Die Schiene soll „das Verkehrsmittel des 21. Jahrhunderts werden“. Das fordern nicht nur Fridays for Future, sondern auch Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU). Eigentlich herrscht sogar quer über alle Parteigrenzen in Sonntagsreden seit Jahren Einigkeit: Klimaschutz braucht eine Mobilitätswende, und eine Mobilitätswende braucht die Bahn.
Der Haken ist nur: Passiert ist dafür – abgesehen von einigen milliardenteuren Hochgeschwindigkeitsstrecken von teilweise fragwürdigem Nutzen – wenig. Die Bahn macht immer noch bloß 8,6 Prozent im Personen- und 19 Prozent im Güterverkehr aus, während weiter fast der ganze restliche Verkehr über die Straßen und Autobahnen rollt. Und in den letzten Jahren – bis zur Coronakrise &
onakrise – hat sogar noch der vielfach subventionierte Flugverkehr den Schienenpersonenverkehr fast eingeholt.Global Player, local BummelFakt ist: Die Bahn, von der so vieles abhängt, wirkt ziellos. Mit der Bahnreform von 1994 war der Konzern Deutsche Bahn AG auf Profit getrimmt worden, noch 2008 wollte der damalige Bahnchef Mehdorn ihn mit Unterstützung fast aller Bundestagsfraktionen an die Börse bringen. Inzwi-schen herrscht jedoch Erleichterung, dass dieser Plan damals an heftigen Protesten und an der Finanzkrise gescheitert ist.Dadurch bleibt eine politische Steuerung des weiterhin staatlichen DB-Konzerns zumindest möglich. Dennoch ist völlig unklar, wohin es gehen soll. Noch immer agiert die DB als „Global Player“ in der Logistikbranche und betreibt Hunderte Subunternehmen, die mit dem eigentlichen Kerngeschäft Deutsche Bahn nicht das Geringste zu tun haben. Das mit dem Koalitionsvertrag der Groko versprochene neue Steuerungskonzept ist einfach versandet.Dabei ist der Reformbedarf im DB-Konzern unumstritten. Zu weit klafft die Lücke zwischen den tatsächlichen Leistungen und den beschworenen Zielen auseinander: eine Verdoppelung der Fahrgastzahlen bis 2030, ein Güterverkehrsanteil von deutlich über 25 Prozent und eine Umsetzung des Deutschlandtakts mit schnelleren, häufigeren Verbindungen und optimierten Umstiegen zwischen den Zügen, sodass die Bahn noch attraktiver gegenüber dem Auto und Inlandsflügen würde. Aber wie soll das gehen mit einem Konzern, der als Aktiengesellschaft einerseits auf Profit orientiert ist und andererseits gemeinwohlorientierte Ziele erfüllen soll, plus einem wachsenden „Bahn-Markt“ mit immer mehr Akteuren, die oft nicht gut zusammenarbeiten?Eigentlich bräuchte es also eine „Bahnreform 2.0“. Doch wie die aussehen soll, da hört die Einigkeit auf. Von den Noch-Regierungsparteien CDU/CSU und SPD ist wenig Konkretes zu hören, es scheint trotz der Probleme kaum Bereitschaft zur Veränderung der Strukturen zu geben. Immerhin gab Ulrich Lange, verkehrspolitischer Sprecher der Union, zu Protokoll, es sei „nicht in Stein gemeißelt, dass die Bahn eine Aktiengesellschaft sein muss.“ Die SPD sieht den Renditedruck ebenfalls kritisch.Die Grünen haben hingegen eine ganz andere Vision: Sie glauben an die Kräfte des Marktes und wollen zu diesem Zweck den Zugbetrieb vom Bahnnetz trennen. Im Wettbewerb verschiedener Eisenbahnverkehrsunternehmen à la Flixtrain würden ihrer Ansicht nach die Preise sinken und die Qualität steigen. Dabei werden sie noch von der FDP übertroffen, die den Betrieb von Bahnverbindungen zukünftig paketweise in Auktionen versteigern will – das marktradikalste Modell.Das andere Ende des Spektrums stellt die Linkspartei dar, die diesen Ideen das Konzept einer integrierten, gemeinwohlorientierten Bürgerbahn entgegenstellt. Sie argumentiert, dass die für den stärkeren Wettbewerb notwendige Trennung des Bahnbetriebs vom Schienennetz neue Schnittstellenprobleme schaffe und der Wettbewerb Kosten und Risiken erzeuge. Dabei gibt ihr nicht zuletzt die Erfahrung in der Coronapandemie recht, in der die DB als Staatskonzern die Mobilität aufrechterhalten hat, während der private Wettbewerber Flixtrain seinen Betrieb über Monate eingestellt