Belohnung für Lohndrücker

Zweifelhaftes Heilsrezept Ein verbindlicher Mindestlohn ist mittlerweile vom Tisch - ein Kombilohn soll darüber hinweg trösten

Wie verwandelt man Deutschland in ein Service-Paradies und macht gleichzeitig deutsche Unternehmen wettbewerbsfähiger? Wie integriert man alle möglichen Problemgruppen in den Arbeitsmarkt und geht gleichzeitig gegen die einschlägig bekannte Erwerbsfaulheit von Leistungsbeziehern vor? Ganz klar, mit den Heilsrezepten des Kombilohns scheint alles möglich, gesetzliche Mindestlöhne dagegen braucht kein Mensch.

Auf diese griffige Formel lässt sich das Ergebnis des Koalitionsausschuss-Treffens Mitte Mai bringen. Ein gesetzlicher Mindestlohn, der Arbeitsminister Müntefering seit Monaten am Herzen liegt, ist mit der CDU nicht umzusetzen. Das ist alles andere als überraschend. CDU und CSU besitzen ein grundlegend anderes wirtschaftspolitisches Weltbild, in dem der Mindestlohn zur Ideologie der SPD gehört. Vordergründig behaupten Merkels Mannen, das Thema sei vom Koalitionsvertrag nicht gedeckt. Müntefering, der mit der unpopulären Forderung "Rente mit 67" in Vorleistung ging und diese, früher als im Koalitionsvertrag festgelegt, gegen die eigenen Parteigenossen durchsetzte, fühlt sich jetzt von Merkel besonders allein gelassen. Zwar wird sich der Ausschuss bei seiner nächsten Sitzung am 18. Juni mit dem Thema Mindestlohn erneut beschäftigen - für die SPD der letzte Termin für einen Kompromiss - doch Merkel wird sicherlich von ihrem Nein zum allgemeinen Mindestlohn nicht mehr abrücken.

Damit Vizekanzler Müntefering bei der anstehenden Niederlage nicht vor aller Augen gar so beschädigt dasteht, wird sogleich etwas weiße Salbe angerührt. Ist ein gesetzlicher Mindestlohn nicht möglich, soll die Erweiterung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes, also ein paar zusätzliche Untergrenzen im Lohngefüge, Linderung schaffen. Scheinheilig haben CDU/CSU angeboten, weitere Branchen in dieses Regelwerk aufzunehmen. Bis zum 31. März 2008 sollten die Tarifparteien, die in das Entsendegesetz aufgenommen werden wollten, einfach einen Antrag stellen.

Was einfach klingt, taugt für bundesweit branchenübergreifende Lösungen jedoch nicht. Beim Arbeitnehmer-Entsendegesetz entscheiden allein die Tarifvertragsparteien, ob und in welcher Höhe sie einen Mindestlohnvertrag schließen und ob sie dann einen Antrag für eine Allgemeinverbindlichkeitserklärung bei der Bundesregierung stellen wollen. In der gegenwärtigen Situation steht und fällt das Gelingen solcher Lösungen mit dem gewerkschaftlichen Druck, der in der jeweiligen Branche mobilisiert werden kann, vor allem aber mit den Interessen der Arbeitgeberverbände. Bislang gelten Mindestlöhne nach dem Entsendegesetz nur in vier Branchen, darunter im Baugewerbe und bei den Gebäudereinigern. Geht es nach Müntefering, sollen weitere zehn Branchen über diesen Weg aufgenommen werden, darunter Postdienstleistungen (im Vorfeld der Briefmonopolöffnung), die Zeitarbeitsbranche, das Wachgewerbe, Fleischereien und die Gastronomie. In der Fleischindustrie müsste erst einmal ein Arbeitgeberverband gegründet werden, um zumindest theroretisch einen bundesweiten Branchentarifvertrag abschließen zu können. Und selbst in der Zeitarbeit zeigt sich die Schwierigkeit, über diesen Weg zu einer allgemeinverbindlichen Untergrenze zu kommen. Die beiden größten Arbeitgeberverbände sind schon seit langem für die Einbeziehung ins Entsendegesetz, doch das Veto des dritten kleineren blockiert seit etwa einem Jahr die Bemühungen.

