Holt euch das Spiel zurück!

FIFA Dass endlich gegen die Korruption vorgegangen wird, ist wichtig. Nur das allein wird den Spitzenfußball nicht retten. Statt Einzelinteressen muss er dem Gemeinwohl dienen
Ausgabe 23/2015
Im FIFA-Skandal zeigen sich auch die Defizite unserer politischen Kultur
Im FIFA-Skandal zeigen sich auch die Defizite unserer politischen Kultur

Foto: Daniel Seiffert für der Freitag

In einer Schublade meines Schreibtischs liegt eine Petition, die ich jetzt eigentlich dringend wieder hervorholen sollte. Sie lautet in der kürzesten Version so: „Enteignet die FIFA! Fußballfans aller Länder, vereinigt euch. Das Spiel, das wir lieben, wird von einer Organisation verwaltet, die wir nur ablehnen können. Der Fußball braucht neue Strukturen. Lasst uns gemeinsam daran arbeiten. Reclaim the game.“ Ich hatte das im Jahr 2013 einmal aufgeschrieben, inspiriert von brasilianischen Kritikern der Fußballweltmeisterschaft, die sich an den Knebelverträgen stießen, mit denen der Weltverband des Fußballs die großen Turniere mehr oder weniger an den gastgebenden Ländern vorbei zu großen Geldschleusen gemacht hat.

Illegal ist an diesen Verträgen nichts, und es geht um ganz andere Dinge, wenn US-amerikanische Behörden seit vergangener Woche nun auch in aller Öffentlichkeit den Vorwurf der Korruption gegen die FIFA erheben. Der Spiegel hat daraus mit seinem aktuellen Titelblatt den populären Schluss gezogen: KORRUPT steht da in Riesenlettern, darunter steht nicht FIFA, sondern: „Das System Blatter“. Der höchste Funktionär, Joseph „Sepp“ Blatter, ist, anders als es das Nachrichtenmagazin optisch insinuiert, selbst bisher aber nicht der Korruption überführt worden. Nachdem er sich gerade für vier Jahre in seinem Amt bestätigen ließ, trat er nun am Dienstagabend trotzdem völlig überraschend zurück.

Sein Rücktritt bittet eine Chance auf einen Neuanfang, birgt aber auch Gefahren. Blatter saß 17 Jahre einem Verband vor, dessen Gebaren seit langem in der Kritik steht. Die strafrechtlich belangbare Korruption ist dabei nur ein Aspekt. Die FIFA hat sich insgesamt in eine Richtung entwickelt, die viele Fans mit großem Unbehagen verfolgen.

Kleptokraten unter sich

So erscheint es bezeichnend, dass die nächsten beiden Weltmeisterschaften in Staaten mit mehr als zweifelhaften rechtlichen Standards stattfinden werden: Russland und Katar, zwei Rohstoffmächte mit kleptokratischen Eliten. Die Umstände der Vergabe an diese beiden Länder sollen nun auch noch einmal untersucht werden, die Schweizer Staatsanwaltschaft ermittelt dazu.

Besonders die WM 2022 in Katar hat die internationale Fußball-Community gespalten. Denn sie führt den berechtigten Wunsch, dass Turniere auch einmal an anderen Orten als den etablierten stattfinden sollen, ad absurdum. In Katar kann im Sommer eigentlich nicht gespielt werden, da können die Stadien noch so sehr als Kühlhäuser konzipiert werden. Also muss der weltweite Spielplan der Vereinsligen umgestellt werden. Den Gegenwind, der ihm wegen dieser absehbaren Maßnahmen entgegenblies, hat Blatter wie immer unbeeindruckt absorbiert. Aus Katar verlauten derweilen imponierende technokratische Visionen, während auf den Baustellen die ausländischen Tagelöhner unter entsetzlichen Bedingungen ausgebeutet werden. Laut Internationaler Gewerkschaftsunion (ITUC) starben zwischen 2011 und 2014 1.400 Gastarbeiter aus Indien und Nepal bei Arbeitsunfällen und wegen Erschöpfung durch das Arbeiten in großer Hitze.

