Das Böse unter uns (2) : Mobbing

Masse & (Ohn)macht Hat aus Jahrhunderten mit Pogromen und antisemitischer Hetze eine speziell deutsche Traditionspflege von Konstanten der deutschen und europäischen Geschichte überlebt?

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Das Boot das nie versinkt: Bosheit.“ (Elias Canetti)

Auf dem europäischen Festland werde ich respektiert für das, was ich tue. Aber England ist ein seltsames Land geworden. Da zieht sich ein böser Charakterzug quer durch die Bevölkerung. Es herrscht dort diese Kultur des Schikanierens. Ich halte das für besorgniserregend“ (Mike Hucknall in: FR 1. 11. 2012).

Es kann der Frömmste nicht in Frieden leben, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt.“ 1 (Friedrich von Schiller)

Friedrich von Schillers Vers über den „bösen Nachbarn“, dürfte auch heute noch überwiegend Zustimmung finden. Geschrieben ist er in der kulturellen Blüte der Weimarer Klassik, als Deutschland politisch gesehen ein Flickenteppich von rivalisierenden Kleinstaaten war. Deren Bewohner unternahmen später unter der Regie von König, Kaiser und Regimentsstabmeldegänger nicht nur aus Sehnsucht nach einem neuen „Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation“ mehrere kriegerische Anläufe zur Gründung eines Nationalstaates. Dies führte schließlich dazu , dass fast alle europäischen „bösen Nachbarn“ militärisch gezwungen werden sollten, „am deutschen Wesen zu genesen“, sich aber unter großen Opfern erfolgreich dagegen wehrten.

Die Prinzipien der Nazi-Politik waren Ausschaltung, Auslese und Ausmerze, das Ziel die Arisierung, ein willkürlich politisch legitimiertes Mobbing im gesellschaftlichen Maßstab. Im Klartext: Verschiedene Stufen der Ausgrenzung wurden nach und nach wie ein Spinnennetz zu einem System der Strangulierung kombiniert, Gesellschaftliche Rahmenbedingungen wurden so gestaltet, dass politisch und rassisch „missliebige“ Personen ihrem Beruf nicht mehr nachgehen konnten, ihres Vermögens Schritt für Schritt beraubt wurden. Herrenmenschen mit Parteibuch und Untertanengehorsam machten Karriere. Wer nicht als nützlich für den Nazistaat erachtet wurde, wurde als „unnützer Esser“ verplant für die Euthanasie, für Vernichtung nach Selektion und Zwangsarbeit im KZ .

Sebastian Haffner (der aus dem nationalsozialistischen, auf “böse Juden und Marxisten“ fixierten Deutschland emigriert war) formulierte eine Beobachtung, die aus der Grenzüberschreitung zwei Elemente im Sinne einer Skizze von Nationalcharakteren ans Licht bringt: „Im Unterschied zu den Deutschen, die nur ungern die Schuld bei sich suchen, eifern die Engländer danach, dem Feind die Absolution zu erteilen.“ 2

Haben die Engländer mittlerweile den Deutschen Absolution erteilt und dafür preußische Untugenden akquiriert? Haben die Deutschen ihre Sprachhoheit abgegeben („ I sprech denglisch“) und im Austausch sich andere Hoheiten unter den Nagel gerissen?

Durch die Ereignisse von Weltkrieg, Wanderungsbewegungen, Wirtschaftswunder und Wiedervereinigung (in Deutschland) sind Nationalcharaktere vielleicht etwas unscharf geworden sind, aber doch noch signifikant genug. War es in Deutschland früher juristisch abgesichert, Marxisten und Juden auszuschalten und auszumerzen begnügt man sich heute mit unterschwelligem Rassismus und persönlichen Racheaktionen, pardon: Es werden natürlich immer nur die bestraft, die für irgendeine unerfreuliche Entwicklung oder Erscheinung Verantwortung tragen. Es gibt keine Kollektivverantwortung, sondern nur kollektive Unschuld. Im Fußball ist immer der Trainer schuld und muss gehen, wenn die anderen Mannschaften gewinnen, das Führerprinzip lebt und zeigt sich auch bei der FDP: Der Vorsitzende ist schuld, wenn's nicht läuft: Mobbing mit Ausgrenzungstradition.

