In Deutschland gibt es Kommissionen, weil unattraktive Politik von Zeit zu Zeit als alternativloser Sachzwang dargestellt werden muss. Nimmt man sie wie die "Monopolkommission" der Bundesregierung öffentlich kaum wahr, ist das eher ein Beleg, dass ihre Maßstäbe und Empfehlungen längst in der Praxis angekommen sind. Alle zwei Jahre muss dem Bundeswirtschaftsminister eigentlich ein Hauptgutachten zum Stand der Wettbewerbsverhältnisse mit Empfehlungen zur weiteren Deregulierung sowie zum Verzicht auf staatlichen Einfluss in der Wirtschaft vorgelegt werden.
Mit Mehr Wettbewerb auch im Dienstleistungssektor! war das Gutachten 2006 überschrieben (wenn allgemein fast alles im Lot ist, darf man auch mal Einzelschauplätze beleuchten). Denn noch immer gilt die von der Kommission 2004 verkündete Null-Toleranz-Regel für jegliche Industriepolitik. Mit dem damaligen Gutachten Wettbewerbspolitik im Schatten nationaler Champions schlug sie unter großem Beifall der Wirtschaftsverbände eine scheinbar ewige Bresche in die Vorstellung, der Staat könnte indirekt oder gar direkt Industriepolitik betreiben - und hackte en passant auf Frankreich herum, das Kernbereiche der Wirtschaft an der langen politischen Leine hält. Dezidiert falsch sei die Vorstellung, so die Autoren, die staatliche Begünstigung "nationaler Champions" in strategischen Wirtschaftssektoren stärke die Wettbewerbsfähigkeit und sei im nationalen Interesse, "auch wenn der Politiker diesen Zusammenhang nicht wahrnimmt".
Angst vor möglichen Übernahmen
Im Sommer 2008 ist das nächste Gutachten fällig, und man darf jetzt schon auf das Schwerpunktthema gespannt sein, denn plötzlich scheint alles anders. Nahm man bisher feindliche Übernahmen ausländischer Heuschrecken achselzuckend zur Kenntnis, droht jäh die Gefahr aus dem Osten. Die Reste des "rheinischen Kapitalismus" umwehen kalte Steppenwinde., er liegt demnächst auf der Streckbank ausländischer "Staatsfonds". Das schweißt zusammen: Die deutsch-französische Rivalität ob der Pariser Wirtschaftsprotektion weicht in atemberaubendem Tempo einem Erfahrungsaustausch mit Monsieur Sarkozy. Bei der EU-Kommission - lange Zeit Speerspitze der Deregulierung - prüft man seit kurzem, wie sich unerwünschte Kapital-Eindringlinge legal abwehren lassen.
Es ist schon ein Kreuz mit der Globalisierung, wenn ressourcenreiche Staaten wie Russland, Saudi-Arabien, die Golfemirate oder China als "Werkbank der globalisierten Welt" nicht länger langweilige US-Staatsanleihen kaufen, sondern sich für renditeträchtige Anlagen und auch technologisch qualifizierte Unternehmen anderswo erwärmen. Dank der Exporteinnahmen wurden in etlichen Staaten gewaltige Währungsreserven angehäuft - allein China soll mehr als 1,2 Billionen Euro für strategische Investitionen vorrätig haben. Da grassiert die Angst vor möglichen Übernahmen und beschert der großen Koalition ein überraschendes Konsens-Thema.
Als die staatliche russische Vneshtorgbank Ende 2006 fünf Prozent an EADS übernahm und alsbald auf ein Viertel der Anteile (inklusive der Mitsprachrechte) gehen wollte, wurde sie abgeblockt. Anfang 2007 lehnte das Bundeskabinett auch das Angebot des russischen Unternehmens Sistema ab, den noch vom Bund gehaltenen Anteil an der Deutschen Telekom zu kaufen. Auch die Energieversorger RWE und Eon, sogar die Deutsche Bank gelten als Zielscheibe staatlich gelenkter Fonds. "Die Bundesregierung sollte sich überlegen, wie sie politisch auf die neue Form des Staatskapitalismus reagieren will", meint Deutsche Bank-Chef Josef Ackermann, der bislang als Stamokap-Vertreter nicht auffällig wurde. Im Mai stieg der staatliche Investmentsfonds Dubais (DIFC) mit 1,4 Milliarden Euro bei Ackermann ein.