Alle diese Umstände verweisen zurück auf eine Frage: Was können die einfachen Fans eigentlich tun? Was für einen Fußball können sie sich wünschen? Und haben sie Mittel, den populärsten Sport der Welt aus dem Klammergriff von korrupten Funktionären, zynischen Oligarchen, undemokratischen Regimes und übermächtigen Konzernen zu retten? Dahinter steht noch eine andere Frage: Muss der Fußball überhaupt gerettet werden? Ist das Spiel nicht attraktiver denn je, und feiern wir nicht – von Kapstadt bis Wembley, von Rio de Janeiro bis Berlin – ein Sommermärchen nach dem anderen?

Die Attraktion des Spiels wächst anscheinend mit jedem neuen Anlass. Das DFB-Pokalfinale vom vergangenen Wochenende hat das wieder einmal gezeigt: eine Sportlerin im Goldkleid bringt den Pokal, die siegreiche Mannschaft hat passenderweise denselben Sponsor wie die ganze Veranstaltung, Misstöne wie so manche Klage über die schwache Leistung des Schiedsrichters gingen im Konfettiregen unter. Die großen Fußballevents haben eine solche Wucht bekommen, dass Kritik daran einfach abprallt. Selbst die brasilianischen Massen, die ein Jahr vor der WM noch auf die Straßen gingen, ergaben sich vergangenen Sommer schließlich dem Ereignis, nutzten aber in den Stadien jede Gelegenheit, FIFA-Präsident Blatter auszupfeifen.

Wer sich eine andere FIFA wünscht, steht im Grunde vor dem gleichen Problem, vor dem Kritiker der politischen Verhältnisse insgesamt stehen. Denn der Verein Fédération Internationale de Football Association mit Sitz in Zürich ist in seiner dubiosen Verfasstheit ein Beispiel für die allgemein verschwimmenden Grenzen zwischen Korruption, Steuervermeidung und Profitabschöpfung, wie sie der internationale Kapitalismus variantenreich hervorbringt.

Rechtlich ist die FIFA so konstruiert, dass sie sich so gut wie möglich dem Zugriff der internationalen Jurisdiktionen entzieht. Sie macht alles unter sich aus, wie man zuletzt an der leidigen Diskussion um einen internen Prüfbericht sehen konnte, der für eine Veröffentlichung offensichtlich zu heikel war. So führen die Funktionäre aus nationalen Verbänden wie Trinidad und Tobago oder den Seychellen die Kritiker an der Nase herum, während die enormen Reichtümer der FIFA auf häufig schlecht nachvollziehbare Weise an die Mitgliederorganisationen weitergegeben werden.

Das müsste alles im Detail aufgeklärt werden, überfordert aber oft die Behörden. Zumal häufig gar nicht klar ist, wer für die Kontrolle zuständig ist. Und durch die lange Geschichte der Interessenverflechtungen in der FIFA und um sie herum ist es schwierig geworden, unbelastete Figuren zu finden. UEFA-Präsident Michel Platini ist ein ähnlicher Populist wie Blatter, auch ihm ist in erster Linie an der Erhaltung des eigenen Systems gelegen. Der Deutsche Fußballbund (DFB), der sich gern als große Graswurzelorganisation präsentiert, ist de facto tief in das FIFA-System verstrickt, zumal auch die Vergabe der WM 2006 alles andere als unumstritten war. Und eine Symbolfigur wie Franz Beckenbauer steht mit ihrem sich völlig arglos gebenden Opportunismus für eine Funktionärsmentalität, die an good governance noch nie wirkliches Interesse gezeigt hat.

Doch worin könnten Forderungen der Fans nach einem demokratischeren Fußball bestehen? Unverkennbar mischt sich in den aktuellen Unmut über die FIFA ein tieferes Unbehagen über ein Spiel, das in immer stärker werdendem Maß von Gier und Reichtum verdorben wird. Die Strategien sind diesbezüglich zutiefst gespalten.

Da gibt es die Fan-Gruppierungen, die sich mehr oder weniger aus dem Betrieb rausziehen. Sie protestieren gegen die hohen Eintrittspreise (vor allem in England) und gegen die Überwachung der Fanszene, indem sie auf niedrigere Ligen ausweichen, wo es noch authentische Rituale, dafür aber keinen hochklassigen Sport gibt. Vereine wie Manchester United (denen amerikanische Investoren einen riesigen Schuldenberg aufluden) oder Austria Salzburg (wo ein Getränkehersteller einfach neue Traditionen und Vereinsfarben mitbrachte, als könnte man einen Club relaunchen wie eine Marke) wurden von Fans de facto neu gegründet und haben nun unverdorbene Ausgaben, die aber sportlich in unteren Ligen keine Rolle spielen.

