Kaum jemand will riechen, wie er riecht. Parfüm kaschiert den Körpergeruch und ist zugleich auch Lockruf. In Drogerien, Ladenketten und Kaufhäusern führt kaum ein Weg an den Herrscherinnen über die Düfte vorbei. Sie jonglieren zwischen Distanz und Intimität.
Männer? So mit Schlips und Kragen und geputzten Schuhen etwa? Oder in eng sitzenden T-Shirts mit V-Ausschnitt und frisch gewachs tem Haar vielleicht?
Nein, Männer gibt es so gut wie nie unter den Verkäuferinnen in Parfümerien oder in den Parfümabteilungen großer Kaufhäuser und kleiner Drogerien, und wenn sie dann doch einmal auftauchen als Verkäufer, dann schlägt man sie leicht dem Wachpersonal zu, oder sie geben sich so effiminiert, als müssten sie alle, aber wirklich alle Vorurteile gegen Schwule in einem einzigen öffentlichen Auftritt ganz und gar vorspielen. Wie sie dann reden und gehen und stehen und reichen und riechen, das ist dann nur schwer erträglich. Für alle.
Parfüm, das, und der Verkauf von ist Frauensache.
Die Herstellung ist Männersache. Sie obliegt den sogenannten Nasen, den Parfümeuren, ein auch im Deutschen durchaus gängiger Begriff, der allerdings im Französischen auch in der weiblichen Form vorkommt: parfumeuse - aber das ginge hierzulande eindeutig zu weit, das schickte sich nicht, das ist nicht clean und correct schon gar nicht.
Also Frauen, nichts als Frauen.
Grob und oberflächlich lassen sich zwei Gruppen unterscheiden. Da sind jene, die in weißen Kitteln arbeiten - zumeist in Drogerien und Parfümketten - und da sind die anderen, die weniger nach Chemiefacharbeiterinnen aussehen als nach Frauen, die sich für den Tag ein feines Tuch angelegt haben, ein Kostüm vielleicht, ein Kleid, aber auf jeden Fall mit einem sehr körperbetonten Schnitt und auf jeden Fall nicht grellkreischbunt, sondern eher farblos, schwarz oder grau oder grauschwarz oder aber jenes schwer ins Schwarze changierende Dunkelblau, zu dem sich feiner Goldschmuck - überall, aber keine Kettchen am Knöchel - besonders gut macht.
Sie mit ihren abgezirkelten Kurzhaarschnitten, den präzise gezupften Augenbrauen, die vermuten lassen, dass mindestens auch das Haar unter den Achseln wegrasiert ist - Geduld, auch darüber wird zu reden sein! -, erwecken in den Parfümabteilungen der Warenhäuser den Eindruck, dass sie eher das Haus repräsentieren, dessen Parfüme und Kosmetikprodukte hier ausgestellt und feilgeboten werden, als dass sie hier so herumstehen als einfache Verkäuferinnen einer Ware.
Ihnen ist nicht anzusehen, dass auch sie eine Steuerkarte haben, gefeuert werden können wie alle anderen, die den rasch wechselnden Definitionen von Schönheit eines Tages plötzlich nicht mehr entsprechen, dass sie, wie es Kracauer genannt hat, "Zuchtwahl" sind: Blond ist hier nicht angesagt, brünett ist gerade passgerecht, vielleicht noch mit einer leichten Tönung - mahagoni beispielsweise -, damit das satte Rot der immer ein wenig größer geschminkten Münder als Verlockung der Ware noch besser wirken kann. Wer sich ihnen nähert, muss Grenzen überschreiten.
Diesen Verkäuferinnen, die den Eindruck erwecken, sie seien Teil der Ware und könnten, wenn auch gegen einen sehr hohen Preis, gleich miterstanden werden, nähert man sich dann auch nicht mit der Frage, ob sie wohl irgendwas hätten für eine nicht mehr so ganz junge, dunkelblonde, aber hochgewachsene und dennoch sehr lebenslustige Frau, die mal etwas richtig Schönes bekommen soll so bis, sagen wir mal, fünfzig Mark. Ein solches Begehren, das doch sehr nach Aldi, Abwaschmittel und Alltäglichkeit klingt, könnten sie als klassenkriegerische Avance verstehen. Bei ihnen, die so makellos durch ihr Make-up Verpuppten, ist es durch Augenschein klar, dass es eine Gnade ist, von ihnen angesprochen und dann auch noch bedient zu werden.
