Mehr Leiharbeit wagen

Wolfgang Clement in neuer Mission Der flächendeckend gescheiterte Ex-Minister wird zum Lobbyisten der ganz besonderen Art

Wie man frei von jeder Korruption und allein dem nationalen Interesse verpflichtet ins Gasgeschäft einsteigen kann, zeigt Gerhard Schröder. Wie man die Arbeit fürs Gemeinwohl nach dem politischen Karriereknick konsequent fortsetzen und als Consultant den überfälligen Verkauf kommunalen Vermögens beschleunigen kann, demonstriert Rudolf Scharping. Nach langem Suchen hat endlich auch Wolfgang Clement, der Inbegriff sozialdemokratischer Integrität, einen Platz gefunden, um seine wegweisenden Reformen zu festigen. Wir brauchen mehr Leiharbeit - das hat er schon als Minister gesagt. Und deshalb wird er - in dieser Woche offiziell verkündet - dem "Adecco-Institut zur Erforschung der Arbeit" als Vorsitzender dienen.

Das Institut mit Sitz in London, vollständig finanziert vom gleichnamigen größten Global Player der Leiharbeitsbranche, soll, wie es in einer Pressemitteilung heißt, eine führende Forschungseinrichtung werden, vor allem aber wohl mit allerlei Gutachten die Segnungen kurzfristiger Vermietung von Arbeitskräften preisen. Gewohnt knapp formulierte Clement, der mit seinen Aufsichtsratsposten (RWE, DIS, Landau Media, DuMont Schauberg und Dussmann) nicht ausgelastet ist, bereits vor Wochen: "Ich möchte mit dem Adecco-Institut dazu beitragen, dass die Zeitarbeit in Deutschland europäisches Niveau erreicht". Gefragt, ob er damit eine bessere soziale Ausgestaltung meine, verneinte Clement entschieden. Er wolle vielmehr den Anteil der Zeitarbeiter an allen Bechäftigten von derzeit rund 1,7 auf bis zu fünf Prozent steigern.

Dieser Versuch, Leiharbeit pseudowissenschaftlich zu adeln, ist folgerichtig. Denn die Branche mit dem schlechten Ruf wächst rasant. Den Durchbruch brachte ausgerechnet der von Clement zu verantwortende Misserfolg einer Hartz-Reform. Die 2003 neu geschaffenen Personal-Service-Agenturen (PSA) sollten Arbeitslose mit "mittleren Vermittlungshemmnissen", wie es hieß, an Betriebe verleihen und als Institution zum flächendeckenden Standard werden. Hoffnungslos überfordert, weil die Philosopie der neuen Agenturen nur für eine Minderheit der Arbeitslosen passte, verwandelten sich die PSA in einen flächendeckenden Flop. Aber die politische Akzeptanz von Leiharbeit blieb, und davon profitierten die privaten Verleiher, nachdem die ambitioniert gestarteten PSA ihren Betrieb eingestellt hatten. Als günstig erwies sich auch der im Sommer 2006 zwischen Gewerkschaften und den beiden großen Zeitarbeitsverbänden ausgehandelte Mindestlohntarifvertrag. Mit ihm wurde Leiharbeit zumindest teilweise "entprekarisiert".

Ohne die früher geltenden, längst "wegreformierten" Beschränkungen des "Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes" wächst die Branche gegenwärtig mehr als je zuvor. Auf mehr als acht Milliarden Euro - ein Plus von 16 Prozent - ist ihr Umsatz im vergangenen Jahr gestiegen, in diesem Jahr hält man weitere 15 bis 18 Prozent für möglich. Jahresdurchschnittlich gab es 2005 rund 375.000 Zeitarbeiter, fast dreimal mehr als vor zehn Jahren. Der spektakuläre Boom folgt einer Personalpolitik in den Unternehmen, die von "Outsourcing", reduzierten Stammbelegschaften und Einstellungsstopps geprägt ist. Die Lücke füllen Leiharbeiter, vor allem dann, wenn konjunkturbedingt die Nachfrage nach Arbeitskräften steigt.

Vom Mehrbedarf profitieren überproportional die großen Leiharbeitskonzerne, die ihre finanziellen Reserven für eine Konzentration des Geschäfts einsetzen. Clements neuer Arbeitgeber Adecco, 1996 als Fusion der schweizerischen Adia und der französischen Ecco entstanden, gab im Januar 2005 die Übernahme der ebenfalls französischen Altedia bekannt. Ein Jahr später schluckte man die bis dahin weitgehend auf den deutschen Markt konzentrierte DIS, deren Börsenkurs sich seit Merkels Amtsantritt fast verdoppelte. Der niederländische Konzern Ranstadt zog nach, kaufte vor sechs Jahren Time Power und ließ die Verleihfirmen Teccon und Bindan folgen. Nimmt man die in Europa stark vertretene US-amerikanische Manpower-Gruppe hinzu, ergeben sich auf dem deutschen Markt vielfach kartellähnliche Verhältnisse. Aus Sicht dieser "fetten Katzen" wirkt der neue Mindestlohntarifvertrag wie eine Flurbereinigung gegenüber kleineren Wettbewerbern.

Für den Verleih im großen Stil ist Wolfgang Clement der passende Lobbyist. Er hat den Weg bereitet, nicht nur politisch, auch ideologisch. Noch kurz vor der letzten Bundestagswahl im August 2005 publizierte sein Ministerium die Broschüre Vorrang für die Anständigen - Gegen Missbrauch, "Abzocke" und Selbstbedienung im Sozialstaat. Schlagzeilen machten Begriffe wie Schmarotzer, Trittbrettfahrer, Abzocker und Parasiten, von denen Clement sich nie distanzierte. Nun wissen wir, welchen Vorrang er meinte: massenhafte Leiharbeit für die Anständigen.


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