Der ehemalige Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement wusste immer, dass genau dieser Aufschwung kommt. 4,79 Millionen Erwerbslose wurden im April gezählt, 187.000 weniger als im März und 262.000 weniger als im April 2005. Die Prognosen aus Nürnberg gehen davon aus, dass die Zahlen bis zum Sommer weiter sinken. Ist das die Trendwende? Lohnt sich gar das Schreiben von Bewerbungen auch im Osten wieder, wie die Arbeitsministerin Brandenburgs umgehend versicherte?
Auf jeden Fall lohnt es seit Wolfgang Clements Zeiten immer, etwas genauer hinzuschauen. Und da stutzt man schon. So ging beispielsweise die Zahl der Ausbildungsplätze, die Unternehmen den Arbeitsagenturen meldeten, im vergangenen Halbjahr (Oktober 2005 bis April 2006) gegenüber dem Vorjahreszeitraum um fast 346.000 zurück. Und selbst die optimistische Prognose von 1,8 Prozent Wirtschaftswachstum erreicht nicht die "Beschäftigungsschwelle" - die setzen Wirtschaftsforschungsinstitute nämlich erst bei zwei Prozent an. Ein Blick in die laufende Statistik zeigt, dass im April 125.000 Personen weniger sozialversicherungspflichtig beschäftigt waren als im Vorjahr. Selbst die Zahl der so genannten Minijobs ist rückläufig. Es bleibt dabei, Beschäftigung wird im Saldo noch immer abgebaut.
Niedrigere Erwerbslosenzahlen trotz sinkender Beschäftigung - dieser Widerspruch wird von Nürnberg ganz am Rande mit "entlastenden Effekten durch die Hartz IV-Reform" erklärt. Fast 260.000 Ein-Euro-Jobber fallen aus der Statistik, zudem betreiben die 69 so genannten Optionskommunen teilweise kuriose Versuche, die bei ihnen gemeldeten Erwerbslosen mangels geeigneter Software anhand von Erfahrungswerten, nun ja, optimistisch zu schätzen. Viele ehemals registrierte Arbeitslose erfüllen nach "eingehender Prüfung" der Agenturen auch das Kriterium für eine Registrierung nicht mehr.
Die kritische Verfassung des Arbeitsmarktes ist also um keinen Deut besser als bisher. Trotzdem macht die Bundesagentur für Arbeit, über Jahrzehnte Inbegriff chronischer Defizite, jetzt Überschüsse und ist auf bestem Wege zum sanierten Vorzeigeunternehmen. Nachdem im Vorjahresquartal noch ein Verlust von 2,8 Milliarden Euro verzeichnet wurde, wird zwischen Januar und März 2006 ein Überschuss von 1,72 Milliarden Euro erreicht. Das sind 1,5 Milliarden mehr als der eigene Finanzvorstand erwartet hatte. Die Nürnberger Agentur schwimmt in Geld. Wie kann man sich das erklären? Schließlich müssten bei immer weniger sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung auch die Beitragseinnahmen zurückgehen?
Es gibt nur drei Erklärungen. Zum einen wird an allen Ausgaben für Arbeitsmarktpolitik so stark gespart, dass von vielen Arbeitsagenturen bis auf Ausnahmen kaum noch aktive Instrumente zum Einsatz kommen. Stillschweigend wird dieser Trend in vielen Agenturen auch deswegen unterstützt, weil die eigenen Defizite bei der Umsetzung komplexer Förderinstrumentarien so weniger auffällig werden. Zweitens verhängt das Nürnberger Personal wesentlich öfter als bislang Sperrzeiten für den Leistungsbezug und bessert damit die eigene "Rendite" auf. Von Mai bis Dezember 2005 ist Arbeitslosengeld nach offiziellen Angaben in 261.000 Fällen vorübergehend gestrichen worden, ein Anstieg um fast 55 Prozent zum Vorjahreszeitraum - dieser Trend hält weiter an. Drittens schließlich kümmern sich die Arbeitsagenturen der Nürnberger Zentrale nur noch um die erste Kategorie Arbeitslose (ALG-I-Empfänger), die weniger als ein Jahr ohne Job sind. Für die Langzeitarbeitslosen (ALG-II-Empfänger) sind die ARGen und Optionskommunen zuständig, für die der Bund finanziell separat aufkommt. Es gibt immer weniger vorübergehend Arbeitslose und immer mehr Langzeitarbeitslose. Dieser Trend wird anhalten, da Erwerbslose durch die seit Februar von 32 auf 18 Monate verkürzte Bezugsdauer von ALG I künftig noch schneller in Hartz IV und Arbeitslosengeld II hineinrutschen. Der Druck, der für ALG-I-Empfänger allein schon durch die allen präsente Hartz-Drohkulisse ausgeht, drängt viele dazu, schlechter bezahlte oder prekäre Jobs anzunehmen.
Spart man in Nürnberg weiter so tüchtig wie bisher, kann nach realistischen Schätzungen bis Jahresende sogar ein Überschuss von bis zu sieben Milliarden Euro herauskommen. Allein damit wäre die geplante Senkung des Beitrags zur Arbeitslosenversicherung um zwei Punkte auf 4,5 Prozent zu Jahresbeginn 2007 finanziert. Geld aus der Mehrwertsteuererhöhung wäre gar nicht nötig. Und auch für die Kombilohnträume, über deren Schicksal im Sommer entschieden sein soll, würde etwas übrig bleiben.
Die Nürnberger Agentur lässt sich, etwas verschämt, für den finanziellen "Erfolg" ihrer noch immer fast 90.000 Personen umfassenden Behörde gern feiern. Erfolge, die nichts mit den realen Arbeitslosenzahlen und noch weniger mit aktiver Arbeitsmarktpolitik zu tun haben. Erfolge bei der Umsetzung ambitionierter Förderinstrumente sind von den Arbeitsämtern und -agenturen schon seit Jahren durch eigene Inkompetenz und Desinteresse regelrecht verhindert worden. Eine aktive Arbeitsmarktpolitik, wie sie in skandinavischen Ländern bis heute substanzielle Beiträge zur Anpassung des Arbeitsmarktes an die Wissensgesellschaft leistet, haben die Arbeitsämter hierzulande zu keinem Zeitpunkt zustande gebracht. Was noch an Resten von derartigen Ambitionen übrig ist, wird nun unter Beifall völlig über Bord geworfen. Und für den eisernen Sparwillen klopft man sich noch auf die Schultern. Die Bundesagentur wirtschaftet nach dem Motto "Weniger ist mehr". Und ganz wenig sichert den Nürnbergern das eigene Überleben.
Solange jedoch die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung wie bisher sinkt, wird die registrierte Erwerbslosigkeit natürlich nicht immer weiter nach unten gehen, so Vorstandschef der Bundesagentur für Arbeit, Frank-Jürgen Weise. "Wir gehen davon aus", so Weise, "dass die Erwerbslosigkeit mit einer optimalen Effizienz unserer Arbeit um maximal einen Prozentpunkt gesenkt werden kann. Das wären immerhin rund 450.000 Erwerbslose weniger." Einen gewissen Teil davon habe die Bundesagentur im vergangenen Halbjahr im Zuge der Reformen bereits erreicht. Dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen.
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