von Informationen, die bei derartigen Kontrollen gewonnen werden, um einen Mißbrauch für Spionagezwecke zu verhindern. Ausdrücklich sind Sicherungen gegen »frivole« beziehungsweise mißbräuchliche Kontrollforderungen oder Kontrollen vorgesehen, die den Rahmen der Konvention sprengen würden.

Wie schwierig eine Balance zwischen diesen Aspekten sein kann, haben sowohl die ständigen Kontroversen zwischen dem Irak und der UNSCOM als auch jene Komplikationen offenbart, die bereits bei vertragsgemäßen Verifikationen in Mitgliedstaaten der Konvention aufgetreten sind. Dabei greifen letztere natürlich weit weniger in die Hoheit der Staaten ein als das im Irak übliche Prozedere. Aber auch dort gilt nicht der Grundsatz: Der Inspektor darf alles. So wäre es zum Beispiel völkerrechtswidrig, Kontrollresultate zur Veränderung des politischen Systems zu nutzen.

Inspektionen auf Verdacht
Bislang haben lediglich acht Mitgliedstaaten der C-Waffenkonvention erklärt, daß sie über entsprechende Potentiale verfügen oder verfügt haben, darunter die USA, deren Chemie-Waffenarsenal (einschließlich der Produktionsstätten) derzeit unter Kontrolle der C-Waffenorganisation vernichtet wird. Zur Zeit inventarisieren und überwachen Inspektorenteams 34 Waffenlager und 48 Produktionsanlagen von Mitgliedstaaten. In 27 Ländern ist bereits die Überprüfung von mehr als 100 Chemieunternehmen angelaufen. Dazu gesellen sich bislang mehr als 250 Routine-Inspektionen des Technischen Sekretariats der C-Waffenorganisation - mehr als 50 davon in Chemiebetrieben -, wobei es noch keine Verdachtsinspektionen gab. Die Verdachtsinspektion gilt als eine - von der Routine-Inspektion zu unterscheidende - abrupte Kontrolle vor Ort, die sich ein Objekt irgendwo auf dem gesamten Territorium eines Staates herausgreifen kann. Sie wird nur nach Anzeige eines Mitgliedstaates durchgeführt, der den begründeten Verdacht äußert, ein anderer Mitgliedstaat verletze Verpflichtungen aus der Konvention. Die wiederum schreibt besondere Verfahren vor, bevor eine solche Inspektion stattfinden kann. Auf diese Weise soll ein Mißbrauch eines einschneidenden Kontrollmechanismus von vornherein vermieden werden. Man geht davon aus, daß die Achtung der Souveränität und Würde des zu kontrollierenden Staates als wesentliche Bedingung seiner Kooperationsbereitschaft und damit der Funktionsfähigkeit des Kontrollmechanismus überhaupt zu betrachten ist.

Dabei läßt sich neuerdings bei einigen Mitgliedstaaten wie auch der C-Waffenorganisation selbst die Tendenz beobachten, die Rechtsstellung und Kompetenz der Inspektoren eng auszulegen und die kontrollierten Staaten mit »Rechten« zu versehen, die in der Konvention nicht vorgesehen sind und die Kontrolleffektivität einschränken. Es hat geradezu den Anschein, als hätte der Mißbrauch des Kontrollmechanismus im Irak die Staaten animiert, die Kontrollrechte betont restriktiv zu deuten.

Die US-Regierung, die im Irak jede mutmaßliche Verletzung von Kontrollrechten unter Umständen mit einem völkerrechtswidrigen Bombardement quittiert, hat so noch keine Durchführungsgesetze zur C-Waffenkonvention erlassen. Ein vorliegender Gesetzentwurf sieht vor, daß der Präsident eine Verdachtsinspektion verweigern kann, sollte er der Auffassung sein, daß sie eigene Sicherheitsinteressen bedroht. Dies kann darauf hinauslaufen, ein derart wichtiges Kontrollinstrument de facto auszuschalten. Des weiteren dürfen bislang Proben, die während einer Inspektion genommen wurden, US-Territorium nicht verlassen. Vermutungen über ein irakisches Arsenal an biologischen Waffen stützen sich aber gerade auf entsprechende Spuren bei ausgeführten Proben.

Bisher haben die USA keineswegs alle Betriebe deklariert, die Kontrollen unterliegen müßten, da sie zum Teil mit Stoffen arbeiten, die auch für C-Waffen verwendet werden könnten. Natürlich gibt es niemanden, der diesen Tatbestand zum Anlaß genommen hätte, wenigstens Verdachtsinspektionen zu fordern, geschweige denn mit Bomben zu drohen. Das wäre auch absurd, obgleich nach den Erfahrungen im Vietnamkrieg niemand garantieren kann, daß die US-Armee keine chemischen Waffen einsetzt, solange sie darüber verfügt.

