Modell DaimlerChrysler

Kombilöhne Während Franz Müntefering vertraulich sein Modell ausarbeiten lässt, versuchen seine Koalitionspartner Fakten zu schaffen

Wenn es um Kombilöhne geht, kennt Franz Müntefering kein Pardon. Das Modell der großen Koalition, an dem seine Bürokraten gegenwärtig arbeiten, soll erst im Herbst auf den Markt, von ihm selbst präsentiert. Doch ausgerechnet seine Heimat Nordrhein-Westfalen prescht nun vor, mit einem subtilen Trick. Ministerpräsident Rüttgers will mit Bundesmitteln, die seinem Land zugesprochen, dort aber für Arbeitsmarktinstrumente bisher nicht ausgeschöpft wurden, ein eigenes Modell der Subventionierung von Sozialversicherungsbeiträgen starten. Von 10.000 Kombilohnstellen ist die Rede und von 750 Millionen Euro. Bliebe das Geld ungenutzt, müsste es an Münteferings Etat zurückfließen. "Ich sehe das mit Erstaunen", meint der Vizekanzler. Rüttgers nehme einfach Bundesgeld und schreibe "NRW" drüber. "Aber das wird so nicht laufen", stellt Müntefering klar. Rüttgers kündigte umgehend an, sich den Trick per Gerichtsentscheid bestätigen lassen.

Nordrhein-Westfalens Vorstoß Mitte Mai war kaum vorüber, da dachten die Generalsekretäre von CDU und CSU, Ronald Pofalla und Markus Söder, öffentlich schon sehr konkret über "ihr" zukünftiges Bundesmodell nach. Zwar will man erst nach der Sommerpause zu dem Thema in Verhandlungen mit der SPD einsteigen, aber öffentlicher Druck kann ja nicht früh genug aufgebaut werden. Nach den Vorstellungen von CDU/CSU sollen Arbeitgeber einen Lohnkostenzuschuss von 40 Prozent erhalten, wenn sie Langzeitarbeitslose über 50 Jahre oder Jugendliche einstellen. Für Jugendliche, die mindestens sechs Monate arbeitslos waren oder keinen Ausbildungsplatz gefunden haben, soll das Einkommen bis zu einer Grenze von monatlich 1.300 Euro brutto bezuschusst werden, für Ältere, die mindestens zwölf und maximal 48 Monate arbeitslos waren, bis zu einem Limit von 1.600 Euro. Im Fall der Ablehnung eines Job-Angebotes sind automatische Sanktionen vorgesehen. Mit diesem Modell sollen nach eigenen Angaben rund 200.000 Arbeitslose in den Arbeitsmarkt reintegriert werden - eine vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) umgehend als völlig unrealistisch kritisierte Zahl.

Vorschläge wie die von Pofalla und Söder fügen sich einem seit Jahren bekannten Muster. Mit einem vermeintlich neuen Rezept werden absurd hohe Beschäftigungserwartungen verknüpft, die für eine erfolgreiche Umsetzung notwendigen Rahmenbedingungen aber verkannt, vorhersehbare "Kollateralschäden" ausgeblendet oder bewusst verschleiert und Kritiker in die Ecke der ewigen Bedenkenträger gestellt. Offenbar geht es nur um den kurzfristigen medialen Effekt, nicht um politische Lösungen. Schon die Annahme, mit Kombilöhnen Massen von Langzeitarbeitslosen nachhaltig in den ersten Arbeitsmarkt integrieren zu können, ist abwegig, weil selbst dann, wenn es hinreichend viele Job-Angebote gäbe, eine Vermittlung an den fehlenden Qualifikationen scheitert und nicht zu erwarten ist, dass flächendeckend individuell zugeschnittene Qualifikationspläne verwirklicht werden. Die alte Weisheit, dass man in "Beschäftigungsfähigkeit" investieren muss, spielt in Zeiten permanenter Kostensenkung offensichtlich keine Rolle mehr.

Bewusst verdrängt werden auch die Erfahrungen mit den Kombilöhnen der vergangenen Jahre. In unterschiedlichen regionalen Modellen bekam hier der Arbeitgeber den Zuschuss, dort der Beschäftigte. Der Zweck variierte ebenso wie die Länge der Befristung. Gemeinsam ist allen Experimenten die magere Bilanz. Der Berliner Wirtschaftswissenschaftler Bruno Kaltenborn kam Ende 2005 auf bundesweit knapp über 11.000 Personen, die seit dem Jahr 2000 in irgendeiner Weise Kombilöhner waren, in ganz Ostdeutschland gab es lediglich beim so genannten "Mainzer Modell" 138 Teilnehmer. Nur das so genannte "Hamburger Modell", seit 2005 auf ALG II-Empfänger konzentriert und als eines der wenigen Modelle dieser Art mit Qualifizierung für die einbezogenen Personen verbunden, brachte nennenswerte Teilnehmerzahlen. Es war auch das Einzige, das zu Jahresbeginn 2006 (mit 2.200 Personen in der Förderung) überhaupt noch weitergeführt wurde.

