Rendite macht schüchtern! Bemüht beiläufig verkündete Frank-Jürgen Weise, Chef der Bundesagentur für Arbeit, Mitte Juli, dass der Überschuss seiner Behörde im ersten Halbjahr 3,8 Milliarden Euro beträgt, interne Planungen gingen bisher offiziell von 50 Millionen (!) Euro aus. Auf das Restjahr hochgerechnet wurde erstmals offiziell ein zu erwartender Jahresüberschuss von sieben Milliarden Euro "eingestanden". Schon vor acht Wochen wurde diese "Gewinnexplosion" von einigen Wirtschaftsforschern vorhergesagt, aber von Weise damals noch eifrig dementiert. Wäre die Bundesagentur dem shareholder value verpflichtet, käme man bei einem Beitragsvolumen von knapp 46 Milliarden Euro auf eine Rendite von fast 15 Prozent. Ackermanns Deutsche Bank scheint mit ihrem Renditeziel in Sichtweite.
Auch wenn man in Nürnberg 2006 wieder für sechs Millionen Euro die Dienste der Beratungsagentur McKinsey in Anspruch nimmt, so ganz passt man mit diesem gewaltigen Überschuss dennoch nicht ins neoliberale Schema. Denn während normale Konzerne, gar solche mit 90.000 Beschäftigten wie die Bundesagentur, vor allem durch Erweiterung der Kundenbasis und radikale Personalkostenreduzierungen auf Rendite getrimmt werden, läuft der Hase in Nürnberg ganz anders. Dank einer weitgehend verbeamteten Mitarbeiterschaft wagt man sich an große Personalkostensenkungen nicht heran. Vor allem hat man aber nicht neue arbeitslose "Kunden" erobert, sondern trennt sich im Gegenteil mehr und mehr von all denen, die die Ausgaben nur unnötig in die Höhe treiben. Ein guter "Kunde" ist derjenige, der vor seiner Arbeitslosigkeit jahrelang fleißig Beiträge zahlt, im Falle seiner Arbeitslosigkeit aber weitgehend selbst zurecht kommt und keine aktiven Maßnahmen benötigt.
Auch wenn die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten - und damit die Beitragseinnahmen - im Juni erstmals nach langer Zeit wieder minimal gestiegen sind - die "Rendite" der Bundesagentur entsteht fast ausschließlich durch radikales Zurückfahren der Förderleistungen für ihre Kundschaft und ihr frühzeitiges Aussieben in verschiedene so genannte Risikogruppen. Dieses Geschäftsprinzip ist zwar eigentlich leicht zu verstehen, aber mit dem Ritterschlag teurer Beratungsagenturen im Rücken klingt es irgendwie plausibler und korrekter. Und so wissen die fleißigen Mitarbeiter - McKinsey sei Dank - ganz genau, in welche drei Hauptkategorien die arbeitslose "Kundschaft" zerfällt: "Marktkunden" brauchen keinerlei Hilfe, sollen selber sehen wie sie möglichst schnell in einen anderen Job reinkommen, Engagement in den Agenturen kann die Kundschaft da nur irritieren. "Beratungskunden" werden "aktiviert" mit möglichst billigen Instrumenten, allen voran den sattsam bekannten Ein-Euro-Jobs, nur noch in Ausnahmefällen mit Weiterbildung; widerspenstigen Beratungskunden drohen Leistungskürzungen. Klappt ihre Integration in den Arbeitsmarkt dann nicht, fallen sie zum Zeitpunkt des Wechsels in das Arbeitslosengeld II den so genannten ARGEn und Optionskommunen auf die Tasche und man ist sie los. In solchen Fällen müssen Nürnbergs Agenturen zwar an den Bundeshaushalt pro Fall einen so genannten Aussteuerungsbetrag als Strafe zahlen, aber wie sagt schon der Volksmund zu Recht: "Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende!" Die dritte Kategorie der politisch korrekt als "Betreuungskunden" bezeichneten Arbeitslosen sind bei den Arbeitsagenturen vom ersten Tag ihrer Arbeitslosigkeit als spätere ALG II-Empfänger erkennbar. Hier lohnt aus Sicht von Nürnberg ein Engagement in Beratung und Vermittlung gar nicht mehr, die spätere Übernahme der ARGEn und Optionskommunen ist vorprogrammiert, jegliche vorherige Förderung in den Agenturen deswegen rausgeworfenes Geld. Bestenfalls sind sie dann später für einen so genannten "dritten" Arbeitsmarkt geeignet, für den man im Müntefering-Ministerium zurzeit an einem Konzept arbeitet. Aber damit haben die Agenturen der Bundesagentur dann nichts mehr zu tun.
