Noch vor einem Jahr war Jacques Chirac in Frankreich allgemein als »Supermenteur« (Super-Lügner) bezeichnet worden. Kaum jemand hatte an seine Wiederwahl geglaubt. Heute sieht plötzlich alles ganz anders aus. Chiracs Politik in Sachen Irak stößt bei der großen Mehrheit der Franzosen auf Zustimmung. Demonstranten in London oder New York bedanken sich auf Plakaten, »Merci Chirac!« - und während seines Staatsbesuches in Algerien nahm der Präsident ein Bad in der Menge nach dem anderen, begleitet von Sprechchören wie »Vive Chirac, vive l´Irak!« und »Veto, veto!«.
Hauptgrund für den Erfolgszug des ansonsten als Polit-Opportunisten verschrieenen Präsidenten war sein Nein zum US-Krieg im Irak. Dabei an sakrosankten Friedenswillen oder allein humanistische Motive zu glauben, besteht jedoch kein Anlass.
Worum geht es also? Bis in die achtziger Jahren hinein war Frankreich einer der wichtigsten Lieferanten Bagdads, besonders bei konventionellen Waffen, während man bei der Hochtechnologie und den Komponenten für B- und C-Waffen diesen Spitzenplatz mit Westdeutschland und den USA teilen musste. An den exzellenten Beziehungen von einst möchte Paris jetzt anknüpfen und mehr Präsenz im Nachkriegs-Irak zeigen, als die Bush-Regierung zugestehen will.
Die spezifische Position der Franzosen gegenüber Bagdad lässt sich auf die Gemengelage Anfang der siebziger Jahre zurückführen. Der Algerien-Krieg (1954 -1962) und die Suez-Invasion von 1956 - der Überfall auf das Ägypten Gamal Abdel Nassers zusammen mit Großbritannien und Israel nach der Nationalisierung des Suez-Kanals - hatten Frankreich im Mittelmeerraum diplomatisch isoliert. Bis kurz vor dem Sechs-Tage-Krieg im Juni 1967 lieferten französische Firmen beachtliche Mengen an Waffen und Material ausschließlich nach Israel und verstärkten damit Verdruss und Ablehnung in der arabischen Welt. Daraufhin beschloss das gaullistische Regime, das Ruder herumzureißen, und leitete das ein, was später als politique arabe des Charles de Gaulles zum Mythos wurde. Unter den Präsident George Pompidou (1969-1974) und Valéry Giscard d´Estaing (1974- 1981) gelangte diese Strategie zu voller Blüte.
Zunächst allerdings fehlte es der politique arabe an seriösen Partnern, da die Claims in der Region weitgehend abgesteckt waren. Saudi-Arabien und Iran standen unter dem Einfluss der USA. Die Briten behielten eine gewisse Kontrolle über ihre früheren Kolonien Kuwait, Bahrain und Jemen. 1970 konnte Pompidous Außenminister Michel Jobert immerhin 110 Mirage-Jäger an Libyen verkaufen - nur erschien Muammar al Gaddafi kaum als vorzeigbarer Gefährte. Dann aber wurde der Irak plötzlich zum devisenkräftigen Land, nachdem seine Einnahmen dank der Nationalisierung der ehemals britischen Erdölquellen (1971) und der Ölpreissteigerung von 1973 binnen zehn Jahren um das 50-Fache gestiegen waren. Zudem begann Bagdad, sich von der Sowjetunion abzusetzen.
So erklärte der damalige Premierminister Chirac den irakischen Vizepräsidenten Saddam Hussein anlässlich eines Besuchs in Paris am 5. September 1975 zu seinem »persönlichen Freund«. Pro-irakisch zu sein, gehörte fortan zum guten Ton am Quai d´Orsay. Auf den Riesenempfängen der irakischen Botschaft in Paris fanden sich seinerzeit ganze Heerscharen der politischen und intellektuellen Schickeria ein. Seitens der Iraker wusste man den Franzosen zu schmeicheln, Patrioten im Irak, wurde verhalten souffliert, hätten 1958 die Monarchie ja auch »nicht zufällig« an einem 14. Juli gestürzt.
Teile der französischen Sozialisten geißelten die Sonderbeziehung mit Bagdad zunächst als skrupelloses Geschäft mit einer Diktatur, doch verstummte die Kritik abrupt, als die Partei 1981 die Regierung übernahm. Kurz zuvor hatte der Krieg mit Iran begonnen. Um ideologisch zu rechtfertigen, warum die irakische Seite im damaligen Ersten Golfkrieg die bessere sei, berief sich die politische Klasse Frankreichs auf den seinerzeit noch laizistischen Anspruch der Autokratie Saddams, der sich mit der republikanisch-universalistischen Rationalität der Franzosen verbinde. Das »moderne und republikanische« Regime im Irak wurde zum Bollwerk der Zivilisation gegen die vordringenden »barbarischen Horden des iranischen Fundamentalismus« verklärt und unter den Teppich gekehrt, dass Bagdad im September 1980 den Krieg in dem Glauben begonnen hatte, ein vermeintliches »Machtvakuum« in Teheran ausnutzen zu können.
Beim Zweiten Golfkrieg 1991 wendete sich das Blatt erneut. Nachdem Präsident Mitterrand noch einige Pirouetten als »Vermittler« gedreht hatte, ließ es das internationale Kräfteverhältnis den französischen Sozialisten angeraten erscheinen, den ehemaligen Partner fallen zu lassen und sich den USA politisch wie militärisch anzuschließen. Das Engagement von 15.000 eigenen Soldaten in der US-geführten Allianz während der Operation »Wüstensturm« blieb allerdings ohne nennenswerte Resultate: Französische Firmen erhielten keinen der lukrativen Aufbauverträge für Kuwait, anders als britische oder japanische. Also bemühte man ab 1995 wieder alte Geschäftsbeziehungen zum Regime in Bagdad - dies im Dissens mit den USA, die durchsetzen wollten, dass irakisches Öl vom Weltmarkt verbannt blieb. Der Irak sollte zwar im Inneren unter Kontrolle Saddams stehen, von außen her aber »eingedämmt« sein. Die Öl-Förderverträge, die Frankreichs führender Konzern Total 1995 sowie Russlands Lukoil 1999 abschlossen, konnten deshalb nicht umgesetzt werden - sie wären erst bei einer Aufhebung des UN-Embargos in Kraft getreten. Nun aber - irgendwann nach dem Krieg - wollen Paris (und Moskau) zum Zuge kommen, unter welchem Patronat auch immer.
Gekürzte und bearbeitete Fassung eines Textes, der in iz3w, Heft Nr. 268, April/Mai 2003 (www.iz3w.org), erscheint.
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