Brennend heißer Wüstensand

Saudi-Arabien Der Arabische Frühling zwingt zur Reform des nationalen Arbeitsmarktes. Kaum irgendwo sonst in der Region ist der Erfolgsdruck so hoch wie in der Golfmonarchie
Brennend heißer Wüstensand

Foto: Fayez Nureldine / AFP / Getty

Der Arabische Frühling hat auch die saudi-arabische Hauptstadt Riad erreicht, allerdings nur als laues Lüftchen. Vor zwei Jahren gingen einige tausend Demonstranten auf die Straße, die politische und wirtschaftliche Reformen forderten. Gestützt durch Einnahmen aus dem Öl- und Gas-Geschäft wurden die ohnehin eher moderaten Proteste umgehend finanziell befriedet. Durch einen flächendeckenden Schuldenerlass für saudische Familien, einen Lohnschub für Staatsbedienstete und zinsfreie Kredite für Geschäftsgründer prasselten ab Mai 2011 umgerechnet 37 Milliarden Euro auf die Untertanen herab. Kurze Zeit später legte die Regierung 93 Milliarden Euro für 500.000 neue Wohnungen nach. Mit derartigen Wohltaten hat sich das Königshaus die Gefolgschaft seiner Untertanen bis heute ohne größere soziale Unruhen sichern können. Allerdings wurde damit nur wenig für die Interessen und Bedürfnisse vieler junger Saudis im Alter zwischen 20 und 30 Jahren getan. Denn sie haben trotz guter Ausbildung kaum eine Chance auf einen Job.

Hinderliches Status-Denken

Also widmet sich die Regierung derzeit einer zuweilen hektisch vorangetriebenen Reform des Arbeitsmarkts. Nur ist der kein Markt wie jeder andere. Denn rund die Hälfte der Erwerbstätigen in Saudi-Arabien sind Ausländer – sie kommen aus Ägypten, Tunesien und dem Jemen ebenso wie aus Bangladesch, Indien oder Pakistan. Aber während in der teils hoch entwickelten Privatökonomie, die seit Jahren ansehnliche Wachstumsraten vorweist, der Ausländeranteil bei knapp 90 Prozent liegt (in einzelnen Branchen darüber), dominieren die Einheimischen den finanziell üppig ausgestatteten Staatssektor mit einem Anteil von ebenfalls 90 Prozent. Damit trägt der saudische Arbeitsmarkt ähnlich bizarre Züge wie der anderer Golfstaaten. Wegen der schieren Größe der saudischen Volkswirtschaft ist aber mit einem schnellen Erfolg der begonnenen Reformen nicht zu rechnen.

Was jahrzehntelang mit den märchenhaften finanziellen Ressourcen des Königshauses ausbalanciert werden konnte, sorgt angesichts einer absehbar schrumpfenden Ölproduktion und des demografischen Trends zunehmend für Nervosität. Mehr als die Hälfte der 28,5 Millionen Saudis ist jünger als 16. In diesem Jahr werden etwa 430.000 Absolventen von Schulen und Universitäten auf den Arbeitsmarkt drängen. Dass sie der öffentliche Sektor wie bisher auffängt, ist ausgeschlossen. Das heißt, viele werden von der Ausbildung in die Arbeitslosigkeit driften.

Zwar wird die augenblickliche Erwerbslosigkeit offiziell mit elf Prozent ausgewiesen, doch sind in der Gruppe der unter 30-Jährigen – immerhin 70 Prozent der Bevölkerung – knapp 27 Prozent als beschäftigungslos registriert, bei den unter 24-Jährigen sogar 40 Prozent. Dass diese Zahlen die Realität nicht annähernd widerspiegeln, hat die erstmalige Einführung eines landesweiten Arbeitslosengeldes Ende 2011 gezeigt, als statt der amtlich registrierten 450.000 Arbeitslosen etwa 3,5 Millionen Menschen diese Leistung beantragten. Nur durch großen administrativen Druck und das Beharren auf einer Altersgrenze von 35 Jahren blieben gut eine Million Bedürftige übrig, die alimentiert werden mussten. Diese Episode ist nur ein Indiz dafür, wie brisant die soziale Lage auf dem Arbeitsmarkt bereits ist.

Bei einer geschätzten realen Arbeitslosigkeit von 50 Prozent versucht der saudische Staat momentan, möglichst vielen seiner Staatsbürger eine Beschäftigung zu geben, indem ausländische Arbeitskräfte verdrängt werden. Nur stößt das auf mentale Barrieren. Saudische Arbeitnehmer, die sich durch ein anerzogenes Status-Denken Gastarbeitern gegenüber sozial überlegen fühlen, werden einer Vermittlungsoffensive ausgesetzt, die auf bisherige Privilegien wenig Rücksicht nimmt. Wer dazu aufgefordert wird, muss seine Arbeitskraft größtenteils Unternehmen anbieten, die an billige Löhne und demütige Angestellte gewöhnt sind.

