Videos auf Amazon Prime haben gerade mal wieder etwas dazugelernt: Wenn man mit dem Cursor über das Bild streicht, tauchen eine Menge Informationen auf. Die Schauspieler, die im Bild sind; die Songs, die gerade laufen. Die Untertitel, die den Dialog mitlesbar machen, habe ich ohnehin eingeschaltet – Originalfassung für Philologen, so nenne ich diese Version. Das Schauen von US-amerikanischen Serien hat ja auch immer etwas mit Spracherwerb zu tun, jedenfalls spreche ich meistens ein anderes Englisch als die Menschen aus so unterschiedlichen Milieus wie den Projects von Baltimore (The Wire) oder den Eigenheimen von Los Angeles (Transparent).
Dass Bilder allmählich mit Text zuwachsen, ist allerdings ein Phänomen, das nicht den Pionieren von Video-on-Demand vorbehalten ist. Auch auf Facebook wird es immer wichtiger, die Clips, vor allem die mit Werbung, sorgfältig zu untertiteln – in der Originalsprache und in den Sprachen der wichtigen Märkte. Das liegt daran, dass die Videos zuerst einmal auf leise gestellt sind. Wer den Ton hören will, muss von Hand auf lauter schalten. Das geschieht aber häufig nicht, weil nicht immer die Situation danach ist. So werden viele dieser Videos, wenn sie überhaupt betrachtet werden, auf mute gestellt – und man liest sie.
Ein besonders gutes Beispiel kursierte am vergangenen Wochenende in den Netzwerken. Robert De Niro hatte sich mit einer leidenschaftlichen Absage an Donald Trump zu Wort gemeldet. Darin fielen ein paar sehr deutliche Worte: „He’s a con, a bullshit-artist, a mutt“, und auch „fool“ und „bozo“ fielen noch. Bozo? Bei diesem Wort ist die Übersetzung mit „Dummkopf“ nur eine unzulängliche Verdeutlichung, denn eigentlich liegt hier der ganze Sinn schon im Klang der vier Buchstaben. Donald Trump, dieser bozo, ist eine Peinlichkeit für das ganze Land.
Ein literarischer Kompromiss
In dem Maß, in dem bewegte Bilder neuerdings vor allem in den sozialen Netzwerken die klassischen Einträge ergänzen und zunehmend auch ersetzen, verschiebt sich gerade wieder einmal das Verhältnis zwischen Bild und Text. Um diese Dynamik vollständig zu verstehen, muss man an den Anfang zurückgehen, zu den ersten paar Jahrzehnten des Films, als die Bilder in einem Spannungsverhältnis zur Schrift gesehen wurden. Dem Stummfilm fehlte bekanntlich die Möglichkeit, Dialoge unmittelbar hörbar zu machen. Sie wurden deswegen als Zwischentitel eingeblendet und auch alle anderen Informationen, die für das Verständnis der Handlung notwendig waren.
Viele wichtige Vertreter des frühen Kinos waren über diesen „literarischen“ Kompromiss unglücklich. Sie suchten nach einer Form, wie Bilder selbst erzählen konnten, ohne dass es dazu der Ergänzung durch Sprache bedurft hätte. Diese Bemühungen um ein „reines“ Kino waren mit der Erfindung des Tonfilms weitgehend erledigt, von nun an galt das Modell, mit dem wir es bis heute im Kino und im Fernsehen zu tun haben – und neuerdings eben auch auf weiteren sogenannten Endgeräten.
Mit diesen Geräten werden die Bilder mobil, sie werden nicht mehr vorwiegend in dafür vorgesehenen Räumen gesehen, die ja auch akustische Räume sind: Ob in einem technisch hochgerüsteten Multiplexsaal oder in einem Wohnzimmer, der Ton gehört dazu, und er wird umso bemerkbarer, wenn man ihn ausnahmsweise einmal wegschaltet. Es kann manchmal ganz aufschlussreich sein, sich einen Spielfilm stumm anzusehen – man wird viel deutlicher erkennen, wie viel Gestaltung er eigentlich enthält. Doch ist es inzwischen eher gängige Praxis geworden, den Ton durch Schrift zu ersetzen.
