Wettlauf der Kurzarbeiter

Krisenfolgen Die Zahl der Kurzarbeiter steigt rapide an, sie könnte dieses Jahr sogar in die Millionen gehen. Anders als in den neunziger Jahren ist vor allem der Westen betroffen

Kurzarbeit soll attraktiver wer­den“ – das ist eine dieser Formulierungen der Politik, mit der in Krisenzeiten über die Realität hinweggeredet wird. Als ob die Maßnahme zu den Schönheiten deutscher Sozialpolitik gehört, die nun noch ein wenig flotter gemacht wird. Bei dieser Art von Teilzeitarbeitslosigkeit erstattet die Bundesagentur für Arbeit je nach Familienstand 60 beziehungsweise 67 Prozent des Lohnausfalls der Beschäftigten für maximal 18 Monate über den Arbeitgeber. Aus Beitragsmitteln konnten so schon seit Jahren vorübergehende Auftragsschwankungen bei den Unternehmen überbrückt werden. Das Instrument Kurzarbeit galt als sehr „wirtschaftsnah“ und führte selten zu größeren politischen Debatten.

An eine Ausnahme werden sich vor allem Ostdeutsche erinnern: Bis heute nicht wieder erreicht ist die Rekordzahl von fast 1,8 Millionen Kurzarbeitern im Nachwendejahr 1991. Fast 92 Prozent der damals Betroffenen saßen in den neuen Ländern, ihre „Kurzarbeit“ sollte den vereinigungsbedingten Schock auf dem Erwerbsmarkt abfedern. Für viele ging es dabei freilich nicht um eine Episode, die Auftragslage schwankte nicht, sie war weithin zusammengebrochen. Zeitweise befand sich ein Großteil der Bezieher auf Kurzarbeit Null, also ganz ohne Arbeit. Die Regierung Helmut Kohl schönte so die Erwerbslosenstatistik.


Im Krisenjahr 2009 könnte sich ähnliches wiederholen, allerdings unter umgekehrten regionalen Vorzeichen. Die Kurzarbeiterzahlen schnellen bereits in die Höhe: Nachdem im vierten Quartal des vergangenen Jahres bereits mehr als 625.000 Anträge bei der Bundesagentur eingegangen sind, kamen im Januar weitere mehr als 347.000 hinzu. Zwar führt nicht jede dieser „Anzeigen“ auch zur Zahlung des Kurzarbeitergeldes, auch ist der Arbeitsausfall unterschiedlich und genaue Zahlen gibt die Nürnberger Behörde auch nicht heraus. Experten aber schätzen, dass sich die Zahl der Kurzarbeiter in diesem Jahr bereits jenseits der 700.000 bewegt, womöglich wird sie auch den Millionenbereich erreichen.

Im Unterschied zu den frühen neunziger Jahren kommt die „Nachfrage“ nun vor allem aus dem Westen: Bereits Ende 2008 entfielen fast 83 Prozent der Anmeldungen auf die alten Länder. Dieser Trend wird sich weiter verstärken, da insbesondere große und exportstarke Unternehmen das Instrument nutzen – und davon gibt es im Osten nicht viele. Noch zu Jahresbeginn ging die Bundesagentur von etwa 250.000 Kurzarbeitern im Jahresverlauf 2009 aus. Daran glaubt man in Nürnberg aber selbst nicht mehr, der unlängst beschlossene Nachtragshaushalt von fünf Milliarden Euro und die Aufstockung des Etats für das Kurzarbeitergeld um weitere 1,8 Milliarden Euro zeigen es.

Erwerbslose von morgen

Agentur-Chef Frank-Jürgen Weise hat sicher gerade gegen die Auszahlung des Kurzarbeitergeldes länger als 18 Monate ausgesprochen. Es mache keinen Sinn, „heute etwas herbeizureden, was vielleicht nicht nötig ist“.

Derweil liefern sich die Firmen eine Art Wettlauf: Lufthansa will ab März 2.600 Beschäftigte in Kurzarbeit schicken, auch das Flugpersonal muss bereits zittern. Daimler hat bereits 50.000 Anmeldungen abgeschickt, BMW meldete ab Februar weitere 28.000 Beschäftigte an, Siemens erhöhte seine Planungen bis April auf 7.400, nach Befürchtungen des Betriebsrates ist aber bereits die 10.000 in Sicht. Und das sind nur ein paar Beispiele. Lediglich die Zeitarbeitsbranche zeigt in der Krise ihr wahres Gesicht: Den 150.000 Entlassungen in der zweiten Jahreshälfte 2008 stehen laut Gewerkschaftsdachverband DGB nur 2.300 Kurzarbeiter in der Branche gegenüber.

Sind die Kurzarbeiter von heute die Erwerbslosen von morgen? Viele Betroffene müssen damit rechnen. Das Wahljahr bietet womöglich eine Schonfrist: Die Bundesregierung kann keine Katastrophenzahlen vom Arbeitsmarkt gebrauchen und könnte abermals darauf setzen, die Statistik per Kurzarbeit zu schönen. Auf Versprechungen, die darüber hinaus zielen, sollte man nicht allzu viel geben. Zwar hat SPD-Arbeitsminister Olaf Scholz unlängst angekündigt, die Bundesagentur gegebenenfalls mit einem Darlehen aus dem Bundeshaushalt zu stützen. Das Nürnberger Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung macht aber darauf aufmerksam, dass Kurzarbeit nach den jüngsten Zugeständnissen an die Wirtschaftsverbände inzwischen viel teurer als Erwerbslosigkeit sein dürfte. Wenn die Politik im Nachwahl-Herbst auf die Schuldenbremse steigt, wird man sich sicher daran erinnern.

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