Wolf im Schafspelz
Kein anderes Thema ist in so kurzer Zeit zur Chefsache avanciert. Mit den Staatsfonds, so Merkel, habe sich eine neue Anlageform etabliert, auf die "man nicht einfach so reagieren kann, als ob es sich hier um ganz normale Fonds von privat angelegtem Kapital handelt". Anders als bei privaten Fonds seien hier die Anleger neben Rendite auch auf politischen Einfluss und Technologietransfer aus.
Was tun, wenn - vorrangig russische - Unternehmen in der Eigentümerstruktur gar keine Staatsbeteiligung ausweisen, aber dennoch dem politisch-industriellen Komplex zugeordnet werden müssen? Russlands Beitritt zur Welthandelsorganisation (WTO) steht unmittelbar bevor. Es dürfte schwer fallen, diesen Partner dann noch in die "Ecke des Bösen" zu stellen. Was tun, wenn die Kollekte robuster Anleger künftig nicht aus Staatseinnahmen, sondern aus Beiträgen von Beschäftigten stammt? Analog des großen kalifornischen Pensionsfonds für Lehrer dann eben mal für russische Pädagogen. Oder was tun, wenn WTO-Mitglied China nicht direkt über seinen im Aufbau befindlichen neuen großen Staatsfonds, sondern wieder einmal als "Wolf im Schafspelz" investiert? So geschehen im Juni beim Börsengang des Finanzinvestors Blackstone - von den insgesamt 12,3 Prozent Streubesitz dieses Fonds entfallen allein zehn Prozent auf den chinesischen Staat.
Eilig wird nun in Arbeitsgruppen der Koalition versucht, rechtliche Riegel zu präparieren, Herkunftsländer auszuschließen (Tendenz CDU) oder bestimmte Industriebereiche zu tabuisieren (Tendenz SPD). Ideen für ein Abwehrreglement setzen auf das Prinzip der Gegenseitigkeit - lässt du mich rein, lass ich dich rein. Andere Ideen favorisieren die Ausweitung einer mit dem Außenhandelsgesetz schon heute für Rüstungsfirmen bestehenden Genehmigungspflicht für Anteile ausländischer Investoren auf Telekommunikation und Energie, den Postsektor, Häfen, Flughäfen und die Bahn. Für all das wird die Idee einer zu gründenden Kontrollagentur im Finanzministerium allzu eifrig dementiert, um nicht doch schon vorbereitet zu werden.
Es ist aufschlussreich zu beobachten, wie einige der neu ernannten Industriepolitiker die Suppe auslöffeln, die sie Ende der neunziger Jahre angerührt haben. Es sei daran erinnert, dass ausgerechnet die rot-grüne Regierung Rahmenbedingungen schuf, um Übernahmen - inklusive so genannter feindlicher Übernahmen - deutlich zu erleichtern. Ohne großes Aufsehen und im Konsens mit CDU/CSU wurde ab 2002 die Steuer auf die beim Verkauf erzielten Beteiligungsgewinne abgeschafft. Auf der Webseite des Finanzministeriums war seinerzeit zu lesen: "Ausländische Investoren erhalten Gelegenheit, sich an deutschen Unternehmen zu beteiligen, weil Aktienpakete auf den Markt kommen, die zuvor aus steuerlichen Gründen nicht veräußert worden sind."
Eine Einladung, die nicht nur einem erwählten Kreis vorbehalten bleiben kann, wenn sonst das Hohelied der Globalisierung gesungen wird. Erfreulicherweise haben die Gewerkschaften in der Debatte die Chance ergriffen, wenigstens den kleinen Zeh in die überraschend geöffnete Tür zu bekommen. Die Idee der Kontrollbehörde könnte auf ihre Unterstützung zählen, wenn auch die Folgen für Beschäftigte, Städte und Gemeinden mit in die Risikobewertung ausländischer Übernahmen einbezogen würden. Wenn schon nationales Interesse beim Schutz "vor den Russen", warum dann nicht auch bei Beschäftigung und sozialen Fragen? Man darf gespannt sein, mit welchen argumentativen Kunstgriffen die neuen Industriepolitiker darauf reagieren.
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