Münteferings Trickkiste

Der Kombilohn und Münteferings negative Einkommensteuer Die für den Sommer angekündigte Arbeitsmarktreform könnte ähnlich chaotisch enden wie die Gesundheitsreform

Dass die große Koalition nicht zu konsistenten Reformentwürfen neigt, hat die nicht enden wollende Debatte um die Gesundheitsreform gezeigt. Schon steht das nächste "Reform"-Thema an: Mit Kombilohnmodellen soll der Niedriglohnsektor ausgeweitet und damit Arbeitslosigkeit im großen Stil bekämpft werden. Zeitlich nah beieinander machten jüngst in Bremen sowohl SPD, als auch CDU klar, dass sie die Schützengräben ihrer im vergangen Jahr besetzten Positionen nicht verlassen haben. Bis zum Sommer 2007 soll die Reform jedoch stehen.

Nach wie vor ist die Koalitions-Arbeitsgruppe unter Leitung von Arbeitsminister Müntefering über der Frage von Kombilöhnen und Mindestlöhnen zerstritten. Der CDU/CSU-Vorschlag setzt sich für die Einführung eines Kombilohnes für jüngere und ältere Langzeitarbeitslose ein. Arbeitgeber, die solche Arbeitslose einstellen, sollen einen Zuschuss von 40 Prozent der Lohnsumme über drei Jahre erhalten. Zusätzlich will man niedrige Hinzuverdienste für Langzeitarbeitslose unattraktiver machen, höhere dagegen erleichtern. Die Ablehnung kombilohngestützter Arbeitsangebote soll umgehend mit Sanktionen der Arbeitsagenturen verbunden werden. Die vor Jahresfrist genannte Zahl von 200.000 einzubeziehenden Arbeitslosen wurde von Experten zwar umgehend als völlig unrealistisch erklärt, steht für CDU/CSU aber nach wie vor im Raum. Ungeklärt ist auch die Finanzierung - vermutlich sollen die erforderlichen Mittel durch ein fast völliges Einstellen aller noch übrig gebliebenen Instrumente der aktiven Arbeitsmarktpolitik aufgebracht werden. Im Paket mit all dem wird ein gesetzlicher Mindestlohn nach wie vor strikt abgelehnt und auf eine Lockerung des Kündigungsschutzes im Betriebsverfassungsgesetz gedrungen.

Während die CDU ihre Position damit nicht verändert hat, versuchte der SPD-Parteivorstand Anfang Januar mit dem in seiner "Bremer Erklärung" offiziell akzeptierten Modell "Bonus für Arbeit" einen taktischen Befreiungsschlag aus seiner gegenüber Kombilöhnen ablehnenden Position. Die bisherige Skepsis begründete sich aus den vernichtend schlechten Evaluationsergebnissen der von 2000 bis 2005 zahlreich ausprobierten Kombilohnmodelle, die nahezu jede mögliche Variante staatlicher Zuschüsse durchexerzierten. Münteferings Trick besteht nun darin, sich gegenüber der CDU die Dehnbarkeit des Begriffs Kombilohn zunutze zu machen und "Bonus für Arbeit" als Modell einer negativen Einkommenssteuer nach dem Prinzip des US-amerikanischen Earned Income Tax Credit (EITC) darzustellen. Er bedient sich dabei eines Gutachtens, das der "Wirtschaftsweise" Bofinger und der Nürnberger Arbeitsmarktforscher Walwei im Herbst 2006 für die sächsische Landesregierung ablieferten. Bofinger und Walwei schlagen vor, dass der Bund die Sozialabgaben, also circa 20 Prozent der Lohnkosten, von Geringverdienern bis zu einer Grenze von 750 Euro Lohn bei Singles und 1.300 Euro bei Paaren als nachträgliche Steuerrückerstattung durch die Finanzämter übernehmen solle. Danach soll der Zuschuss sinken. Das Gutachten rechnet damit, dass eine solche Förderung bis zu vier Milliarden Euro pro Jahr kostet. Geringverdiener könnten mehr Geld im Portemonnaie haben, so die SPD in Bremen, der Anreiz zur Aufnahme einer schlecht bezahlten Tätigkeit würde stärker.

