Bei den Verhandlungen in Brüssel im Februar dieses Jahres schien eigentlich schon alles ausgemacht: Ab 2035 sollte es EU-weit keine Neuzulassung von Autos mit Verbrennungsmotoren mehr geben. Doch kurz vor der entscheidenden Abstimmung grätschte der deutsche Verkehrsminister Volker Wissing plötzlich dazwischen und drohte via Bild-Zeitung mit einem Veto. In den anderen Ländern sorgte das für fassungsloses Kopfschütteln, aber Deutschland ist eben nicht irgendein EU-Land, sondern kann ob seiner Wirtschaftsmacht fast alles durchsetzen. So wurde schließlich Ende März beschlossen, dass auch nach 2035 noch weiter Autos mit Verbrennungsmotoren zugelassen werden dürfen – betrieben mit sogenannten E-Fuels.
Die Episode zeigt, wie eine postfaktische Pol
e postfaktische Politik im deutschen Verkehrsministerium Einzug gehalten hat. Die „Technologieoffenheit“, unter deren Titel die FDP diese synthetischen Kraftstoffe propagiert, klingt zwar gut, verschweigt aber die Absurdität dieser Technologie:E-Fuels können zwar aus erneuerbarem Strom hergestellt werden, ihre Herstellung benötigt aber rund sechsmal mehr Energie als wenn die gleiche Strecke mit einem E-Auto gefahren wird – ganz abgesehen vom öffentlichen Verkehr, der noch um ein Vielfaches energieeffizenter ist, aber ganz offensichtlich nicht im Fokus der FDP-Verkehrspolitik steht.Zudem erzeugt ihre Verbrennung die gleiche Menge an schädlichen Stickoxiden wie fossile Kraftstoffe; sie tragen also mitnichten zu saubereren Städten bei. Solche Fakten scheinen an der Spitze des Verkehrsministeriums aber nicht zu interessieren.Man muss kein Verschwörungstheoretiker sein, um hier einen Zusammenhang mit der großen Nähe zwischen der FDP und Porsche zu sehen – der einzige Autohersteller, der auf E-Fuels setzt und dessen Chef Oliver Blume sich offen rühmt, einen engen Draht zur FDP zu haben.Ein konsequenter Antriebswechsel zu E-Autos wäre noch lange keine Verkehrswende gewesen, aber noch nicht einmal er findet statt. Ähnlich sieht es neuerdings mit den Verlagerungszielen aus: Selbst unter den alles andere als ambitionierten CSU-Verkehrsministern der letzten zwölf Jahre war zumindest rhetorisch unstrittig, dass Verkehr und Transporte von der Straße und aus der Luft auf die klimafreundlicheren Verkehrsträger – allen voran die Schiene – verlagert werden müssen. Die Wissenschaft ist auch hier eindeutig:Im Personenfernverkehr benötigt die Bahn fast zehnmal weniger Energie als das Auto, im Güterverkehr schneidet sie 5,5-mal besser ab als der Lkw – mit entsprechend geringeren Klimaauswirkungen.Auch im Ampel-Koalitionsvertrag wird noch das Ziel ausgegeben, man wolle „den Schienengüterverkehr bis 2030 auf 25 Prozent steigern und die Verkehrsleistung im Personenverkehr verdoppeln“. Neuerdings heißt es dagegen aber aus dem Ministerium, ein Wachstum auf Schiene und Wasserstraßen sei „nicht entscheidend für die Erreichung der Klimaziele des Verkehrs in Deutschland“.Autobahnausbau ist das Gegenteil von KlimaschutzDiese Aussage deckt sich mit der Infrastrukturpolitik von Volker Wissing und seinem Ministerium: Während weiterhin viele Milliarden für die Erneuerung des Schienennetzes fehlen und die Umsetzung der dringend notwendigen, eigentlich bis 2030 vorgesehenen Ausbauprojekte beim jetzigen Investitionstempo bis nach 2070 dauern würde, soll nun ausgerechnet der Ausbau des Straßennetzes beschleunigt werden. Mit 148 Projekten sollen fast 1000 Kilometer neue Autobahnen und Bundesstraßen gebaut werden, womit das ohnehin sehr dichte deutsche Fernstraßennetz nochmals um 7,5 Prozent ausgedehnt würde. Dabei würden über 80 ökologisch wertvolle Naturschutzgebiete zerstört und mehrere Millionen Tonnen CO₂ verursacht.Mehr Straßen und Autobahnen bedeuten noch mehr Straßenverkehr – und damit das Gegenteil von Klimaschutz. Das Bündnis „Wald statt Asphalt“ fordert deswegen völlig zu Recht den Stopp dieser Projekte statt einer beschleunigten Umsetzung. FDP-Fraktionschef Christian Dürr träumt dagegen schon von bis zu zehnspurigen Autobahnen.Wissing rechtfertigt diese Infrastrukturpolitik