Ein Führerscheinleben kostet mehr Geld als ein ordentliches Ein-Familien-Haus auf der grünen Wiese. Die Automobilproduzenten müssen so tun, als dauere dieses Leben ewig. Zwischen den Produzenten und den Kundinnen und Kunden steht der Verkäufer, Meister der Inszenierung und Darstellung zugleich eines Stücks absurder Komik wie Tragik.
Eine schwarze Frau in Puschen und Kittel schiebt langsam einen Wischmopp vor sich hin. Sonst aber ist in den weiten hohen Hallen dieser sehr lichten Industriearchitektur mit glänzenden Scheiben, properem Fußboden und sauber ausgerichteten Punktscheinwerfern niemand da. Und dann steht er plötzlich im Raum und stellt eine dumme Frage. Es ist nicht immer dieselbe, aber dadurch wird keine der angebotenen Varianten besser:
sser: »Kann ich etwas für Sie tun?«, »Was kann ich für Sie tun?«, »Darf ich ihnen helfen?« oder »Was brauchen Sie denn so?«. Welche Frage es auch sein mag: Es soll verführerisch klingen, als sei er jener, der mit dem Heckaufkleber »This car-driver is the world's greatest lover« durch die Stadt fährt.Dem sensiblen Ohr entgeht in diesem Moment nicht, dass der Fragesteller mindestens eine Fragesteller-Schulung hinter sich hat, in der man ihm mühsam abgewöhnt hat, Kundengespräche mit einem Warnschrei zu beginnen - »Fassen Sie das bitte bloß nicht an, aber ich zeige Ihnen gerne unseren Prospekt!« - und aus der er vielleicht auch die an die Kollegen aus der Werkstatt gerichtete Empfehlung behalten hat: »Wenn etwa ein Kunde anruft und sagt, er kann seinen Sohn nicht von der Schule abholen, weil das Auto nicht anspringt, darf die erste Frage der Werkstatt nicht lauten, ob denn genug Benzin im Tank sei, sondern wie der Sohn aussehe und wo er stehe, damit man ihn nach Hause bringen könne.« Aber das sei, so mag er denken, ja für ihn noch lange kein Grund, hier alle Faxen mitzumachen und etwa gemeinsam mit dem Kunden in den Wettbewerb zu treten, wer die Wagentüren am lautesten zuschmeißen kann, ohne dass die Scheiben rausfallen.Die wenigsten Kundinnen und Kunden treten ein in diese Hallen mit einem solchen Vorsatz, auch wenn sie vielleicht im Innersten ihrer Seele den Wunsch haben, immer wieder eine Schiebetür zu öffnen und zu schließen, zu öffnen und zu schließen, bis alle merken, dass sie hier gerade Werbung für die Werbung einer ganz anderen Marke machen.Denn Kunden und auch hier immer häufiger anzutreffende Kundinnen wissen sehr genau, warum sie in diese Verkaufshalle eingetreten sind. Sie wollen nicht nur etwas haben, sie wissen auch, dass sie dafür bezahlen werden. Viel Geld. In einem Führerscheinleben werden, so hat man es ausgerechnet, im Durchschnitt 560.000 Mark für Kauf und Nutzung eines Autos ausgegeben. Das ist ein Haufen Geld, der aber auch ordentlich verteilt wird: an Finanzämter, Versicherungen, Tankstellen, Werkstätten, Waschanlagen, Bremsen-, Reifen- und Auspuffdienste, Feuerwehren, Polizei, Krankenkassen und Krankengymnasten. Des weiteren an Zeitungen und Zeitschriften, Putzmittelhersteller und eben auch an Automobilhäuser, samt jenem nahezu durchweg männlichen Personal, dessen Funktion auf den Kärtchen, die sie einem unweigerlich in die Hand drücken, ausgewiesen wird, manchmal noch als »Verkäufer«, manchmal aber auch als »Verkaufsberater« - eine geradezu aberwitzige Umkehrung der Funktion.Denn der, der sich auf ledernen Sohlen in einem adretten, dunklen Tuch von hinten anschleicht, um sich mit einer dummen Frage im Nacken der Kundin oder des Kunden zu verbeißen, ist Dealer einer Ware, die ihre Explosivität nicht allein aus der jeweiligen Verdichtung des Motors ableitet, nicht aus der Beschleunigung, nicht aus dem integrierten Heckspoiler oder der tief heruntergezogenen Schürze unter der Stoßstange, nicht aus irgendwelchen applizierten Rallyestreifen und schon gar nicht aus der deutschtümelnden Modefarbe Silbermetallic - »unsere« Silberpfeile, sondern aus dem Ding an sich: dem AutoAber was ist das, ein Auto? Zum einen ein Fortbildungsobjekt, an dem sich Physik in nahezu ihrer gesamten Bandbreite anschaulich lernen lässt, zum anderen ein Verkehrsmittel, eine Projektion und ein Projektil, Verheißung und Verderbnis, Waffe und Schild, Spielzeug und Survival Kit in einem.Der Verkäufer einer solchen Ware, deren Kauf gewaltige Folgekosten entstehen lässt, steckt