Nicht erst der Brexit machte deutlich, wie gleichgeschaltet die britische Presse ist. Mit Ausnahme weniger Meinungsblätter wie dem Guardian liegen die meisten Zeitungen auch umweltpolitisch schon immer auf der Linie der Medienzare, die sie zu Monopolen zusammengekauft haben. Im Wahlkampf spielte Umweltpolitik keine Rolle. Tony Blairs Beschwörung der Klimakrise klingt heute wie ein schwaches Echo aus längst vergangener Zeit. So schwillt manchem Deutschen die Brust ob der vermeintlichen nationalen Überlegenheit in der Umweltpolitik. Doch das ist nicht dialektisch genug gedacht. Die Abwesenheit des Themas in der britischen Politik hat nämlich zur Radikalisierung der dortigen Umweltbewegung geführt. Während deutsche Grüne in der Illusionsblase grüne
e grüner Wachstumswirtschaft intellektuell erschlaffen, hat sich die politisch machtlose britische Umweltbewegung von den Greens bis zur Extinction Rebellion zur geistigen Kraft entwickelt.Einer ihrer schärfsten und bissigsten Denker ist der Philosophiedozent Rupert Read aus Norwich. Für ihn ist „die Fantasie vom ‚grünen Wachstum‘ “ der Sündenfall der Umweltbewegung – ein Glauben an den Prometheus Technik und die Überwindbarkeit natürlicher Grenzen. Diese Mär habe bei der Bewältigung der dringlichsten Probleme – Erderhitzung und Artenvernichtung – wertvolle Zeit gekostet.Vergeblich auf Technik hoffenIm Austausch mit dem australischen Umweltökonomen Samuel Alexander entwirft Read nun eine Analyse unserer Komplizenschaft mit dem neuen „Empire“ aus Wachstumsideologie und Ressourcenausbeutung. Ihnen geht es darum, die ökologische Krise als „globalen Notstand“ und „existenzielle Bedrohung“ bewusst zu machen. Sie brandmarken die Selbstgefälligkeit des politischen Duckmäusertums gerade der Milieus, die sich für liberal und fortschrittlich halten. Drei Zukunftsszenarien ergäben sich aus der Sackgasse des wachstumsfixierten Industrialismus: (1) wir erleiden einen systemischen Kollaps; (2) wir legen den Keim für eine nachhaltige „Nachfolge-Zivilisation“; (3) uns gelingt es, durch systemische Transformationen den Kollaps abzuwenden. Selbst im letzten Fall, den Read und Alexander nicht mehr für möglich halten, wäre unsere Gesellschaft danach nicht wiederzuerkennen. Die Probleme und ihre Folgen seien so offensichtlich, dass sie in der Kommunikationstheorie als „weiße Schwäne“ bezeichnet werden – Zukunftsphänomene, deren unbestreitbare Erwartbarkeit uns die Sicht auf ihre Bedrohlichkeit verstellt.Ein Grund dafür, dass wir nur die weißen Schwäne und nicht den rabenschwarzen Abgrund sehen, hat mit unserer techno-optimistischen Selbstkonditionierung zu tun: Unsere Einbildungskraft ist von einem schamanisch anmutenden Glauben an technische Lösungen durchwirkt. Dieser Glaube führe zu einer ständigen Komplexitätssteigerung und damit zu einer wachsenden Abhängigkeit von immer homogeneren Systemen, deren Ausfall sofort zur sozio-ökonomischen Kernschmelze führen würde. Die totale Abhängigkeit der Lieferketten in der Lebensmittel-Grundversorgung vom Internet ist eine solche Achillesferse: die Unterbrechung des Internets, sei es durch Cyberterrorismus oder Sonneneruptionen, würde zu Versorgungszusammenbrüchen und Anarchie führen. Die Diskussionspartner plädieren für wirtschaftliche Entflechtung, Bioregionalismus, langfristige Rückführung von Industrielandschaft in Wildgebiete und eine „Philosophie der Genügsamkeit“. Sie denken die ökologische Frage immer zusammen mit der sozialen, daher auch ihre bedenkenswerten Einsichten zur Soziologie der heutigen Arbeitswelt und zur Psychopathologie der Verdrängung unserer Sterblichkeit. Diese führe zu einer narzisstischen Illusion der Unverletzbarkeit, die uns den Zugang zu unseren eigenen psychischen und spirituellen Kräften des Widerstandes verbaue.Read und Alexander glauben, dass wir erst handeln können, wenn wir das Ausmaß der sich anbahnenden Katastrophe anerkennen und zur Trauer über den Verlust an Lebendigkeit auf allen Ebenen fähig werden. Die perfekte Oberfläche unserer Technologien lässt uns aber unsere Verletzlichkeit nicht spüren und verbarrikadiert den Blick auf die Schönheit des Lebens, die wir, mit gespieltem Unwissen, mutwillig zerstören, statt uns auf eine „deep adaptation“ zu konzentrieren: Praktiken und Technologien, die nach der Katastrophe den Aufbau einer Kultur der Konvivialität ermöglichen.Wohltuend erregt ist dasDer Dialog fordert radikale Umkehr im persönlichen Lebensstil und stellt zugleich die Systemfrage. Beide gegeneinander auszuspielen, sei eines der widersinnigen politischen Scheingefechte der letzten Jahrzehnte. Weder in ihrer Analyse noch in ihren politischen Forderungen sagen die beiden irgendetwas Neues. Doch die Abmischung schafft eine Atmosphäre aus heiligem Zorn und unbeugsamer Willenskraft, die etwas Zwingendes hat. Manchmal klingt ihre Zukunftsmusik ein bisschen zweckoptimistisch oder auch pastoral-anämisch. Manchmal wird die Vergangenheit der Jäger- und Sammlerkulturen und die Gegenwart alternativer Gemeinschaftsformen unnötigerweise verklärt, um Kontraste zu unserer Mainstream-Lebensform herauszuarbeiten. Und manchmal hätte man sich doch mehr philosophische Grundlagenarbeit gewünscht. Dennoch ist das Ganze mit Blick auf deutsche Konsensseligkeit eine wohltuend erregte Einlassung. Hierzulande wird ja mit urdeutscher Verkrampfung versucht, einen vermeintlich typisch deutschen Angstkomplex abzustreifen. Man möchte alles ganz „unaufgeregt“ sehen dürfen. Wie das unsere Kindeskinder nach zwei oder drei Grad Erderwärmung finden werden? Verdammt uncool.Placeholder infobox-1