Odyssee eines Narrenschiffs

Jobcenter Es droht neues Chaos in den Arbeitsverwaltungen. Das Nachsehen dürften wieder die Hartz-IV-Empfänger haben

Kaum ist die neue Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen im Amt, muss sie sich einem Problem ihres Ressorts stellen, das verwickelt ist wie kein anderes: der Reform der Jobcenter. Der von Amtsvorgänger Franz Josef Jung auf den Tisch gelegte Lösungsvorschlag war Ende November bei den Ländern auf Abwehr gestoßen. Es geht um die Frage, wer letztlich zuständig ist für die Betreuung von Hartz-IV-Empfängern, über die sich Bund und Länder seit längerem streiten. Politiker und Experten dürften sich angesichts dieser verworrenen Lage insgeheim sehnlichst wünschen, Brüssel könnte es richten: Gäbe es doch irgendwelche EU-Bestimmungen, mit denen sich die Zukunft der Jobcenter klar regeln ließe. Aber es gibt sie nicht, denn Arbeitsmarktpolitik ist eine der letzten nationalen Bastionen. Die EU bleibt Vorgaben schuldig.

Das Bundesverfassungsgericht hatte 2007 die Rechtskonstruktion der „Arge“, der Arbeitsgemeinschaften zwischen Arbeitsagentur und Kommunen, als grundgesetzwidrig eingestuft. Den „Argen“ lag die Idee zugrunde, dass Hartz-IV-Empfänger „alles aus einer Hand“, nämlich den Jobcentern, erhalten. Doch aus administrativ-gesetzgeberischer Sicht war es handwerklicher Pfusch, den 2004 der Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat in einer Nacht- und Nebelaktion auf den Weg gebracht hatte.

Die Zeit drängt

Auf Druck der CDU durften sich seither 69 so genannte Optionskommunen in Alleinregie versuchen. Es folgten chaotische Aufbaujahre zu Lasten der betroffenen Hartz-IV-Empfänger, kafkaesk arbeitende Behörden, eine gigantische Zahl bis heute anhängiger Klagen gegen falsche Bescheide sowie Ränkespiele um Finanzen und Handlungsspielräume zwischen dem Bund, der Bundesagentur für Arbeit und den kommunalen Spitzenverbänden.

Der Versuch des Ex-SPD-Arbeitsministers Olaf Scholz, für eine durch die Nürnberger Bundesagentur dominierte Lösung mal eben das Grundgesetz ändern zu lassen, schlug fehl, weil man sich zwar mit allen CDU-Ministerpräsidenten einigen konnte – die CDU/CSU-Bundestagsfraktion aber kurz vor Schluss den Sprung verweigerte. Die Zeit drängt mittlerweile und einen Königsweg gibt es nicht: Wie von Karlsruhe festgelegt, muss spätestens zum 1. Januar 2011 eine verfassungskonforme Variante der Arbeitsverwaltung ihre Aufgabe übernehmen. Keinem Beobachter ist es zu verübeln, wenn der Durchblick mittlerweile verloren gegangen ist.

Der vorerst letzte Halt des Narrenschiffs wurde im schwarz-gelben Koalitionsvertrag festgelegt. Hatte die CDU noch vor der Wahl offenkundig mit kommunalen Lösungen sympathisiert, und die FDP sogar die völlige Auflösung der Nürnberger Bundesagentur gefordert, hätte man daraus geradewegs auf eine Stärkung der kommunalen Optionsmodelle schließen können. Doch es kam anders. Den 69 „Optionskommunen“ wurde zwar verbal Bestandsschutz zugesagt, sie stehen jedoch ab 2011 ohne Rechtsgrundlage da. Für den großen Rest präsentierte Schwarz-Gelb die „getrennte Aufgabenwahrnehmung“ als neue Lösung: Erst die Jobcenter auflösen, dann die Bundesagentur für Arbeit verpflichten, den Kommunen „attraktive Angebote zur freiwilligen Zusammenarbeit“ zu unterbreiten. Viele Kommunen wissen aus leidvoller Erfahrung, wie „attraktiv“ so etwas sein kann, und werden einen Teufel tun.

Immense Rückbau-Kosten

Was sich anhört wie ein reiner verwaltungspolitischer Kompetenzstreit, hat unmittelbare Folgen für die Arbeitslosen. Es ist vorhersehbar, dass sie bald (wieder) Wohn- und Arbeitslosengeld getrennt beantragen müssen, doppelte Bescheide mit möglicherweise unterschiedlichen Leistungsberechnungen erhalten und gegen diese gegebenenfalls zweifach Widerspruch einlegen müssen. Schon ist programmiert, dass Millionen Daten neu eingegeben werden müssen, was Verzögerungen von Auszahlungen Anfang 2011 wahrscheinlich macht. All das gab es schon einmal, in den ersten Monaten des Jahres 2005. Hatte man durch diese Reform, die sich im Nachhinein als völlig stümperhaft konstruiert herausstellte, dem Steuer- und Beitragszahler immense Kosten auferlegt, so wird es nun nicht viel billiger. Doppelstrukturen stehen erneut in Aussicht.

Eigentlich lägen Eckpunkte für ein bestmögliches Nachfolgemodell der Jobcenter klar auf der Hand: Finanzierung durch den Bund, Fachaufsicht nach bundeseinheitlichen Kriterien durch die bis jetzt völlig ausgeblendeten Länder und eine frei bestimmbare Betreuung der Betroffenen vor Ort. Mittlerweile rächt sich die vor wenigen Jahren vergebene Chance, das strittige Thema in die Bund-Länder-Diskussionen zur Föderalismus-Reform einzubeziehen. Genau da müsste es hin, wenn zwischen Bund, Ländern und Kommunen eine einvernehmliche, inhaltlich ausbalancierte und grundgesetzlich abgesegnete Lösung erreicht werden soll. Wird das verpasst, bleibt nach dem sich jetzt ankündigenden Chaos nur die Hoffnung, dass sich Brüssel eines Tages endlich der Arbeitsmarktpolitik annimmt.

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