Als einzige Partei im Deutschen Bundestag lehnt die PDS die Logik militärischer Gegenschläge als Antwort auf die Terrorakte in den USA ab. "War is not the answer", steht auf ihren Plakaten. "Terror ächten - Frieden bewahren" steht auf ihren Faltblättern.
Am 18.9. hatte die PDS eine Entschließung im Bundestag beantragt, in der die Anwendung von Artikel 5 des NATO-Vertrags abgelehnt wird. Am 27.9. stimmte die PDS-Fraktion gegen einen Antrag der Bundesregierung zu einem neuen Bundeswehrmandat in Mazedonien. Sie setzt damit einen wichtigen Kontrapunkt gegen Militäreinsätze out of area, wie sie von einer Großen Koalition aus SPD, CDU/CSU, FDP und Grünen betrieben wird.
Dennoch: auch bei der PDS ist nicht alles in Butter. Gregor Gysi machte am 17.9. die Probe aufs Exempel und brach ein wichtiges Tabu. In einem Interview mit der Berliner Zeitung plädierte Spitzenkandidat Gysi im Kampf gegen Terrorismus "für begrenzte militärische Aktionen, ohne unschuldige Menschen zu gefährden". Als in der Bundeswehr gedienter Obergefreiter der Reserve versuche ich mir krampfhaft vorzustellen, wie denn solche speziellen Militäraktionen "ausschließlich (!) gegen Tatbeteiligte" in Afghanistan oder sonst wo auf der Welt aussehen könnten - vergeblich. Aber es gab vielleicht den einen oder anderen klugen Ex-NVA-General, der Gregor Gysi und Teilen der PDS-Führung das Ansinnen wieder ausreden konnte. Gysis Interview schlug hohe Wellen. Mitten im Wahlkampf legte sich mit großen Teilen der eigenen Partei an. Seine Forderung nach Militärischem wurde in dieser Form dann nicht mehr vorgetragen. Offen bleibt, ob Gysis Einsicht mit Blick auf eine harmonische Abwicklung des Dresdner Parteitages am Wochenende erfolgte. In einer Situation, in der die militärischen Vorbereitungen auf Hochtouren laufen und Gegenschläge zu unkontrollierbaren Kriegen führen können, muss jedes Bejahen solcher Schläge als Unterstützung einer Kriegsdynamik verstanden werden, auch wenn anderes beabsichtigt ist.
Überlagert wird diese Diskussion von einer zynischen Erklärung aus der Hamburger PDS zu den Terroranschlägen in den USA. "Sowas kommt von Sowas" ist die viel zitierte Stellungnahme überschrieben. Mit Analyse haben solche Sprüche nichts gemein, denn sie suggerieren, es gäbe einen zwangsläufigen Zusammenhang zwischen Großmachtpolitik und sogenannten "Verzweiflungstaten". Nur am Rande geht die Hamburger Stellungnahme auf die Tausende Menschen ein, die bei den Anschlägen zu Tode kamen. Die breite Stimmung in der PDS-Mitgliedschaft ist eindeutig - Solidarität mit den Opfern und ihren Angehörigen: ja, Bestrafung terroristischer Täter mit Hilfe polizeilicher, diplomatischer und rechtsstaatlicher Mittel: ja, Militäreinsätze: nein! Der überarbeitete Leitantrag trägt dem Rechnung. Die eigentlichen Differenzen aber beginnen damit erst.
In Dresden soll nach dem Willen der Vorstandsmehrheit ein Programmentwurf die höhere Weihe der Delegierten erhalten, der im krassen Gegensatz zum geltenden Programm das Thema Bundeswehr völlig ausspart. Die Auflösung von Bundeswehr und NATO ist in dem Text, der von André Brie, Michael Brie und Dieter Klein formuliert und von Gabi Zimmer vorgestellt wurde, kein Thema mehr. Die Bundeswehr, eine der stärksten Armeen der Welt, wird nicht ein einziges Mal benannt in einem Werk, das vorgibt, sich mit der realen Welt statt mit weltrevolutionären Visionen zu beschäftigen. Stattdessen bietet dieser "Entwurf 1" schlechte Lyrik: "Krieg gehört nicht auf diese Erde, sie ist zu klein und verletzlich dafür. Krieg gehört nicht in die Politik, denn er ist ihr Versagen." Ein Alternativentwurf, eingebracht von rund 100 Mitgliedern um die Gruppe Ekkehard Lieberam, Dorothée Menzner und Winfried Wolf, ist da um Einiges genauer. Er belegt, wie weit Krieg schon heute Bestandteil von Politik ist. Dieser "Entwurf 2" fordert den Verzicht auf konkrete Rüstungsprojekte, auf Umrüstung der Bundeswehr in eine Interventionsarmee und eine schrittweise Reduzierung der Rüstungsausgaben in der Bundesrepublik.
Die Ergebnisse des Münsteraner Parteitages vom Frühjahr letzten Jahres werden im Brie-Klein-Brie-Entwurf ebenfalls auf den Kopf gestellt. Damals gab es in der PDS eine sehr ausführliche Debatte um Völkerrecht, UN-Charta, Demokratisierung der UN, friedenserhaltende Maßnahmen nach Artikel VI und Kriegseinsätze mit UN-Mandat nach Artikel VII der UN-Charta. Endlich einmal stritten sich die demokratischen Sozialisten öffentlich um Konkretes. Die Delegierten entschieden sich mit großer Mehrheit für eine Friedensresolution, in der auch UN-mandatierte Kriegseinsätze abgelehnt werden. Die Parteiführung empfand diese Entscheidung als Desaster und verhielt sich entsprechend kopflos. Genau ein Jahr später spiegeln sich die zentralen Aussagen dieser Resolution in den Vorstandsmaterialien nicht mehr wieder. Wegretuschiert! Ist das Zufall oder hat das Methode? Was in der PDS noch als Unterstellung gilt, wird in manchen Medien offen gehandelt: Ein Teil des Parteiapparates versucht allzu wasserdichte Festlegungen gegen Militäraktionen und für radikale Abrüstungsschritte zu vermeiden. Die Option auf eine gewünschte Regierungsbeteiligung im Bund könnte Schaden erleiden. Ohne Zustimmung zu NATO, EU-Armee und weltweit agierender Bundeswehr ist unter den derzeitigen Kräfteverhältnissen ein Regierungsticket nicht zu haben.
Ursprünglich sollte im Mittelpunkt des Dresdener Parteitags die Debatte um ein neues Parteiprogramm stehen. Nach den Ereignissen vom 11. September wurde dies geändert, ein neuer Leitantrag, der die weltpolitischen Veränderungen einbezieht, wurde vorgelegt. Im Zentrum des Kongresses soll nunmehr das Thema "Frieden und Gerechtigkeit weltweit" stehen. Die programmatische Debatte wurde auf eine Stunde zusammengestaucht. Ein neues Programm soll nach der Bundestagswahl im Jahr 2003 formuliert werden. Der geänderte Parteitagsablauf wäre unstrittig, bliebe da nicht der Antrag auf einen Richtungsentscheid in der Programmdebatte. Soll der "Entwurf 1" zur alleinigen Arbeitsgrundlage der weiteren Programmdebatte erklärt werden? Oder finden auch zwei weitere, ordentlich in die Debatte eingebrachte Alternativentwürfe eine qualifizierte Erwähnung und Behandlung? Vernünftig wäre es, den Ratschlag Peter von Oertzens und anderer aufzugreifen: die Diskussion offen halten, alle vorgelegten Texte gleichberechtigt der weiteren Diskussion zugrunde legen und eine aufeinander bezogene Debatte organisieren.
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