Wenn man sich heute eine der erfolgreichen Serien aus dem Netz lädt, dann bekommt man dazu sorgfältigst erstellte Untertiteldateien mitgeliefert. Viele Fans verwenden darauf eine Menge Arbeit, alle Dialoge von Game of Thrones zu transkribieren – sodass man sich die Folgen jederzeit mute anschauen kann, oder aber auch mit den Untertiteln als Ergänzung der Tonspur. Mit der großen Beliebtheit der Originalversionen geht dieses Bedürfnis einher, die eigenen Sprachkenntnisse durch Untertitel abzusichern. Nicht immer sind alle Dialoge gut zu verstehen, manchmal tauchen überraschende Worte auf, in allen Fällen schadet eine externe Instanz nicht, auf die man sich in so einem Fall beziehen kann.
Für die zusätzliche Spur gibt es längst ein eigenes Dateiformat. Wenn man in eine Suchmaschine einen Filmtitel und die Ergänzung .srt eingibt, kommt man in die Welt der Untertitel, die zahlreiche Subkulturen ausgeprägt hat. Zu denjenigen, die sich vor allem damit beschäftigen, Originalversionen zu verschriftlichen, kommen die eigentlichen Übersetzer. In cinephilen Foren im Netz werden Preise für die Untertitelung rarer Filme ausgelobt, auch das deutsche Filmerbe wird da allmählich bearbeitet. Die Lingua franca ist Englisch, aber der Spezialisierung sind hier keine Grenzen gesetzt – so ähnlich wie bei bestimmten kommerziellen DVD-Ausgaben global erfolgreicher Filme, auf denen man manchmal zwischen 30 verschiedenen Untertitelspuren wählen kann.
Untertitel unter Untertiteln
Der im Weltkino geltende Standard, dass ein Film erst dann so richtig existiert, wenn eine englisch untertitelte (digitale) Festivalkopie vorliegt, ist die Konsequenz einer Entwicklung, in der eine Gegenbewegung unterlegen ist. Denn es gab im Kino gelegentlich Vertreter einer „reinen“ Lehre, die sich strikt gegen Untertitelung verwahrten – und lieber einen Film von Carl Theodor Dreyer auf Dänisch zeigten, um dazu allenfalls Blätter mit einer kargen Inhaltsangabe auszugeben. So war es zum Beispiel im Österreichischen Filmmuseum unter Peter Kubelka und Peter Konlechner üblich.
Dieser aussichtslose Versuch, dem Kino als einem Bildmedium die Würde der Freiheit von der Sprache zurückzuerstatten, erscheint heute schon fast absurd. Denn inzwischen geht alles in die Gegenrichtung, man kann zu einem Bild beliebig Informationen dazuschalten. Die Aufbereitung auf Amazon Prime lässt insofern noch eine Menge Möglichkeiten für die Zukunft. Denn eigentlich könnte die Einblendung von Schauspielernamen und Songtiteln nur der Anfang sein, mittelfristig ginge da noch viel mehr. Zum Beispiel haben viele Untertitel die Schwäche, dass sie aufgrund von Dialoglisten erstellt sind und sich nicht um Informationen im Bild kümmern. So bleiben wichtige Signale, die Regisseure mit Text im Bild setzen, häufig unverständlich. Je weniger bekannt eine Sprache oder eine Kultur sind, desto stärker müssten Untertitelungen eigentlich in Richtung eines Interlinearkommentars gehen.
Auch diesbezüglich kann man neuerdings Beispiele sehen. Da tauchen dann plötzlich Untertitel zu Untertiteln auf, weil nur so ein Übersetzungsproblem deutlich gemacht werden kann. Technisch ist das alles kein Problem mehr, und die Grenzen der Verständigung kann man auf diese Weise weiter hinausschieben.
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