in einer bösen Argumentationsfalle: Alles, was er sagt, ist richtig und falsch zugleich: Fun und nichts als fun soll die Ware machen und ist gleichzeitig auch gewappnet mit vielem, was die Zerstörung des Spielzeugs samt seiner Insassen zwar nicht verhindern, aber doch mindern soll. Doch je robuster und damit sicherer die Ware, desto gefährlicher wird sie für Waren aus dem gleichen Sortiment, aber anderer Bau- und Ausstattungsart: Eine schwere Limousine mit einer Beschleunigung, die als Garantie gepriesen wird, der Gefahr davonfahren zu können, hobelt zwar einen Kleinwagen weg, aber gegen einen lahmen vierachsigen Schwerlaster hat auch die flinke schwere Limousine keine Chance. So macht eine Ware die andere Ware platt, und dem Fußgänger oder Radfahrer, der von einem Kleinwagen erfasst wird, helfen die mittlerweile bis zu vier Airbags selbst in einem Kleinwagen gar nichts. Darüber spricht der Autoverkäufer nicht. Er lächelt, er zeigt Zähne, gibt sich aufmerksam, hört sich Fragen an und verschränkt dabei, während die schwarze Frau die großen Blätter des Gummibaums entstaubt, die Hände zur Hodenhaltung. Er lässt sich eher über die rassige und schnittige Karosserie aus, über die Eleganz der Faltungen in der Motorhaube, er wird gar, wenn er unvorsichtig oder zu selbstbewusst ist, den Luftwiderstandswert Cw anführen als Beleg für die besonders stromlinienförmig gearbeitete Karosserie. Nichts als Bluff: Die beiden vermeintlichen Stromlinienautos an sich - der DS 19 von Citroen und der Porsche 911 Carrera - hatten einen Cw-Wert von 0,38, schlechter als der Tatra 87, dieses sowjetische Raumschiff für den Straßenverkehr, dessen Wert bei 0,36 lag, schlechter aber vor allem als Fiats kleiner Kastenwagen Uno, dessen Cw-Wert von 0,34 verdeutlichte, was der Unterschied zwischen Design und Styling ist. Letzteres bedient Wünsche, ersteres folgt der Funktion.Doch der Höhepunkt des absurden Theaters, das der Verkäufer inszeniert und vorführt zugleich, ist damit noch lange nicht erreicht. Er führt die potentiellen Käuferinnen und Käufer mit so gebührendem Abstand um die blitzblank geputzten Karossen herum, dass man meinen könnte, es handele sich um Unikate, die allein schon durch die Anmutung einer Berührung zerfielen. Nein, einfach mal so ein Signalrot zu tätscheln, das sieht er nicht so gerne. Zwar schiebt die schwarze Frau weiter unverdrossen ihren Wischmopp über den sauberen Fußboden, aber die Politur der Lacke kann nur in Händen jener liegen, die selbst eine Verantwortlichkeit für das Ausstellungsobjekt in sich spüren und dies auch zur Schau stellen, hier im Einkaufsladen, der sich Showroom nennt.Der Höhepunkt der Prozession naht, wenn er mit sicherem Griff die Heckklappe öffnet, um einen schwarz ausgeschlagenen Kofferraum zu präsentieren, in dem ein einzelnes Lämpchen auf schwarze Auslegeware strahlt als solle es den Blick der Gucker, die sowieso nichts sehen, auf einen ebenfalls nichtexistenten Dreckfleck fokussieren. Kaum ist die Heckklappe wieder ins schmatzende Schloss gedrückt - Geht das Licht auch wirklich aus? - da öffnet er schon die Türen zur Zelle, die den Menschen vorbehalten ist: erst die zum Fond des Wagens, dann die zum Beifahrerinnensitz und schließlich auch jene, die das Lenkrad zeigt, das Armaturenbrett, den Schaltknüppel und schon wieder ein Lichtlein, das brennt.Er wird sich, auf einer Arschbacke, halb hineinsetzen, den linken Fuß auf dem Hallenboden abstellen, so dass man sehen kann, ob die Socken farblich mit der Garderobe abgestimmt sind, und mit dem rechten die frisch gesaugte Auslegware gerade nur touchieren. Er wird ein bisschen an den Knöpfen und Schaltern spielen, das Radio anschalten, das Handschuhfach öffnen und schließen, das Be- und Entlüftungssystem erklären, das Schiebedach öffnen und dabei immer Blickkontakt mit dem Kunden halten, um dann einen kleinen Scherz zu machen über den Schminkspiegel auf der Rückseite der Sonnenblende für die Beifahrerin. Dann wird er die Frau so anlächeln, als könnte er sofort sagen, welches Deo sie heute unter den Achseln trägt. Da genieren sich zwar alle ein bisschen, aber das ist das Vorspiel: »Steigen Sie ein, probieren Sie aus, wie man sitzt«, wird er zum Mann sagen, während er sich so locker und leicht mit seinen 30-jährigen Knochen aus dem Wagen