Prompt sah sich der Koalitionspartner auf dem falschen Fuß erwischt, konnte man sich doch nicht der Diskussion um ein derartiges Kombilohnmodell versagen. Dennoch wird Münteferings Vorschlag insgesamt kein Erfolg beschieden sein. Nicht nur, weil es kaum vorstellbar sein dürfte, dieses Instrument ohne Androhung diskriminierender Bedürftigkeitsprüfungen und finanzieller Sanktionen bei "Verweigerung der Arbeitsaufnahme" umzusetzen - und sollten dies dann zukünftig die Finanzämter tun? Sondern vor allem deshalb, weil dieses Modell bestenfalls in Kombination mit einem flächendeckenden Mindestlohn funktioniert, sei er nun durchgängig für ausnahmslos alle Branchen vereinbart oder gesetzlich fixiert. Ohne diese Zutat wäre der Effekt nämlich ein gänzlich anderer. Nahezu jedes Unternehmen, das nicht durch Tarifgebundenheit in seinen Handlungsspielräumen eingeschränkt ist, wird den Lohn in den untersten Gehaltsgruppen genau um den Betrag senken, den der Staat am Ende wieder erstattet. Verdi machte umgehend klar, dass die Abwärtsspirale beim Lohn damit nicht gestoppt, sondern sogar noch beschleunigt würde, es liefe auf eine staatlich organisierte und subventionierte weitere Umverteilung zu Lasten der Löhne und zugunsten der Unternehmen hinaus.

Daneben sind Mitnahmeeffekte nicht nur im weitgehend tariffreien Ostdeutschland programmiert, die neuen Regelungen wären auch hochwillkommener Anlass für viele westdeutsche Unternehmen, aus Tarifverträgen auszusteigen, um anschließend ihr Lohnniveau auch um diesen Betrag absenken zu können. Spätestens an diesem Punkt der Spirale bräche das Modell auch finanziell zusammen.

Die bisherigen Entwürfe von CDU/CSU und SPD mögen in ihren konzeptionellen Vorstellungen weit voneinander entfernt sein. Doch beide Ansätze gehen davon aus, dass mit einer staatlich begleiteten Ausweitung des Niedriglohnsektors die Arbeitslosigkeit in großem Stil bekämpft werden könnte. Doch laut IAB (Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung), arbeiteten bereits 2001 allein 17,4 Prozent der Vollzeitbeschäftigten für Niedriglöhne, Tendenz seither steigend. Und: Der deutsche Niedriglohnsektor ist beileibe kein Sammelbecken von gering Qualifizierten, zwei Drittel haben eine Berufsausbildung oder sogar ein Studium absolviert, wie das WSI-Institut ermittelt hat. Betriebe zahlen vielen ihrer Beschäftigten einfach geringe Löhne und diese müssen das mangels Alternativen akzeptieren. Vielfach haben sich Niedriglöhne in den zurückliegenden Jahren, bedingt durch die Ohnmacht vieler Gewerkschaften, bereits legal in Tarifverträge hineingefressen

Derlei Fakten stören jedoch nicht den Politikbetrieb der Koalition. Beide Seiten haben die wissenschaftliche Prüfung ihrer aktuellen Kombilohnmodelle in Auftrag gegeben. Endlose Krisensitzungen, in denen tapfere Fachpolitiker wie bei der Gesundheitsreform nächtelang tagen, um dann völlig erschöpft kaum mehr verständliche Kompromisslösungen zu präsentieren, sind programmiert. Was auch immer herauskommen wird: Am Urteil "Thema verfehlt" wird es nichts ändern.


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