Die jüngste Debatte um geplante Diätenerhöhungen zeigte es deutlich: Dass Bundestagsabgeordnete die Entwicklung ihrer Bezüge ausgerechnet an die Einkommensentwicklung oberster Richter koppeln, ist umstritten. Wenn überhaupt, ergibt diese Argumentation nur in umgekehrter Richtung einen Sinn. Immer häufiger sind die obersten Richter des Bundesverfassungsgerichtes in den letzten Jahren gezwungen, rechtlich fragwürdige Vorgaben des Bundestags in letzter Instanz zu stoppen und damit selbst Politik zu machen. In aller Regel aber erst Jahre nach Inkrafttreten dieser Regelungen und ohne rückwirkende Korrektur.
Nachdem Karlsruhe vor wenigen Monaten die Rechtskonstruktion der ARGE für die Betreuung von Empfängern des Arbeitslosengeldes II als verfassungswidrig einstufte, deutet sich im Bereich der Arbeitsmarktpolitik nun schon die nächste Korrektur an. Ausgerechnet die Arbeitgeberverbände kündigten - mit seltener Unterstützung durch den DGB - jetzt an, bereits in Vorbereitungen für eine Verfassungsklage in Karlsruhe zu sein. Auf diesem Weg will man die Abschaffung des so genannten Eingliederungsbeitrags erzwingen. Dieser seit Anfang 2008 vom Bundeshaushalt aus dem Beitragshaushalt der Bundesagentur für Arbeit (BA) abgezweigte Beitrag in Höhe von jährlich fünf Milliarden Euro soll einen Anteil an den Bundesaufwendungen zur Reintegration der ALG-II-Bezieher leisten. Faktisch bedeutet dies: Ein Teil der derzeit monatlich von allen sozialversicherungspflichtig Beschäftigten erhobenen Beiträge zur Arbeitslosenversicherung kommt nicht dem Kreis der Empfänger von Arbeitslosengeld I zugute. Für die Finanzierung des Arbeitslosengeldes II aber ist gesetzlich fixiert eine hundertprozentige Steuerfinanzierung aus dem Bundeshaushalt einzuhalten. Es handelt sich folglich um die faktische Umdeklarierung zweckgebundener Beitragsgelder zu Steuern mit allgemeinem Deckungscharakter - was so eindeutig rechtswidrig ist, dass man eigentlich kein Gericht damit behelligen müsste.
Verfassungswidrig war sogar schon die bis Ende 2007 geltende Vorläuferregelung. Dem damaligen Aussteuerungsbeitrag konnte man aber immerhin noch Lenkungswirkungen für eine effektive Vermittlung von Erwerbslosen zugestehen: Von den Agenturen für Arbeit war an den Bundeshaushalt für jeden Arbeitslosen immer dann ein "Bußgeld" fällig, wenn dieser binnen eines Jahres nicht vermittelt und deshalb zum Empfänger von Arbeitslosengeld II wurde. Diese sprudelnde Quelle, die dem Bundeshaushalt zunächst Milliarden zuführte, trocknete wegen besserer Vermittlungsergebnisse in den Agenturen und einem günstigeren konjunkturellem Umfeld zum Jahresende aber immer mehr aus.
So sehr, dass der Bundesfinanzminister zum Jahreswechsel die Maske fallen ließ. Es ging nämlich gar nicht so sehr um bessere Vermittlung. Der seither geltende Eingliederungsbeitrag berechnet sich allein nach den Kosten der für die Umsetzung des Arbeitslosengeldes II zuständigen Bürokratie und verspricht einen kontinuierlichen Mittelzufluss aus Nürnberg.
Arbeitgeber und DGB sind sich nur bei der rechtlichen Beurteilung einig
Sind sich Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften bei der rechtlichen Beurteilung des Sachverhaltes einig, offenbaren sich dahinter durchaus verschiedene Positionen: Getragen von dem Gedanken, dass aktive arbeitsmarktpolitische Maßnahmen in den Arbeitsagenturen ohnehin Geldverschwendung darstellen und den Druck auf die Betroffenen nur unnötig verringern, verfolgt die Unternehmenslobby mit der angedrohten Verfassungsbeschwerde allein das Ziel, die Senkung des Beitragssatzes zur Arbeitslosenversicherung von derzeit 3,3 auf dann 2,7 Prozent zum Jahreswechsel zu erzwingen. Erst zum Beginn dieses Jahres war er von 4,2 auf 3,3 Prozent gesunken.
Unabhängig vom Streit um den Eingliederungsbeitrag wird in der Koalition erwogen, den Beitragssatz zum 1. Januar 2009 erneut zu senken - auf dann 3,0 Prozent. Die Gewerkschaften betonen dagegen, dass vor größeren Beitragssenkungen die Finanzierungsbasis der Bundesagentur für möglicherweise schon bald wieder steigende Arbeitslosenzahlen gesichert werden müsste. Nur so könne vermieden werden, dass bei einem erneuten Anziehen der Erwerbslosigkeit der Ruf nach neuerlichen Leistungskürzungen für Arbeitslose in der Öffentlichkeit als alternativloser Sachzwang behandelt wird. Was dagegen im Bereich der ALG-II-Empfänger an Maßnahmen gefördert werden müsste, soll - wie vom Gesetz vorgesehen - voll aus Steuermitteln finanziert werden. Annelie Buntenbach, arbeitsmarktpolitische Sprecherin im DGB-Bundesvorstand, betonte, dass mit der von der Bundesregierung derzeit geplanten Neuausrichtung arbeitsmarktpolitischer Instrumente zukünftig sogar weitere Umleitungen von Beitragsgeldern in den Haushalt verbunden wären. "Wir halten es für falsch", so Buntenbach, "wenn das Nachholen des Hauptschulabschlusses für jugendliche Hartz-IV-Empfänger dann noch stärker als jetzt schon aus den Beiträgen zur Arbeitslosenversicherung finanziert werden soll." So sinnvoll das auch sein möge, die Finanzierung wäre Sache des Finanzministers. Die rechtswidrige Sanierung des Bundeshaushalts auf Kosten der Arbeitslosenversicherung geht damit schon bald in eine weitere Runde.
Peer Steinbrück muss dass nicht erschüttern. Bis Karlsruher Richter auf eine eingereichte Klage hin eine fragwürdige Praxis mit ihrem Stoppzeichen versehen, ist die Legislaturperiode mit Sicherheit vorbei.
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