"Darf ich Ihnen helfen", wird vielleicht eine eher ganz en passant fragen, damit den Eindruck erwecken, man selbst sei in höchster Not, wisse es bloß noch nicht, schäme sich aber darob doch ein bisschen, und dann wird sie lauern auf die Reaktion. Gleich wie sie ausfällt, ob es ein genuscheltes: "Ja", ein flatt riges: "Eigentlich wollte ich" oder ein trotziges: "Nein" ist, nichts wird sie jetzt, nachdem sie lange genug passive Verlockung gewesen war, dann aktiv die Fährte aufgenommen, gar einen Lockruf ausgestoßen hat, davon abhalten können, in Blitzeseile von einer Statue in eine Buhlerin zu mutieren und mit einer sauber abgezirkelten Dramaturgie, mit einer fein dosierten Gestensprache und gelegentlichen weiteren Lockrufen auf den Moment hinarbeiten, wo es nur noch heißt. "Zahlen Sie mit Karte oder bar?"
Sie wird mit festem Augenkontakt zur Kundin, zum Kunden, blind einen Flakon eher touchieren, denn greifen, ihn dennoch sofort in ihren gepflegten Händen so halten, dass Name und Marke nicht zu übersehen sind. Vielleicht ist der kleine Finger - das Rot der Nägel ist das Rot der Lippen - leicht abgespreizt, nicht so exaltiert und versteift, wie er manchmal an Kaffeetassen herausgestoßen wird, eher mit jener leichten Luftigkeit, die Balletteusen und Kunstturnerinnen so perfekt beherrschen, weil sie Ring- und Mittelfinger leicht nach unten hängen lassen. Dann wird sie sagen "Wollen Sie mal probieren?" oder auch "Kennen Sie schon unseren neuen Duft?" und keine Antwort abwarten, den angebotenen Handrücken oder auch das Handgelenk als Unschicklichkeit übersehen und schon einen schmalen Papierstreifen in der Hand halten, ihn kurz mit dem Duftstoff benetzen und der Kundin oder dem Kunden so überreichen, dass sich beider Finger nicht berühren.
Dieser Moment des Schnupperns, des Anriechens ist für beide Beteiligten der Augenblick der Wahrheit. Die Schnupperlehrlinge mutieren vom Konsument zum schlecht trainierten Tester - zehn Millionen Riechzellen hat der Mensch, ein deutscher Schäferhund 190 Millionen, eine schwer geübte Nase kann 3.000 Gerüche unterscheiden, eine ungeübte gerade 30 - stehen noch dazu im öffentlichen Raum, sollen jetzt ein Urteil fällen, halten ein Stück Papier in der Hand, das irgendwie duftet, und wissen nicht, wohin sie gucken sollen. Aufs Papier? An die Decke? Auf die Verkäuferin? Auf ihre kralligen Fingernägel? Ihren lockenden Mund? Ihren offenen Blick, mit dem sie eindeutig signalisiert, dass sie sofort Zustimmung und damit Unterwerfung erwartet? Oder einfach nur auf die Ausgangstür. Selten wagt es jemand, mit geschlossenen Augen zu riechen.
Diese Hilflosigkeit wird sie erbarmungslos nutzen, um all das zu erzählen, was nicht zu riechen ist: Dass es ein leichter frischer Duft für den Abend sei, der sich auf warmer Haut besonders gut entfaltet oder dass sich hier eine leichte Spitze vom Hauch des Zitronengrases in ganz eigenartiger Weise mit dem Duft der rose centifolia - "Sie wissen doch, Chanel No.5" - paare, als seien sie füreinander gedacht, oder sie wird aus dem Katalog der parfümierten Adjektive herunterspulen all jene, die ihnen die PR-Abteilung des Hauses aufgegeben hat: blumig, orientalisch, fruchtig, frisch, süß, würzig, grün, orange, holzig-ambriert, ledrig, würzig. Sie wird reden von Patschuli, Jasmin und Vanille, von Sandelbaum, Zimt und Zeder, von Vetiver, Bergamotte und Limette und so glauben machen, all diese pflanzlichen Stoffe und noch zwei Dutzend andere dazu könnten in diesem Duft enthalten sein, als sei es ein riesiger Duftstrauß von Mutter Natur.
Dass sie lügt oder es einfach nicht besser weiß, ist ihr nicht anzusehen. Denn seit Mademoiselle Coco Chanel 1921 durch Monsieur Beaux Chanel No.5 kreieren ließ mit einem seinerzeit geradezu unanständigen Anteil von Aldehyden, chemischen Riechstoffen, ist Parfüm mehr und mehr seiner natürlichen Grundlagen beraubt worden. Nahezu alles, was zu riechen ist, riecht nur so, als ob es Jasmin, Rose, Patschuli, Limette oder sonstwas sei. Der Luxus aus der Natur ist längst schon substituiert worden durch artifizielle Produkte aus den Küchen der chemischen Industrie. Das Concrète ist verschwunden hinter den Molekularverbindungen, die Blume ist nur noch die Anmutung einer Blume, und Moschus, Zibet, Grauer Ambra und Castoreum, tierische Bestandteile von Parfümen, die weniger unschuldig als anmachend sind, haben ebenfalls ausgedient. Aber die Wirkung ist geblieben.
