Glos I folgt Hartz IV

Endlich Neuer Stern am Himmel deutscher Arbeitsmarktreformer

Maximal 18 oder nun 24 Monate ALG I-Bezug für Ältere? Dass der SPD-Parteitag die Drohkulisse Hartz IV nur marginal verändern würde, hat im Süden auch Michael Glos geahnt - und im Wochenendinterview mit der Welt am 27. Oktober stattdessen mal eine wirklich neue Idee präsentiert. Am besten die Laufzeit so belassen, und wer denn wirklich eine längere ALG I-Laufzeit wünsche, der solle sich zu einer Zusatzversicherung in Nürnberg durchringen. Natürlich nur, damit das Modell "kostenneutral" für die Bundesagentur für Arbeit bliebe.

Kostenneutral? Bestenfalls im Sinne dessen, was Arbeitslosigkeit pro arbeitsloser Person heutzutage kosten darf. Denn die ALG I-Versicherung, finanziert durch Beiträge zur Arbeitslosenversicherung, ist alles andere als kostenneutral. Nach drei Vierteln des Jahres werden Überschüsse von 6,5 Milliarden Euro prognostiziert, mit Sicherheit wird dieser Wert im beschäftigungsstarken vierten Quartal noch übertroffen. Michael Glos, den neuen Stern am Himmel deutscher Arbeitsmarktreformer, ficht das nicht an. Das Modell sei doch bewährt. Leistungen, die einst den so genannten Wohlfahrtsstaat ausmachten, gibt es in rudimentärer Form weiter vom Staat - wer mehr will, soll selber draufsatteln. Seit Jahren kennt man diese Argumentationsmuster von der Gesundheitsreform, der Riester- und Rürup-Rente. Seit 2001 müssen alle nach 1961 Geborenen das Risiko ihrer Berufsunfähigkeit statt mit den Rentenversicherungsbeiträgen selbst abdecken.

Und nun Zusatzbeiträge für längere ALG-Laufzeiten? Unwillkürlich stellen sich humorige Assoziationen ein. Kommt Herr Kaiser im Werbespot vor der Tagesschau bald aus Nürnberg? Keine Angst. Glos´ Vorschlag spannt die Behörde nur so lange vor seinen Karren, bis die private Versicherungswirtschaft wegen staatlicher Wettbewerbsverzerrung Protest erhebt und sich ins Spiel bringt. Und dann? Lobbyisten der Versicherungskonzerne künftig Arm in Arm mit Gewerkschaftlern im knallharten Widerstand gegen weitere Lockerungen beim Kündigungsschutz? Schließlich hat man kein Interesse daran, Arbeitslosigkeit zu finanzieren!

Im Übrigen sind private Versicherungen gegen Arbeitslosigkeit längst keine Fiktion mehr. Das Geschäft mit der Angst blüht durchaus, wie die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen im Februar festgestellt hat. Über Jahre hinweg hohe Arbeitslosenzahlen haben die Branche zu "Arbeitnehmerschutzbriefen" und Ähnlichem animiert. Aber ob als Ergänzung zum staatlichen Arbeitslosengeld oder als eigenständige Vollleistung konzipiert, der Knackpunkt sei halt immer derselbe: Die Versicherung, die freiwillig eine Police anbietet, bei der sie aufgrund zahlreicher "Schadensfälle" höchstwahrscheinlich wenig Gewinne erwirtschaftet oder gar drauflegt, müsse erst noch erfunden werden. Und deswegen lauern Fußangeln fast überall: Beschränkung der Leistungen auf meist ein oder zwei Jahre, danach muss die Prämie wieder gezahlt werden, die Kündigung des Arbeitsverhältnisses muss unverschuldet sein und darf nicht "erkennbar bevorstehen", Auszahlung erst nach einer zwei- bis dreimonatigen Karenzzeit. Meist muss man - Ausbildungszeiten ausgenommen - mindestens zwei Jahre sozialversicherungspflichtig und unbefristet beschäftigt gewesen sein. Das Versichertenhöchstalter ist oft auf das 55. Lebensjahr beschränkt. Gerade für Personen mit hohem Risiko fiel der Rat daher eindeutig aus: Finger weg! Nur geringe Arbeitslosigkeitsrisiken sind profitabel.

Nein, um die Transparenz staatlichen Handelns zu befördern, sollte man solche Ideen lieber gleich beim richtigen Namen nennen und sinkende Arbeitslosenversicherungsbeiträge mit noch stärker sinkender Gegenleistung für die Betroffenen am besten als "Notopfer Nürnberg" bezeichnen. Zu erbringen aus Staatsräson für den Arbeitsplatzerhalt der 90.000 Beschäftigten der Bundesagentur.


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