Wer will noch in die Röhre gucken, seit es Flachbildschirme gibt? Als Samsung 1994 die Fernsehglas Tschernitz GmbH übernahm, ahnte in der Lausitz niemand die Konsequenzen der Produktrevolution. 2006 produzierte man dort das Glas für den weltweit flachsten Röhrenfernseher. Es half nichts mehr. Ende August 2007 kam das Aus für das Werk. Ein Schock für die Beschäftigten. Erwerbslos wurde trotzdem kaum einer.
Die Zauberformel für über 330 Entlassene: Übertritt in eine „Transfergesellschaft“. Der Schritt war gleichbedeutend mit dem endgültigen Abschied von der Firma. Jedoch gewannen die Betroffenen ein zusätzliches Jahr, in dem statt 67 Prozent Arbeitslosengeld ein durch Sozialplanmittel aufgestocktes Transfer-Kurzarbeitergeld von 80 Prozent gezahlt wurde. Zudem kümmerten sich erfahrene Experten um Qualifikation und Selbstbewusstsein, um neue Jobs in und außerhalb der Region.
Reintegrationsquote von knapp 80 Prozent
„Wir haben in Tschernitz mit einem Betreuungsschlüssel von 1 zu 40 gearbeitet. Für die Betroffenen hieß das: Mein Berater hat pro Woche eine Stunde Zeit für mich. Das ist Lichtjahre entfernt von der Praxis der Arbeitsagenturen.“ Siegfried Backes, Geschäftsführer der Berliner Personaltransfer GmbH, hat seit Jahren kein Problem damit, sich mit der Nürnberger Bürokratie vor Ort zu messen. Im Fall Tschernitz hieß das: Bis zum September 2008 wurde individuelle Berufswegeplanung betrieben, psychologisch betreut, einzelfallbezogen qualifiziert, wurden viele potenzielle Arbeitgeber abgeklappert. Am Ende wurde in Kooperation mit einem regionalen Partner eine Reintegrationsquote von knapp 80 Prozent erreicht. Auch wenn ein Investor in der Nähe eine größere Anzahl von Menschen en bloc einstellte. Für die strukturschwache Lausitz ist das eine Traumquote.
Was liegt also näher, als Transfer-Kurzarbeit auf ganz Deutschland auszudehnen? Derartige Gedanken treiben große Koalition, Unternehmensverbände und Gewerkschaften um, seit sich immer deutlicher das wahre Ausmaß der Beschäftigungskrise herausschält. Hunderttausende Jobs sind akut bedroht. Fieberhaft wird daher versucht, einen zweiten Damm zu errichten, der all jene auffangen soll, die nicht mehr vom bisherigen Kurzarbeits-Modell gehalten werden können.
Seit Oktober 2008 gingen bei der Bundesagentur rund 2,2 Millionen Anzeigen für konjunkturelle Kurzarbeit ein. Unternehmen müssen für die Betroffenen nur geringe Sozialbeiträge zahlen – oder gar keine, wenn die Beschäftigten währenddessen qualifiziert werden. Die rasant steigenden Fallzahlen sprechen auch nicht für große bürokratische Hürden bei der Beantragung. Warum braucht man dann eine andere Variante der Kurzarbeit?
Die Sache hat für die Unternehmen, die bereits auf Kurzarbeit gesetzt haben, nun aber doch entlassen wollen, einen Haken. Wer konjunkturell bedingt in Kurzarbeit geschickt wird, bei dem geht der Gesetzgeber davon aus, dass nach einer bestimmten Zeit wieder voll gearbeitet wird. Man kann aus dieser Form der Kurzarbeit daher nicht einfach gekündigt werden. Verbürgt sind Fälle in Nordrhein-Westfalen, in denen unter falschen Voraussetzungen gezahlte Fördermittel an die Arbeitsagenturen zurückgezahlt werden mussten.
Büchse der Pandora
Wenn nun auf die Transfer-Kurzarbeit gesetzt wird, kommt das dem Eingeständnis gleich, dass am Frühsommer Entlassungen in großem Stil zu erwarten sind. In dieser Woche befasst sich der Verwaltungsrat der Nürnberger Bundesagentur mit dem bisherigen Nischeninstrument – und versucht es flächentauglich zu machen. Doch das führt zu Problemen.
Bisher ist es nicht möglich, Transfer-Kurzarbeitern eine bevorrechtigte Rückkehroption in den alten Betrieb zu gewähren. Der Gesetzgeber will damit verhindern, dass Unternehmen gekündigte Mitarbeiter kostengünstig parken, um sie anschließend zu neuen, billigeren Konditionen wieder einzustellen. Nach dem Willen des Arbeitgeberverbands Gesamtmetall soll diese Regelung demnächst wegfallen. Die Praxis wird dabei zwar der von Insolvenzverwaltern angeglichen, bei denen frühere Beschäftigte häufig ein verbrieftes Rückkehrrecht erhalten. Andererseits: Ist die Büchse der Pandora erst einmal geöffnet, wird man gigantischen Mitnahmeeffekten und arbeitsrechtlichen Vermeidungsstrategien kaum mehr beikommen können. Wer glaubt heute noch an Selbstverpflichtungen der Wirtschaft?
Siegfried Backes sieht zudem ein Qualitätsproblem bei den Anbietern. „Viele Beratungsunternehmen, die Transferleistungen anbieten, arbeiten nicht transparent und melden zweifelhafte Erfolge.“ Ob tatsächlich eine Wiedereingliederung aus der Transfer-Kurzarbeit gelingt oder sich nur die Wartezeit bis zum ersten Arbeitslosengeld hinauszögert, hängt nicht vom Instrument, wohl aber von seiner Umsetzung ab. Messbare Vorteile gegenüber der normalen Vermittlung durch die Arbeitsagenturen sind im Durchschnitt bisher nicht nachweisbar. Mit 20 anderen Anbietern, die sich ihre Verfahren laufend zertifizieren lassen und auf Transparenz setzen, hat sich Backes zu einem eigenen „Bundesverband der Träger im Beschäftigtentransfer“ zusammengeschlossen – in der Branche eine Minderheit. Und die Qualitätsprobleme könnten in der Krise jetzt noch wachsen: „Die Gefahr ist groß, dass mit neuen Discountmodellen und unerfahrenen Anbietern das ganze Instrument in Verruf gebracht wird“, sagt Backes in Erwartung der Ausweitung des Instrumentes Transfer-Kurzarbeit.
Auszuschließen ist das nicht. Schon einmal gab es mit der „vermittlungsorientierten Zeitarbeit“ ein hochinteressantes Nischeninstrument. Bis der Bund es unter hohem Zeitdruck flächendeckend einführte, die Vorgaben zurechtstutzte, zahllose Anbieter sich plötzlich als Experten ausgaben und um die begrenzte Zahl aufnahmefähiger Unternehmen konkurrierten. Was aus den „Personal-Service-Agenturen“ des Peter Hartz wurde, ist Geschichte.
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