EM, Olympia und jetzt noch Bundesliga

Medien Manche meinen, es läuft zu viel Fußball im Fernsehen. Zu Recht?
Ausgabe 35/2016
Die Geister, die ich rief...
Die Geister, die ich rief...

Foto: Alex Grimm/Bongarts/Getty Images

Vier Fußballspiele habe ich mir am vergangenen Wochenende angeschaut, eines davon live im Stadion, die drei anderen auf diversen Plattformen, zwei davon allerdings nur zum Teil. Mit Bayern gegen Bremen wurde die 54. Saison der Bundesliga eröffnet, ich hatte mir vorge-nommen, bis zum ersten Tor zuzuschauen. Das fiel sehr schnell, ich konnte mich also anderen Dingen widmen.

Es ist wunderbar, dass die Liga wieder läuft. Aber es gibt auch die übliche Begleitmusik: „Schon wieder Fußball? Wird das nicht allmählich ein bisschen viel?“ Boris Becker zum Beispiel, der blies neulich bei einer Medienveranstaltung in Köln in dieses Horn. Er kommt aus einer Zeit, in der es ganz schön viel Tennis im Fernsehen gab. Das war wohl dann irgendwann zu viel, zu-mal als Steffi Graf nach Las Vegas zog und Bobo nach London.

In diesem Sommer gab es einen gefühlten Rekord mit Live-Fußball, vor allem auf öffentlich-rechtlichen Kanälen. Europameisterschaft (habe ich alles geschaut), Olympia (habe ich vollständig ausgeblendet, obwohl ich das IOC nur für graduell korrumpierter als die UEFA halte), jetzt also wieder Clubfußball (für Fans wie mich: der einzig wahre). Hört das denn nie mehr auf?

Die Debatte darüber kann man prinzipiell führen, dazu kommt dann noch eine Spezialdebatte, ob ARD und ZDF sich so intensiv in diesem Segment engagieren sollen. Wer sich beim zweiten Thema positionieren möchte, gerät in hochvermintes Gelände, weil es um sehr viel Geld geht. Und zwar auf allen Seiten: Senderechte sind die Schürflizenzen der Gegenwart, die Ligen sitzen auf ihren Produkten und pressen der Öffentlichkeit auch noch den letzten Cent ab, den sie dann drittklassigen Profis hinterherwerfen, die neuerdings nämlich ein starkes Argument haben: Sonst geh ich halt nach China! Sollen die Gebührensender da mitmachen?

Wer Nein sagt, schickt ARD und ZDF im Grunde hinter den Mond. Die übergeordnete Frage hat beinahe schon das kulturkritische Potenzial klassischer Redundanzdebatten: Lesen die Leute zu viele Romane? (Ja, aber sie kriegen davon nicht genug.) Führt die Popmusik zur Verblödung der Massen? (Ja, aber das Gegenteil ist auch richtig.) Fußball ist aus Gründen, die niemand erklären kann, weil sie so offensichtlich sind, das Spiel geworden, auf das sich die Weltbevölkerung einigen kann. Es ist ausreichend (nämlich höllisch) komplex, um uns auf lange Sicht zu beschäftigen.

Schon früher, als es noch wenig Fußball im Fernsehen gab, fanden die Leute Mittel und Wege, sich intensiv damit zu beschäftigen. Sie führten Listen oder lernten Aufstellungen auswendig. Heute, da sich ohne Probleme ein ganzes Wochenende mit Fußball zubringen ließe, wobei ich dann theoretisch auch die Spiele meines ukrainischen Lieblingsclubs Worskla Poltawa verfolgen könnte, sollten sich doch Sättigungseffekte zeigen. Bei mir stellen sich aber keine ein. Fußballübertragungen machen dem Live-Erlebnis keine Konkurrenz, sondern steigern dessen Faszination.

Und das Gleiche gilt für das Leben insgesamt: Fußball macht dem Leben keine Konkurrenz, er ist das Leben in einer hochdramatischen Form. Gewiss gibt es beim Drumherum jede Menge Möglichkeiten, Nein zu sagen. Eine Fußballtageszeitung, gefüllt mit Gerüchten, brauche ich nicht. Trainerdebatten, wie sie Sky schon am ersten Spielttag loszutreten versucht, ignoriere ich. Aber die harte Währung, 90 Minuten auf dem Platz, verzinst sich ganz : Jedes Spiel steigert die Neugierde auf das nächste.

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