Also greift die Regierung auf „Aktivierungsmaßnahmen“ zurück, um das Arbeiten in ungeliebten Branchen und Tätigkeiten zu erzwingen. Da eine nationale Arbeitsagentur fehlt, nimmt man die Dienste regionaler Dependancen multinationaler, vor allem US-amerikanischer Beratungsfirmen in Anspruch. Auch westliche Bildungsdienstleister bieten sich an, um die Qualifikationsdefizite der verwöhnten, jahrzehntelang allein auf akademische Bildung getrimmten Landeskinder zu beheben.

Der Dessous-Krieg

Flankiert werden diese Leistungsimporte von der 2006 begonnenen „Saudisierungskampagne“, die nun endlich den erwünschten Erfolg haben soll. Dümpelte diese Kampagne zunächst vor sich hin, weht dank des ehrgeizigen Arbeitsministers Adel Fakeih für die etablierten Unternehmen seit 2011 tatsächlich ein schärferer Wind. Das Saudisierungs-Programm NITAQAT schreibt für alle Branchen eine nach der jeweiligen Beschäftigtenzahl gestaffelte Saudisierungsquote vor. Davon ausgenommen bleiben Betriebe mit weniger als zehn Beschäftigten. Folglich gilt: Je größer eine Firma, desto höher der vorgegebene Anteil saudischer Arbeitnehmer. Da bei Weitem nicht alle die Vorgaben erfüllen, werden die Unternehmen jährlich eingestuft. Zu vergeben sind die Kategorien „rot“, „gelb“, „grün“ – und „ausgezeichnet“. Letzteres steht für einen saudischen Belegschaftsanteil von derzeit weitgehend illusorischen 40 Prozent. Das Raten-System kann mit Strafgeldern verbunden sein oder zu Vergünstigungen wie Investitionshilfen führen.

Was an diesem Regelsystem in der Theorie schlüssig wirkt, hakt in der Praxis. Kontrollen werden nicht überall anberaumt. Es gibt keinerlei Transparenz über ermittelte Ergebnisse. Auch kreative Ausweichmanöver von Unternehmen, die einheimische Arbeitskräfte gar nicht einstellen wollen, gibt es zuhauf. Legendär wurde die bis Mitte 2012 verzweifelte Suche großer Betriebe nach behinderten Saudis, die häufig mit dem Versprechen geködert wurden, bei der Unterschrift unter einen Anstellungsvertrag nie zur Arbeit erscheinen zu müssen. Nachdem dieses Schlupfloch geschlossen wurde, versuchen sich viele Firmen an der gezielten Zergliederung, um mit scheinselbstständigen Betriebsteilen unter die magische Grenze von zehn Beschäftigten zu kommen und fortfahren zu können wie bisher. Auch ein Angebot der Wirtschaftsverbände an den Staat, dass sich Unternehmen durch einen mäßig teuren Ablasshandel ganz offiziell von den Auflagen freikaufen dürfen, liegt auf dem Tisch und scheint bei der Regierung nicht auf totale Ablehnung zu stoßen.

Inwieweit die ambitionierte Nationalisierung des Arbeitsmarktes den gewünschten Effekt hat, scheint deshalb eher fraglich. Wenngleich bei Bedarf natürlich jederzeit statistisch nicht nachprüfbare Erfolge präsentiert werden. Eine Gewinner-Gruppe gibt es auf jeden Fall: die saudischen Frauen. Wegen des Autofahrverbots in ihrer Mobilität eingeschränkt und bis vor Kurzem ohne Erlaubnis, einer Arbeit im „öffentlichen Raum“ nachzugehen, stellen sie mit 85 Prozent die Mehrheit der Arbeitslosen, die man unbedingt beschäftigen will. Dass dies nicht allein durch ein weiter aufgeblähtes Bildungs- und Krankenhauswesen gelingen kann, ist offenkundig. Das seit 2012 von saudischen Frauen-Verbänden in einem engagiert geführten „Dessous-Krieg“ erkämpfte Recht, allein als Verkäuferinnen für Konfektion und Wäsche in einem Geschäft tätig zu sein, dürfte über kurz oder lang auch andere Biotope des Einzelhandels erfassen. Dass heute selbst in Riad viele der dunkelverglasten Limousinen von Frauen gesteuert werden, ist mittlerweile ein offenes Geheimnis.

Berthold Paetz ist Ökonom und arbeitet zu europäischer und internationaler Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik

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