Mobbing statt Streitkultur

Hollywood ist eine Hölle, die manche für den Himmel halten – auch jene, die dazugehören und es eigentlich besser wissen müssten“. 3

Das Modewort „Mobbing“ hat in den letzten Jahren große Verbreitung und mediale Aufmerksamkeit erhalten. Letzlich ist es ein Neuaufguss der Schillerschen Maxime. Wenn es auch viele Mobbing-Begebenheiten gibt, der Gebrauch des Begriffes setzt voraus, dass etwas Böses wie Mobbing wehrlos hingenommen werden müsse. Gibt es kein Recht, ja keine Pflicht zum Widerstand mehr? Gilt nur noch kuschen und sich anzupassen, in die innere Emigration gehen und hoffen, dass der Kelch an einem vorüber geht? Der gehäufte Gebrauch des Wortes Mobbing in unzutreffenden Fällen ist eine Illustration zum Stellenwert der in Deutschland mit Tabus belegten Streitkultur: Wenn man noch streitet, dann nur über Unwichtiges, aber nicht über grundsätzliche Alternativen. Die Ära der Berufsverbote ist abgelöst vom Zeitalter der Denkverbote: Wer wollte jetzt noch in den Ruch kommen, nicht auf dem Boden der freiheitlich-liberalen Grundordnung zu stehen? „Mobbing“ ist ein Beleg für weit verbreitete Konfliktscheue und Beziehungsunfähigkeit. Wie ist es sonst zu verstehen, wenn z. B. ein Schulleiter sich öffentlich beschwert, er werde von einem Kollegen gemobbt, weil dieser ihm in bestimmten Punkten widerspreche und im Kollegium sich darüber austausche?

Die öffentliche Auseinandersetzung, der pluralistische Dialog auf breiter Basis ist abgelöst durch das Diktat der Sachzwänge, das Diktat der betriebswirtschaftlichen Effizienz, die Vorherrschaft von Täuschungs- und Meinungsschablonen, die in Ritualen wie Bundestagsdebatten und Interviews Verwendung finden. Die Vereinnahmung der Opposition findet ständig statt, denn die Verbal- und Kapitalkeule der sich aus der Globalisierung angeblich zwangsweise ergebenden Notwendigkeiten schwebt über jedem, jeder möchte seine Haut retten, vor allem in der Wirtschaftskrise.

Dieser Schulterschluss eint, auch wenn ein „böser Nachbar“ unsichtbar geworden ist. Was bleibt, ist gemeinsam Angst zu haben, eine Zwangsgemeinschaft, die ein Ghetto ohne Mauern darstellt. Fragilisiert wird nur der Einzelne, der befürchtet, ins Lager der Deklassierten wechseln zu müssen, die Gemeinschaft wird aber ununterbrochen durch Zuwachs vergrößert und stabilisiert. Prekär wird dessen Lage, der befürchtet, ins Prekariat abzurutschen, noch mehr für den, der schon dort ist. Was wir erleben, ist somit ein medial verbreiteter und vermittelter Dauerkonflikt mit Meldungen über Individuen, die „dazugehören“ bzw. noch nicht oder nicht mehr, präsentiert und rezeptiert je nach Bedürfnislage als dauernde Verheißung, Mahnung, Warnung oder Tröstung. Es herrscht ein Pluralismus der Orientierungslosigkeit, der dem Rückschritt zu einfachen Lösungen, zu irrationalen Feindbildern Vorschub leistet, die nicht nur von Wortführern wie Thilo Sarrazin artikuliert werden, sondern die Leserbriefspalten der Presse füllt, mit dem Tenor: Wir retten XYZ (vom Genesungspotential des deutschen Wesens will keiner mehr sprechen, aber der Unterschied ist eher verbal). Dem Feind Absolution geben? - Wo kämen wir denn da hin!

1 Friedrich von Schiller, aus „Wilhelm Tell“.

2 Sebastian Haffner (2008), Germany: Jekyll& Hyde, Frankfurt/M., S. 284.

3 Sofia Coppola, *1971, Regisseurin.

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Geschrieben von

bertamberg

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