hatte.Italo ist chic, aber kein VorbildDie unterschiedlichen Modelle für die Organisation der Bahn kann man bereits heute in anderen Ländern studieren. Lange wurde das britische Modell als Vorbild für den Wettbewerb zwischen vielen Bahngesellschaften gefeiert. Die Mehrheit der Fahrgäste war dort aber alles andere als zufrieden mit schlechter Qualität und hohen Preisen. Auch die „Williams Rail Review“ im Auftrag der Regierung bemängelte 2019 die zersplitterten Strukturen. Daher werden nun die „Great British Railways“ als staatliche Bahngesellschaft neu gegründet, die das Bahnsystem wieder zusammenführen soll. Damit wird die Privatisierung im Grunde rückgängig gemacht – außer dass die Züge teilweise wieder von Privatunternehmen gefahren werden sollen, was wohl ein Zugeständnis an die Wirtschaftsliberalen ist.Ebenfalls als Wettbewerbsvorbild gilt Italien mit dem „Italo“ als Netz privater Hochgeschwindigkeitszüge. Dies ist aber das Prinzip der Rosinenpickerei, wie es hierzulande auch Flixtrain betreibt: Auf den viel nachgefragten Strecken werden die Tickets zwar günstiger, aber die Fahrgäste können immer nur einen Anbieter nutzen, während die Bahn durch die entgangenen Einnahmen die Möglichkeit verliert, weniger frequentierte Strecken querzufinanzieren oder ein Angebot auch außerhalb der nachfragestarken Zeiten zu machen. Die Folge ist in Italien offensichtlich: Der langsamere Verkehr wird ausgedünnt, die Anbindung kleinerer Städte immer schlechter. Ähnlich erging es schon Anfang der 2000er-Jahre dem Interregio, den die DB im Zuge der Profitorientierung teilweise durch teurere ICE ersetzte, während sie die weniger lukrativen Strecken dem subventionierten Regionalverkehr überließ. Das zeigt, wie wichtig es ist, die Bahn als Netz zu betreiben und nicht einzelne Zugstrecken für sich zu optimieren.Das Gegenmodell der rein öffentlichen Bahn ist die Schweiz, wo Schienennetz und Züge als Einheit betrieben werden – unter „Systemführerschaft“ der Schweizerischen Bundesbahnen (SBB). Echten Wettbewerb gibt es hier nur im Güterverkehr. Die „Öffis“ haben dadurch eine unübertroffene Qualität mit einem dichten Netz und einem landesweit abgestimmten Taktfahrplan. Damit ist der öffentliche Verkehr eine echte Alternative zum Auto – und es ist wohl kein Zufall, dass die Schweizer Europameister im Zugfahren sind. Dass es auf dem extrem dicht befahrenen Netz dennoch kaum Verspätungen gibt, führen die Schweizer auf die enge Kooperation der sämtlich öffentlichen und gemeinwohlorientierten Verkehrsunternehmen zurück.Es spricht also vieles dafür, die Bahn auch hierzulande nicht weiter aufzuspalten, sondern stattdessen am Gemeinwohl statt an Profiten auszurichten – und sie dabei enger mit dem sonstigen öffentlichen Verkehr zu verknüpfen. Dazu braucht es politische Steuerung mit Fokus auf das Kerngeschäft: eine attraktive, zuverlässige Bahn für alle Menschen im Land – und Güter. Ständige Umstrukturierungen blockieren diesen Prozess. Wenn die Ziele wirklich erreicht werden sollen, braucht es in den nächsten Jahren viele Maßnahmen in enger Zusammenarbeit: ein Ausbau des Netzes beispielsweise, dazu die Reaktivierung vieler Regionalstrecken und Güterverladestellen, neue Verbindungen auch abseits der Metropolen und eine bessere Verknüpfung von Fern- und Regionalverkehr. Weiter müsste endlich der Deutschlandtakt umgesetzt werden, bessere europäische Verbindungen inklusive neuer Nachtzüge geschaffen, dann der Diesel durch Elektrifizierungen und Umstellung auf Akku- und Wasserstoffantrieb ersetzt werden, konsequente Barrierefreiheit eingeführt und attraktive Bahnhöfe als regionale Mobilitätszentren aufgewertet werden.All das wäre aber wohl nur möglich, wenn auch Investitionen von den Autobahnen zur Schiene verlagert würden und umweltschädliche Subventionen wie Dieselsteuer- und Dienstwagenprivileg oder die Kerosinsteuerbefreiung endlich abgeschafft würden. Dann könnte die Bahn eine echte Mobilitätsalternative für alle werden.