Angst vor Spionage
Eine wichtige Voraussetzung wirksamer Kontrollen ist die Immunität der Inspektoren und deren Ausrüstung mit modernen technischen Instrumenten. Damit jedoch dieses Arsenal nicht zu kontrollfremden Zwecken eingesetzt werden kann, unterliegen die genutzten Ausrüstungsgegenstände der Aufsicht des Sekretariats der C-Waffenorganisation, werden von ihm dokumentiert und deklariert. Insofern ist Vorsorge getroffen, daß bei Kontrollen kein illegales Spionagegerät eingeschleust wird.

Obwohl das Sekretariat alle von ihm zu Kontrollzwecken zugelassenen Ausrüstungsgegenstände den Mitgliedstaaten bekannt gibt und zur Kenntnisnahme bereitstellt, sind Routineinspektionen dennoch immer wieder in Schwierigkeiten geraten, weil einzelne Staaten eine »ungerechtfertigte Informationsbeschaffung« befürchteten. So wurde zum Beispiel selbst die Benutzung von Laptops, GPS-Systemen und Sicherheitstelefonen beanstandet. Bei Inspektionen von Waffenbeständen in den USA war die Anzahl der auf ihren Inhalt zu prüfenden Munition auf drei Einheiten pro Lager beschränkt. Außerdem sahen sich Inspektoren aus »gesundheitlichen Gründen« daran gehindert, Kontrollmessungen von Containern mit Chemikalien durchzuführen. Andere Staaten widersetzten sich der Benutzung von mobilen Röntgengeräten. Selbst das Tragen normaler Dosimeter zur Anzeige radioaktiver Strahlenbelastung, das in jedem Röntgenlabor Pflicht ist, wurde verweigert. Es gab Widerstand gegen den Gebrauch verschiedener Spektrometer, die für die zerstörungsfreie Identifizierung von Chemikalien besonders wichtig sind.

Löschung aller Daten
Wohlgemerkt, all diese Behinderungen wurden nicht im Irak registriert, sondern traten bei Vor-Ort-Inspektionen in Objekten auf, die von den Staaten gemäß der Konvention deklariert wurden, weil sich dort entweder C-Waffen befanden oder mit Chemikalien gearbeitet wurde, die zu deren Produktion geeignet waren. Dabei handelte es sich stets um sogenannte Routine-Inspektionen, die zu unterstützen jeder Mitgliedstaat der Konvention verpflichtet ist. Man kann sich leicht vorstellen, welche Schwierigkeiten erst auftreten werden, wenn aufgrund der Beschwerde eines Mitgliedstaates an einem beliebigen Ort eine Verdachtsinspektion ermöglicht werden soll.

Daß nicht alle Staaten ihre C-Waffenbestände korrekt deklarieren und die Inspektoren mit offenen Armen empfangen, war zu erwarten, nicht aber der Umstand, daß die C-Waffenorganisation - insbesondere die Versammlung der Mitgliedstaaten - dem Druck einiger Regierungen nachgibt und die Rechte der Inspektoren in einer Weise einschränkend ausgelegt, wie es mit Sinn und Buchstaben der Konvention kaum zu vereinbaren ist. (*) So wird den Staaten das Recht zugestanden, Ausrüstungen abzulehnen, weil sie vom Sekretariat nicht speziell für diese Art Inspektion zugelassen wurden. Ausrüstungsgegenstände können auch dann zurückgewiesen werden, wenn die zu kontrollierenden Staaten erklären, mit deren Gebrauch nicht genügend vertraut zu sein. Ein Staat kann sogar die Löschung aller, bei einer Kontrolle gewonnenen Daten verlangen, die seiner Auffassung nach nichts mit dem Kontrollzweck zu tun haben und im Zweifel sogar Geräte mit Aufzeichnungen oder Proben konfiszieren. Wie damit das Kontrollsystem beeinträchtigt wird, liegt auf der Hand, was weltweit verheerende Folgen haben könnte - auch hinsichtlich der Verifikationssysteme für atomare und biologische Waffen, die sich an der C-Waffenkonvention orientieren.

(*) Eine Studie von Amy Smithson (erschienen im Washingtoner Henri Stimson Center) hat auf den offenkundigen Widerspruch hingewiesen, der zwischen der derzeitigen US-Politik gegenüber dem Kontrollmechanismus der C-Waffenorganisation und ihrer Haltung zu UNSCOM-Inspektionen im Irak besteht.

Unser Autor ist Professor für Völkerrecht und war von 1986 - 1991 Mitglied der UN-Völkerrechtskommission.

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