Müntefering schwante wohl, dass derartige branchenbezogene Mindestlohnvarianten aus dem Wolkenkuckucksheim nicht ausreichen, um in der Öffentlichkeit punkten zu können. Deshalb vollführt er in einem zweiten Schritt einen Salto mortale. Mit einem so genannten Erwerbstätigenzuschlag, der nichts anderes ist als der bei der SPD bislang unbeliebte Kombilohn, sollen Geringverdiener künftig ein existenzsicherndes Einkommen erhalten. Bei Bruttolöhnen zwischen 800 und 1.300 Euro will man den Arbeitnehmern ihren Anteil an den Sozialbeiträgen in Höhe von 20 Prozent degressiv auszahlen - gleichzeitig entfällt ihr Anspruch auf Arbeitslosengeld II.

Wohlwollendes Kopfnicken der CDU/ CSU im Koalitionsausschuss sei beobachtet worden, so Parteichef Beck stolz in einem Interview. Doch bis zur nächsten Koalitionsrunde Mitte Juni muss Müntefering seinen Vorschlag erst einmal durchrechnen - bislang sind jedenfalls die finanziellen Konsequenzen noch völlig unklar. Ohne gleichzeitigen Mindestlohn läuft der Erwerbstätigenzuschlag auf eine steuerfinanzierte Subvention von Löhnen hinaus, bemängeln Kritiker zurecht. Die Unternehmen freuen sich, da sie dadurch einfacher Löhne senken können. So warnte das Essener Institut für Arbeit und Qualifikation (IAQ) davor, dass schon der bislang gezahlte faktische "Kombilohn" derjenigen Arbeitnehmer, die mit Hartz IV-Leistungen ihr geringes Einkommen aufstocken, Unternehmen dazu einlädt, Löhne zu drücken. Ganz einfach, weil sie sich darauf verlassen können, dass der Staat die Ausfallbürgschaft übernimmt. Im Oktober 2006 gab es bereits 1,1 Millionen Beschäftigte mit Hartz-Ergänzung, fast die Hälfte von ihnen arbeiten in Vollzeit. Immerhin plant Müntefering bei seiner Variante offenbar keine Bedürftigkeitsprüfungen und nimmt damit nicht wie bei den Hartz IV-Bedarfsgemeinschaften die Familien und Lebenspartnerschaften in finanzielle Sippenhaft.

Wenn Müntefering im Juni mit dem gesetzlichen Mindestlohn sehr wahrscheinlich scheitern wird, ist das nicht nur dem Koalitionspartner, sondern gegenwärtig auch großen Teilen der übrigen SPD-Führungsriege eigentlich ganz recht. Relativ offen wird schon heute mit dem Gedanken gespielt, den gesetzlichen Mindestlohn dann zum Thema der nächsten Landtagswahlkämpfe und abschließend zum Dreh- und Angelpunkt der nächsten Bundestagswahl zu machen.

Will man das Anliegen der Bevölkerung jedoch glaubhaft rüberbringen, wird man sich cleverer und ehrlicher als jüngst im Landtag Brandenburg verhalten müssen, wo die SPD mit einer reichlich desolaten CDU als Juniorpartner in Koalition regiert. Dort hatte sich die oppositionelle PDS-Fraktion Ende April einen Schelmenstreich ausgedacht. Sie schrieb einfach einen Aufruf der Bundes-SPD zum Thema Mindestlohn Wort für Wort ab und brachte ihn anschließend als eigenen Antrag im Parlament zur Abstimmung. Man begrüße, so betonte die PDS-Fraktion genüsslich, dass die SPD auf Bundesebene schon zu ähnlichen Erkenntnissen wie die Brandenburger PDS gekommen sei. Wie nicht anders zu erwarten, ließ die SPD sich vorführen und stimmte im Landtag dagegen.


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