Taste the Waste - Zur Dialektik des Einkaufens, Essens und Wegwerfens

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Gestern habe ich Valentin Thurns Dokumentarfilm “Taste the Waste” gesehen. So deprimierend es ist, die Vernichtung von Lebensmitteln aus ästhetischen Gründen, (indirekt als Hauptgrund die vermutete fehlende Verkaufsfähigkeit) zu sehen und zu wissen, wieviele Menschen hungern, ist es kein oberflächliches Moralisieren, den Überfluss hier als Folge und Konsequenz des Mangels anderenorts zu brandmarken und eine Änderung des individuellen Kaufverhaltens einzufordern.

Selbst wenn es stimmt: “Den Teller aufzuessen hat noch nie ein armes hungerndes Kind in Afrika gesättigt.” (U. Läntsch) ist die Zurückhaltung, sich nur das auf den Teller zu tun, was man auch aufessen wird, die Folge eines kritischen Bewusstseins und könnte mir ermöglichen, das was übriggeblieben ist, einem Obdachlosen auf der Strasse zukommen zu lassen, wie es im Film von einer Berliner Initiative formuliert wird.

Am ermutigendsten fand ich:

“Die Community Supported Agriculture in den USA geht noch einen Schritt weiter und verzichtet auf jeden Zwischenhandel. Das Modell ist simpel, aber revolutionär: Eine Kooperative von Verbrauchern nimmt direkt Landwirte unter Vertrag und wird dafür regelmäßig mit frischen Produkten aus ökologischem Anbau versorgt. “ (aus: Alles Müll?)

Die Community-Mitglieder zahlen 50 Cent pro Tag und dürfen sich dafür ihren täglichen Bedarf an Gemüse mit nach Hause nehmen. Würden sie von Fastfood satt werden wollen, müssten sie 3-4 Dollar pro Tag ausgeben.

Auch der Bienenzüchter, der auf New Yorker Dächern seine Bienenstöcke aufgestellt hat, zeigt, dass Einzelpersonen mehr tun könnten, wenn sie nur wollten.

Das, was in Europa und Nordamerika an Lebensmitteln weggeworfen wird, könnte alle Hungernden der Erde dreimal satt machen. 15% der globalen Klimabelastung durch Methan entsteht aus Lebensmitteln, die auf Müllkippen verrotten. Diese Lebensmittel fehlen in der Nahrungskette, sie verteuern die Produktion und den Konsum und verursachen dadurch Hunger bei denen, die zu wenig Geld haben.

Die schrittweise Zerstörung der Subsistenzwirtschaft, der Eigenversorgung erscheint mir als gründlichster Ausdruck der Globalisierung der Nahrungsversorgung, das was lokal am nachdrücklichsten erzwungen worden ist, durch Propagierung z.B. westlicher Weißmehlwaren. Einher damit ging der Verlust an Autonomie hinsichtlich des Wissens um die Herkunft und die Zubereitung der Nahrung. Wenn -wie zitiert – ein amerikanisches Kind vor einer Tomatenstaude steht und fragt: “Is this an apple?” wird dies deutlich.

Von daher ist der Appell “Da muss man doch was dagegen machen” nur zu ergänzen mit: Ja, wer will, der kann auch.

Ein Verweis auch auf einen anderen Film: “We feed the world” www.freitag.de/kultur/0617-gespraech-03 von Erwin Wagenhofer, der sagt:

“Jeder kann sofort beginnen. Und sei es nur indem er anderen davon erzählt. Das sind die kleinen Schritte, die gemacht werden müssen. Aber die Leute, die zum Billigsten greifen, die sind eben nicht aufgeklärt. Das ist ein Riesenproblem. Es sagt ihnen auch niemand etwas. Die werden behandelt wie Konsumdeppen. Ich mag schon nicht, wenn ich als Konsument bezeichnet werde. Ich will gar nichts konsumieren. Ich will etwas benutzen. Das ist philosophisch ein ganz anderer Zugang. Und zu diesem Umdenken muss man kommen. Wir können Dinge benutzen und nach uns hoffentlich noch andere. “

Dort ist auch Jean Ziegler zitiert, der sagt:

“Jedes Kind, das verhungert, wird ermordet.”

Regt sich Widerspruch?

Was hilft gegen die Malaise? Gegen die behauptete Unabänderlichkeit der Art von Globalisierung, die wir heute erleben, muss der Gedanke des Wertes der Autonomie des Menschen gehegt werden, als individuelle, lokale, politische, wirtschaftliche Richtgröße.

“Think global, act local” - ob dieser Slogan im Zeichen einer zunehmenden Entmündigung und Abhängigkeit von Individuen und ganzen Volkswirtschaften praktiziert wird, in Anwendung von Mechanismen, die früher gegen unterentwickelte Länder, mittlerweile sich aber auch gegen die Kernländer der ehemaligen Globalisierungsprofiteure richten (de.wikipedia.org/wiki/Economic_Hit_Man) oder aber in Behauptung von lokaler Autonomie, wie sie in den verschieden Zonen von Regionalwährungen (de.wikipedia.org/wiki/Regiogeld) zum Ausdruck kommt, ist die Frage.

“Unsichtbar wird die Dummheit, wenn sie genügend große Ausmaße angenommen hat.” - Auf nichts trifft Bert Brechts Satz besser zu wie auf die Globalisierung antagonistischer ökonomischer Gegensätze auf der Grundlage der Marktnaivität von Adam Smith.

“Convenience food” wird propagiert als bequeme Lösung in einer Gesellschaft, die eine höhere persönlichen Mobilität und die Bereitschaft zu längeren Arbeitswegen einfordert. Wenn gewachsene regionale Gemeinschaften durch Wegzug zerfallen, lokale Arbeitsplätze verloren gehen, wird dies als unabwendbarer Sachzwang dargestellt, obwohl es nur Ausdruck mangelnden politischen Willens ist, andere Prioritäten zu setzen. Wer gegen Überfremdung, gegen Einwanderung von Migranten ist, sollte sich klar machen, dass Hunger, ökonomische Rivalitäten, die Kluft zwischen Arm und Reich zwangsläufig zu Fluchttendenzen führen, zu (il-)legaler Einwanderung in andere Länder, zum Auseinanderfallen von familären Strukturen, zu verstärkter individueller Orientierungslosigkeit. Eine multinational geprägte lokale Gemeinschaft könnte eine Chance zum Frieden werden. Ansätze dazu gibt es. (www.zusammen-ev.de)

Zur Zeit erleben wir aber eher, dass die Grundlagen für Multikulturalität weltweit durch geistige und materielle Streubombenteppiche zerstört werden, so wie es in Sarajewo und anderswo modellhaft vorexerziert wurde. Umso mehr ist das, was wir essen, Ausdruck dessen, was wir sind, welche Entscheidungen wir getroffen haben, uns verhalten wie ein

abhängiger Konsument oder autonomiebedachter Nutzer.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

bertamberg

Xundheit! Salut! o! genese! Aufs Ganze gehen, bei Erkennen & Tun, Diagnose & Therapie. Alles ist vollkommen, "wenn das nötige gemacht ist." (Goethe)

bertamberg

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