Fast ungehört verhallt der Appell des Deutschen Gewerkschaftsbundes, zumindest mit Teilen des horrenden Überschusses rasch ein staatliches Ausbildungsprogramm für 50.000 neue Ausbildungsplätze zu finanzieren, um die dramatische Situation am Lehrstellenmarkt zu entspannen und endlich wieder mehr Geld in die Qualifizierung und Wiedereingliederung von Arbeitslosen zu investieren. Doch der Bund spart nicht nur in der Bundesagentur bei ALG I-Empfängern. Mittlerweile wird der Sparhammer für aktive Reintegrationsmaßnahmen auch für die ALG II-Empfänger bei den für diese Personen zuständigen ARGEn und Optionskommunen geschwungen. Deren so genanntes Eingliederungsbudget war für dieses Jahr von Arbeitsminister Müntefering auf 6,5 Milliarden Euro festgelegt worden. Mit der Begründung, dass ALG II mehr Personen als geplant erhalten, strich Müntefering im Juni mit anteiliger Haushaltssperre 1,1 Milliarden Euro davon zusammen. Selbst wenn in den Kommunen für ALG II-Empfänger in der zweiten Jahreshälfte jetzt also noch Reintegrationsmaßnahmen vorgesehen wären, die Möglichkeiten hierfür tendieren heute vielerorts schon gegen Null.
Für Karsten Schuldt, Direktor des Bremer Progress-Instituts für Wirtschaftsforschung, ist diese Praxis nur ein weiterer großer Schritt auf dem Weg der Politik, nicht länger Arbeit sondern Arbeitslosigkeit zu finanzieren. "Der früher bei allen Differenzen zwischen Parteien und Interessenverbänden bestehende politische Konsens ist hinter den Kulissen längst aufgegeben. Der Slogan vom Gleichgewicht von Fördern und Fordern ist heute deshalb oft nur noch billige Rhetorik." Schuldt kann das mit Zahlen belegen. Nach seinen Berechnungen hat sich zwischen 2002 und 2005 das gesamte Finanzvolumen in der Arbeitsmarktpolitik von Bund, Ländern und Kommunen zwar gering von 90 auf 94 Milliarden Euro erhöht. Gleichzeitig fiel der Anteil der auf Reintegration von Zielgruppen, Weiterbildung und öffentlich finanzierte Beschäftigung zielenden Maßnahmen, die so genannte Aktivitätsrate in der Arbeitsmarktpolitik, von 35 auf 21 Prozent. Überschüsse der Bundesagentur und Haushaltssperren beim ALG II werden in diesem Jahr dafür sorgen, dass dieser Trend unvermindert anhalten wird.
So lange diese Entwicklungen gesellschaftlich nicht als Problem erkannt werden, fühlt man sich in Nürnberg weiter im Renditefieber. Auch wer hinter dem offiziell als realistisch verkündeten Jahresüberschuss von sieben Milliarden Euro sogar Reserven für noch höhere Überschüsse vermutet, wird so falsch nicht liegen, denn das Jahr ist noch lang. Schließlich braucht man auch nach der Reduzierung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung im kommenden Jahr noch was zum Zusetzen. Und wenn mal wieder Forderungen nach Auflösung der Nürnberger Bürokratie laut werden, kann man dem Staatshaushalt Opfer anbieten.
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