Darüber sprechen sie nicht gern die Verkäuferinnen der Duftstoffe. Weder die einen, bei denen jede Naht perfekt sitzt, noch die anderen, deren weiße Kittel zwar immer ganz weiß und ganz unbefleckt, aber nicht immer auch von oben bis unten ordentlich zugeknöpft sind.
Sie sprechen auch nicht darüber, dass der schmale Papierstreifen, zu dem jetzt vielleicht ein zweiter, ein dritter hinzugekommen ist, gar nicht verraten kann, wie das Parfüm riecht, geschweige denn, wie es am Körper duften wird.
Vielleicht wird sie noch sagen, dass es eine besonders harmonische Komposition sei, dass Kopf-, Herz- und Endnote in einem geradezu aufreizenden Gleichgewicht stehen, vielleicht wird sie, das klingt professioneller und verführerischer zugleich, die Noten mit den französischen Begriffen benennen, vielleicht wird sie mit Bildern, Stimmungen, Orten klimpern: der Sommerabend am Wasser, die Fröhlichkeit perlenden Champagners, das frisch geschnittene Green am Hole 13 in Motzen.
Das wird sie gurrend und schnurrend runterspulen, um der Käuferin, dem Käufer nicht zu viel Zeit zu lassen. Die aber bräuchte er.
Denn die note de tête entfaltet sich geradezu explosionsartig bereits mit dem Öffnen des Flakons, die note de cÂur steigt auf, wenn sich die Kopfnote verflüchtigt hat und das Parfum mit der Haut in Berührung gekommen ist, und die note de fond schließlich bleibt als als dominierender Duft auf der Haut haften und entscheidet über die Attraktion des Duftes überhaupt.
Deshalb üben sich die Liebhaberinnen und Liebhaber noch fremder Düfte auch in Geduld, die im schnellen Tresengeschäft warenhausartiger Parfümerien eher als Behinderung angesehen wird. Denn es reicht eben nicht, mal schnell einen Duftspritzer auf einem Blatt Papier zu beschnüffeln, es reicht auch nicht, sich einen gleichen Spritzer auf das Handgelenk sprühen zu lassen und dem Duft dort nachzuriechen. Es bedarf mindestens noch weiterer 15 Minuten, in denen sich Kopf- und Herznote verflüchtigen, ehe gemeinsam mit dem je eigenen Körpergeruch jene Endnote entsteht, die als subjektive Duftmarke an einem hängen bleiben wird.
Da sich nur Wenige beim Kauf eines Parfüms diese Zeit nehmen und so die Kaufentscheidung meist nur nach den Versprechungen eines Namens oder einer Marke, des Raffinements eines Flakons und der immer überwältigenden Wirkung der Kopfnote getroffen wird, hält mancher Duft im Alltag nicht, was er am Tresen einer Parfümerie, in der noch dazu alle Düfte des Marktes miteinander vermischt schwer wie ein Unwetter in der Luft hängen, versprochen hat. Er ist flach, macht nicht an, ist unriechbar und damit ungenießbar, verspricht weder Genuss noch Verführung.
Alle Menschen riechen, manche duften, andere stinken. Der körpereigene Duft entscheidet darüber, ob ein Parfüm etwas hermacht oder nur schnell verpufft. Am intensiv sten riechen die stark behaarten Körperpartien, dort kann der jeweilige individuelle Duftpinsel geschnuppert werden. In den Achselhöhlen beispielsweise, die man noch bis zum Anfang dieses Jahrhunderts zu den sekundären Geschlechtsmerkmalen gezählt hat.
Unvorstellbar aber, dass jemand in einer Parfümerie, wo Zeit nach Kassenbons bemessen wird, sich Teile der Oberbekleidung entledigte, beide Achseln entblößte, um einen Spritzer davon dahin und ein Spritzer davon in die andere Achselhöhle bäte und so eine gute Viertelstunde im Laden verweilte, sich fernhielte von den verkehrten Sätzen, sich absentierte von den Duftwolken, die durch die Zerstäuber durch den Raum gejagt werden, dann aufstände, irgendeiner Person erst die rechte und dann die linke Achsel zum Schnuppern anböte und dann entweder schamhaft fragte: "Rieche ich gut?" oder weniger schamhaft: "Bin ich begehrenswert?" oder ganz und gar schamlos: "Macht Sie das scharf?"
Da verlöre die so selbstkontrollierte Verkäuferin sicher sofort die Contenance, riefe den Geschäftsführer, der einzweidreiflink das Sicherheitspersonal antanzen ließe und am nächsten Tag gäbe das Ganze vielleicht eine Drei-Zeilen-Meldung her unter der Überschrift: "Exhibitionist in Parfümerie."
Wo kämen wir denn da hin?
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