mit den Verkehrsprognosen, die nun einmal mehr Straßenverkehr vorhersagten. Dabei waren diese Prognosen schon weit vor dem Trend zu mehr Homeoffice seit Corona mehr als fraglich, vor allem aber negieren sie die politische Verantwortung: Mit der Infrastrukturpolitik lässt sich die Verkehrsnachfrage gezielt steuern, was unsere Nachbarländer Österreich und Schweiz schon längst mit Blick auf den Klimaschutz tun. Ein weiter wachsender Straßenverkehr ist mit den Klimazielen schlichtweg unvereinbar.Lkw-Maut und TempolimitImmerhin gibt einen kleinen Lichtblick: In der letzten Verhandlungsrunde der Ampelkoalition ist eine deutliche Erhöhung der Lkw-Maut bekräftigt worden, und von den zusätzlichen Mitteln soll ein großer Teil in die überfällige Erneuerung des Schienennetzes fließen. Geschätzte fünf Milliarden Euro pro Jahr zusätzlich würden zwar noch nicht die gesamte Unterfinanzierung der Schiene lösen, wären aber ein Schritt in die richtige Richtung. Allerdings stehen in der Koalitionsvereinbarung keine belastbaren Zahlen dazu, und so wird erst mit der schon jetzt umstrittenen Aufstellung des Haushalts für 2024 die Stunde der Wahrheit kommen, ob dieser Plan auch wirklich so umgesetzt wird oder Finanzminister Lindner das Geld doch wieder anders verplant.Mit einer ganz einfachen Maßnahme ließen sich hingegen nicht nur mit einem Handstreich 6,7 Millionen Tonnen CO₂-Ausstoß jährlich einsparen, dabei gleichzeitig die Kapazitäten der Autobahnen ohne ein einziges Stück Beton erheblich steigern, zahlreiche Unfälle mit Toten und Verletzten vermeiden – und dazu noch ein wirtschaftlicher Nutzen von mindestens 950 Millionen Euro pro Jahr erzeugen: Ein generelles Tempolimit auf den Autobahnen, wie es all unsere Nachbarländer bereits haben. Aber ausgerechnet gegen diese einfache und wirksame Maßnahme sperrt sich die FDP vehement – wiederum entgegen aller wissenschaftlichen Erkenntnisse und letztlich sogar entgegen der wirtschaftlichen Vernunft, die die Partei doch sonst immer so gerne in den Mittelpunkt stellt.Dass sich mit einer solchen Politik die Klimaziele des Verkehrssektors nicht erreichen lassen, ist offensichtlich. Die Treibhausgasemissionen im Verkehr überschritten 2022 erneut deutlich die Grenzwerte, und das Minderungsziel für 2030 rückt in immer weitere Ferne. Der Expertenrat für Klimafragen mahnt zügige Maßnahmen an. Besonders für den Verkehrssektor muss jetzt ein wirksames Klima-Sofortprogramm her, um gegen die wiederholte Überschreitung zu steuern. Aber auch hier macht sich Volker Wissing stattdessen die Welt, wie sie ihm gefällt: Wenn der Verkehr sein Sektorenziel nicht erreichen kann, müsse man eben das Ziel aufgeben.Klimaschutzgesetz wird zur FarceDamit ignoriert Wissing, dass er nach dem Bundesklimaschutzgesetzt zu einem solchen Sofortprogramm verpflichtet ist. Im letzten Jahr hatte er sich immerhin noch an einem solchen Programm versucht; dieses hatte der Expertenrat aber schon bei der Vorprüfung zurückgewiesen, weil es die Minderungsziele nicht einmal annähernd erreichte. Nun spekuliert Wissing stattdessen auf ein neues Bundesklimaschutzgesetz, das die Sektorenziele aufgeben würde – auch wenn das schon alleine deswegen unrealistisch ist, weil auch die anderen Sektoren ihre Ziele nur knapp erreichen oder im Falle des Gebäudesektors sogar ebenfalls deutlich verfehlen. Nun lässt sich wohl höchstens noch mit Klagen verhindern, dass das Klimaschutzgesetz endgültig zur Farce wird.Warum spielen die Grünen als selbsterklärte Klimaschutzpartei dieses wahrhaft schmutzige Spiel immer weiter mit? In den Koalitionsverhandlungen im Herbst 2021 waren alle lange davon ausgegangen, dass sie das Verkehrsministerium für sich beanspruchen würden – womit sie die Chance gehabt hätten, endlich den Vorwärtsgang für die Verkehrswende einzulegen. Offensichtlich war es ihnen in den Verhandlungen aber wichtiger, hochkarätige Ministerien für ihre beiden Spitzen Baerbock und Habeck zu bekommen. So ist bei der Verkehrspolitik nun nicht mehr nur Stillstand angesagt, sondern es geht immer schneller im Rückwärtsgang.