Sind also Kombilohnmodelle zum Scheitern verurteilt? Eindeutig ja, wenn man die Beschäftigungseffekte der ambitioniert gestarteten regionalen Modelle betrachtet. Aber auch eindeutig nein, wenn man zusätzlich alle anderen Mischformen von Löhnen und staatlichen Leistungen berücksichtigt. Fasst man wie das Nürnberger Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) all das unter Kombilohnmodellen zusammen, was "als Kombination aus Arbeitseinkommen und Transferbezug funktioniert und bei dem der Transfer an die Aufnahme oder Ausübung einer abhängigen Beschäftigung gebunden ist", so können wir uns schon heute vor Kombilöhnen gar nicht retten. So dürfen ALG I-Empfänger bis monatlich 165 Euro Arbeitseinkommen ohne Leistungskürzung behalten. Beim ALG II sind es seit Oktober vergangenen Jahres 100 Euro Hinzuverdienst, darüber hinaus gehende Einkommen bleiben zu 20 Prozent beim Leistungsempfänger. Allein mit diesen "unbefristeten" Varianten gab es im Februar 2006 mehr als 500.000 Kombilöhner.

Einen staatlichen Anteil enthalten auch die 2003 eingeführten "Midi-Jobs" (Monatseinkommen zwischen 400 und 800 Euro), da auf Arbeitnehmerseite ermäßigte Sozialversicherungsbeiträge mit Steuern subventioniert werden. Das IAB ermittelte in einer Evaluation schon zum Jahresende 2003 bundesweit 416.000 Jobs dieser Art, zumeist Teilzeitstellen mit Stundenlöhnen von 8,41 Euro in West- und 6,39 Euro in Ostdeutschland. Zu einem weiten Begriff von Kombilohn gehören auch die fast 600.000 Arbeitslosen, die parallel einen "Mini-Job" haben, und die Ein-Euro-Jobber, deren Zahl mittlerweile auf mehr als eine Viertelmillion gestiegen ist. Und was ist mit der "Entgeltsicherung" für ältere Arbeitnehmer (5.400 Förderfälle in 2005) oder mit dem "Kinderzuschlag" (53.000 Bewilligungen) für gering verdienende Eltern? Auch diese Instrumente, die zur Aufnahme einer gering entlohnten Tätigkeit ermuntern sollen, sind gemäß IAB-Definition Kombilöhne. Man muss nur die Perspektiven wechseln, und die ganze Republik verwandelt sich in ein Kombiwunderland.

Staatliche Leistungen mit niedriger Entlohnung zu verbinden, ist also längst allgegenwärtige Praxis. Nur das erklärte Ziel, dauerhafte Beschäftigungsverhältnisse zu begründen, ohne anderswo zum Abbau von Vollzeit-Arbeitsplätzen beizutragen, ist auf der Strecke geblieben. So scheut sich mancher Politiker noch, all die Mini-, Midi- und Hinzuverdiener als Kombilöhner zu bezeichnen. Dass spektakuläres Wachstum kleiner und kleinster Jobs mit der Zerstörung von regulären Arbeitsplätzen einhergeht, ist schließlich unübersehbar.

Bald wird auch diese Verlegenheit nicht mehr stören. Denn es gibt wichtigere Ziele. Laurenz Meyer, wirtschaftspolitischer Sprecher der Unions-Fraktion und selbst Kombilöhner (jahrelang bezog er neben seinen Diäten Gehalt vom Energiekonzern RWE), gab kürzlich die große Linie vor: Der "neue" Kombi-Lohn der großen Koalition müsse vor allem den Staat entlasten. Wenn möglichst viele Arbeitslose arbeiten und einen Teil ihres Einkommens selbst verdienen müssten, so Meyer, brauche der Staat nur noch einen kleineren Teil dazuzuzahlen, damit ein Einkommensniveau erreicht wird, das mit dem bisherigen Arbeitslosengeld II vergleichbar ist. Die Botschaft zwischen den Zeilen ist damit klar. Wer nicht arbeitet, soll weniger Arbeitslosengeld II bekommen.

In dieser Logik haben natürlich auch gesetzliche Mindestlöhne keinen Platz, es sei denn, man fixiert sie auf sittenwidrigem Niveau. Man darf gespannt sein, mit welchen Argumenten und Rechenkünsten sich Franz Müntefering aus dieser Bredouille winden wird, wenn es im Herbst zum Schwur kommt. Schon haben die ersten Global Player den Braten gerochen. Nachdem bei DaimlerChrysler in Sindelfingen zunächst 6.000 Arbeitskräfte abgebaut wurden, fehlen für die neue E-Klasse nun plötzlich wieder 1.000 Bandarbeiter. Und so bittet man das Stuttgarter Arbeitsamt um 1.000 Hartz IV-Empfänger, die Verträge für maximal drei Monate erhalten sollen.


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