Fortschritt: Vom Papismus zur Szientabilität

Wissenschaft (3) Was will der Szientabilist? Er mag keine Homöopathie (Die Pillen, da wo nix drin ist) und möchte schon gar nicht , dass darüber geforscht wird.

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"Scientabilität" ist ein von Dr. Christian Weymayr und Nicole Heißmann geprägtes Konzept, das sie zur Beurteilung von sog. "Para- und Pseudowissenschaften" vorschlagen. Sie sind der Auffassung:

„Bevor man klinische Studien macht, sollte man prüfen, ob das Medikament oder das Verfahren den bekannten Naturgesetzen widerspricht. Wenn Naturgesetze verletzt werden, haben klinische Studien keinen Sinn. Im Gegenteil, es ist gefährlich, weil zwangsläufig auch Studien mit positiven Ergebnissen zu erwarten sind, die dann über- oder missinterpretiert werden. " 1)

Sebastian Bartoschek hat gegen dieses Konzept, u. a. ins Feld geführt:

"Ein Konzept wie die Scientabilität dürfte man nicht nur auf die Homöopathie, sondern müsste es auf alle zukünftigen medizinischen und auch naturwissenschaftlichen Entdeckungen und Hypothesen anwenden. Dabei ergibt sich die Gefahr, zukünftigen Umstürzungen der Lehrmeinung im Weg zu stehen: „Die Scientabilität würde in solchen Auseinandersetzungen sehr leicht als Kampfbegriff benutzt werden können, um eine Minderheitenmeinung mundtot zu machen.“ 2)

Weymayr ist der Auffassung: "Scientabilität sei nicht dazu da, Effekte ohne theoretisches Wirkmodell zu leugnen, sondern die Möglichkeit von Effekten, die im Widerspruch zu existenten und bewiesenen theoretischen Modellen stehen, auszuschließen."

Einfacher gesagt: Widersprüche sollen ab sofort der Vergangenheit angehören, indem man aufhört, sich mit Widersprüchen zu beschäftigen und künftig nur noch widerspruchsfreie Wissenschaft abliefert. Das Prinzip von These, Gegenthese und Synthese soll ausgedient haben?

Karen Gloy hat die geschichtliche Entwicklung des sog. wissenschaftlichen Weltbildes als auch des ganzheitlichen Weltverständnisses dargestellt 3) und verweist darauf, dass „ein neues Paradigma, basierend auf dem Gedanken der Selbstorganisation, der Chaosforschung und fraktalen Geometrie im Begriffe [sei], das alte [reduktionistische Modell] definitiv zu verdrängen.“

Definitiv ? -Welcher Reduktionist kriegt da kein Muffensausen? Das Prinzip der Szientabilität ist nun Reduktionismus par excellence und hat seine Vorgänger: Der "Szientismus ist in seiner ursprünglichen Form die Ideologie, dass einzig und allein die Naturwissenschaften Antwort auf die Fragen der Welt geben können. Im Szientismus wird daher über Themengebiete wie Religion oder Metaphysik nicht nachgedacht; diese Dinge werden als sinnlos und nicht- existent erachtet."4)

Wer als Nichtgläubiger nicht über Religion nachdenken möchte, kann das ja tun, aber kann er sich anmaßen, auch von anderen das zu verlangen? Welcher Naturwissenschaftler verlangt die Schließung von theologischen Fakultäten?

Umgekehrt gab es das schon: Der zentralistische römische Papismus hatte keine Probleme damit, Naturwissenschaftler zu bevormunden und manchen Werken von Galilei, Kepler und "ketzerischen" Konsorten das "imprimatur" für länger bis ad infinitum zu verweigern.

Was spricht dagegen, mit dem Kirchenvater Augustinus der Meinung zu sein, dass Unverständliches nicht unbedingt im Gegensatz zur Wirklichkeit stehen muss, sondern vielleicht nur im Gegensatz zu dem, was jemand von der Wirklichkeit versteht?

Was ist mit den Schwierigkeiten, die Physiker haben, uns so etwas elementares wie die Eigenschaften von Wasser oder die Gravitationskräfte nachvollziehbar zu erklären?

Über die grundsätzliche Schwierigkeit, dass etwas, was als Beweis gelten soll, auch als Beweis allgemein akzeptiert wird, möchte ich gar nicht erst anfangen, zu rätseln.

Walach führt gegen die Szientabilität ins Feld: "Fortschritt entsteht, wenn Forscher trotz und gegen die herrschende Meinung ihrer Intuition folgen. [...] Das Kennzeichen von Wissenschaft ist undogmatisches Infragestellen von vermeintlichen Sicherheiten, die man nach ihrer Überwindung Vorurteile, Mythen oder Dogmen nennt (und die vor ihrer Überwindung oft „der wissenschaftliche Standard“ waren)." 5)

Wer Albert Einsteins Dictum "Was wirklich zählt, ist Intuition" erinnert, vermisst am wissenschaftlichen Standard oft genau diese. Aber wer vermisst schon Menschen mit Intuition?

Behnke sagt zu Weymayr: "Kennzeichen einer wissenschaftlichen Theorie ist nach Karl Popper, dass sie prinzipiell widerlegbar sein muss. Genau das ist hier nicht der Fall: An die Stelle der Widerlegbarkeit der Theorie tritt die vollständige Immunisierung gegen alles, was sie als falsch, oder zumindest unvollständig, erweisen könnte." 6)

Vor etwas mehr als 100 Jahren hat ein Physikprofessor das "Ende der Physik" konstatiert, und prophezeit, dass alles entdeckt sei, was es zu entdecken gegeben habe. Dann kamen Einstein und Planck usw. und fanden noch ein paar Nebensächlichkeiten, vom Hicks-Teilchen mal abgesehen.

Auch ist noch gar nicht lange her, dass Francis Fukuyama sogar das "Ende der Geschichte" postulierte 7) und sich heute verwundert die Augen darüber reibt, was seitdem alles passiert ist, als ob es vor fünfundzwanzig Jahren keine fanatischen Mudschahedin gegeben hätte, denen der Westen militärische Aufbauhilfe spendiert hatte.

Aber wenn man keine Widersprüche mehr haben will, macht man es am besten wie Pippi Langstrumpf:

"Zwei mal drei macht vier, widewidewitt und drei macht neune, ich mach mir die Welt, widewide wie sie mir gefällt."

Das Konzept der Scientabilität ist für die Wissenschaft das was der Alleinvertretungsanspruch der katholischen Kirche gegenüber anderen Konfessionen für die Religion ist: Arrogant und fragwürdig.

Einen totalitären Alleinvertretungsanspruch können nur Wissenschaftler haben, die erkenntnistheoretisch noch nicht bewältigt haben, dass der lebende Mensch sich anders verhält als der Leichnam in der Gerichtsmedizin. Ob sie sich dabei auf Mehrheiten berufen können? Keine Frage, todsicher.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

bertamberg

Xundheit! Salut! o! genese! Aufs Ganze gehen, bei Erkennen & Tun, Diagnose & Therapie. Alles ist vollkommen, "wenn das nötige gemacht ist." (Goethe)

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