hebt, dass niemand auf den Einfall käme, das Ein- und Aussteigen sei vielleicht doch ein wenig mühsam.Der so Angesprochene folgt der Einladung, die einer Aufforderung sehr nahe kommt, unmittelbar. Natürlich ist der Sitz nicht in der richtigen Position, ist zu hoch oder zu niedrig, die Arme sind zu kurz oder zu lang, aber das offene Schiebedach täuscht Kopffreiheit vor. Die Hebel für das Verstellen des Sitzes werden gemeinsam gefunden, nach vorne ruckeln muss sich der Kunde aber allein. Das sieht nie besonders elegant aus, hat immer etwas Klammeraffiges, und der noch neue Sitzschlitten bringt dazu noch den Sitz schnell in Fahrt: zu weit, zu nah, zu dicht am Lenkrad - in diesem Moment gleicht jedes Auto einem Trabi. Sitzt der Proband erst einmal richtig, hat er den Rückspiegel gerichtet, vielleicht gar den Gurt angelegt, dann schließt der Verkäufer mit größter Diskretion die Tür und spendiert dem Testsitzer einen Moment der Stille und gleichzeitig die Möglichkeit, ganz allein das Wageninnere zu erschnüffeln, die Kupplung zu treten, mit dem Schaltknüppel die Gänge zu suchen, sich zurückzulehnen, die Hände besitzergreifend in der Position 5 vor 1 Uhr auf das Lenkrad zu legen oder noch unschlüssig auf 6 Uhr, und geradeaus zu schauen.Derweil erklärt der Verkäufer der Frau, die draußen bleiben muss, was sie seiner Meinung nach in der Lage ist zu verstehen. Sie wird die Aufmerksamkeit genießen und auch die Diskriminierung spüren. Automobilhersteller mögen Frauen nicht. Sie sollen immer die kleinen Autos bekommen oder kaufen und überhaupt müssen Frauen weiter für bekloppt gehalten werden, damit die Männerrituale um den Neuwagen so wenig einen Kratzer abbekommen wie der Neuwagen selbst.Schlichtweg unvorstellbar für den Verkäufer, dass in diesem Moment der Initiation die Frau den Verkäufer bäte, doch mal die Motorhaube zu öffnen. Unmöglich. Das gehe erstens nur von innen, zweitens nähme man damit dem Fahrer die Sicht und drittens gebe es da, so könnte der Verkäufer abwiegeln, doch gar nichts zu sehen. Da hat er zwar Recht bei der mittlerweile kompakten Bauweise der Motoren, aber andererseits vermag er sich nicht vorzustellen, dass es ein besonderer Kick sein kann, wenn man sofort den Ölmessstab mit seinem bunten Fähnchen entdeckt und den Einfüllstutzen für die Scheibenwaschanlage noch dazu - zwei Dinge, die alle, Frauen wie Männer, sich vielleicht noch selbst zutrauen, wenn sie schon einmal Hand anlegen. Und der Tank natürlich. Wie geht die Klappe auf? Die Klappe? Welche Klappe? Wenn die Sitz- und Reichprobe wie auch die bloß imaginierte Fahrprobe überstanden ist, wenn keine weiteren Fragen oder Forderungen gestellt worden sind, dann naht der Moment der Wahrheit für den Verkäufer: Reicht jetzt ein feiner Farbprospekt samt einer Preisliste, alles Ton in Ton, und das Kärtchen dazu oder lauert da noch eine Frage nach der Finanzierung, die nicht durch einen Flyer abgeschmiert werden kann.»Sehr schön, sehr schön«, sagt da vielleicht der Interessierte und fügt dann ein »Aber« hinzu, und schon muss der bislang strahlende Verführer durch die Autowelten sich die Finger am Computer schmutzig machen. Zwar wird er die Situation nutzen, um die Interessierten geradezu erkennungsdienstlich zu behandeln, - Name. Vorname. Adresse. Telefon. Privat. Beruflich. Fax? E-mail? - aber schnell wird offenkundig, dass er besser lächelt als auf einer PC-Tastatur schreibt, dass er die Kommandos nicht so blind findet wie den Knopf zum Öffnen der Heckklappe. Die Lässigkeit, die er auf dem Fahrersitz zeigte, ist dahin.Jetzt ist ihm die Falte der Hose wichtig, jetzt zerbröselt hinter dem Schreibtisch auf einem zwar gestylten, aber ordinären Bürostuhl das Image des so lebensfrohen wie auch risikogeilen Drivers, der von sich überzeugt ist, dass er den Aufkleber »This car-driver is the world's greatest lover« nicht braucht, weil man ihm das auch so ansieht. Jetzt schwillt sein Schweiß durch das Deo hindurch, jetzt funktioniert auch der Drucker nicht gleich, jetzt könnte man ihm die absolute Killer-Frage stellen, warum es denn hier eigentlich keine Verkäuferinnen gebe. Wir gehen lieber. Während sich die Tür langsam schließt, wischt die schwarze Frau mit dem Wischmopp die Spuren der Besucher weg.
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