Aber auch aus den Verbänden selbst kommen Reformanstrengungen. Der europäische Verband UEFA hat auf die wettbewerbsverzerrende Kapitalisierung des Spiels mit Regelungen für ein Financial-Fair-Play reagiert, die allerdings so biegsam sind, dass sie erst recht wieder zu Einfallstoren für Lobbyisten und Rechenkünstler werden. Der VfL Wolfsburg, der frisch gekürte DFB-Pokalsieger, wird von weiten Teilen der Fanszene dafür verachtet, dass der Volkswagen-Konzern stillschweigend all die Rechnungen begleicht, die bei anderen Vereinen aus dem laufenden Spielbetrieb finanziert werden müssen.

Grenzen des Ausgleichs

Diese Beispiele haben mit der FIFA direkt nichts zu tun. An ihnen kann man aber sehen, worum es einer Assoziation des Weltfußballs tatsächlich gehen müsste: Um eine Politik des Ausgleichs, die dafür sorgt, dass Wettbewerbe so fair und so sportlich wie möglich ablaufen können, und dass sie nicht von einer Kultur des Spektakels überformt werden. Die FIFA aber hat als Zweck nur ihr eigenes Gedeihen. Der konsequenteste Schritt wäre daher der einer radikalen Änderung der Statuten, aber dazu müssten die wichtigen nationalen Verbände Ernst machen. Und die profitieren zumeist von den gleichen steuerlichen und organisatorischen Privilegien sowie der Nähe zu räuberischen Eliten in nicht wenigen der 209 Mitgliedsorganisationen der FIFA, oder auch von wirtschaftlichen Verflechtungen.

Deutschland kommt in diesem ganzen Zusammenhang eine Schlüsselrolle zu. Die Erfolge der Nationalmannschaft haben nicht zuletzt mit einer Liga zu tun, die sich im internationalen Vergleich durch ein hohes Maß an Integration und Interessenausgleich auszeichnet. Die zentrale Vermarktung der Fernsehgelder, die gelungene Integration der ersten drei Ligen, die funktionierende Infrastruktur, die tragbaren Eintrittspreise – all das sind Werte, die sich nicht direkt in sportlichen Erfolg umrechnen lassen, die aber zu einem hohen Niveau an Wettbewerbsfähigkeit führen.

All das wird sich nicht ohne Weiteres auf alle kleinen Fußballnationen in Afrika, Ozeanien oder Asien übertragen lassen, aber genau auf diese Illusion baute Joseph Blatter seine angeblich egalitäre FIFA auf. Und auch die UEFA verspricht das. So haben die beiden mächtigsten Fußballorganisationen der Welt vor allem eine Tendenz, sich selbst aufzublähen. Die Turniere und die Qualifikationen werden immer umfangreicher, Spielpläne immer dichter, die Gelegenheiten für Sponsoren und andere Interessensnehmer immer reichhaltiger. Der Fußball ist im Begriff, zu einem System zu werden, das die Bruchstellen der Weltgesellschaft dramatisch sichtbar macht.

Bert Rebhandl bloggt auf www.marxelinho.net über Fußball

Das sind nur vorgeblich die zwischen Nationen mit ungleichen Ausgangsbedingungen. Ein Länderspiel zwischen Deutschland und Gibraltar wird man nie auf Augenhöhe bringen, da könnte man noch so viele Kunstrasenplätze in Gibraltar anlegen. In Wahrheit sind es die neuen Machtverhältnisse in der Welt, die sich an den Skandalen um die FIFA zeigen: das Ungleichgewicht zwischen öffentlichen Institutionen und Körperschaften, die alles tun, um sich der Verpflichtung auf das Gemeinwohl zu entziehen. Und die dafür in rechtsfreie Räume ausweichen. Dort machen die Verbände mit den Firmen und (wie im Falle Russlands und Katars) auch mit den jeweiligen Regierungen alles unter sich selbst aus.

Wenn es nicht gelingt, die Organisation, der die Verwaltung des Weltfußballs mehr oder weniger zugefallen ist, unter das Gesetz zu stellen, kann man des Spiels nicht mehr guten Gewissens froh werden. Petitionen und Pfeifkonzerte sind leider untaugliche Mittel. Die FIFA betrifft uns als Staatsbürger und verweist uns auf die Defizite unserer politischen Kultur insgesamt.

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