Monopoly mit Musikrechten

Plattenfirmen Die neue Musik ist die alte: In Amerika werden erstmals in der Geschichte mehr "Katalog-Alben" als neue verkauft oder warum Universal mit EMI fusionieren will
Lucian Grainge (links) hängt ideologisch in den alten Tagen, im so genannten „Star-System“ fest, er ist mit Bands wie U2 oder Take That befreundet
Lucian Grainge (links) hängt ideologisch in den alten Tagen, im so genannten „Star-System“ fest, er ist mit Bands wie U2 oder Take That befreundet

Foto: Alex Wong / Getty Images

Die Tonträgerindustrie hat ein neues altes Problem. Laut Nielsen Soundscan, dem weltweit führenden Musikinformationssystem, wurden im ersten Halbjahr 2012 in den USA erstmals in der Geschichte mehr alte als neue Alben verkauft: 76,6 Millionen „Katalog-Alben“ (Alben, die vor mehr als 18 Monaten erschienen sind), im Vergleich zu 73,9 Millionen aktuellen Alben.

Dazu passt, dass Universal Music, der weltgrößte Musikkonzern, EMI übernehmen will, den viertgrößten Musikkonzern der Welt. Und zwar wegen des legendären Back-Katalogs von EMI Music, der durch die in den letzten Jahren weltweit drastisch verlängerten Copyright-Laufzeiten immer wertvoller geworden ist. Es geht nicht darum, EMI als Label weiter zu betreiben. Bei diesem „Merger“, dieser Fusion geht nicht um neue, sondern um alte Musik.

Es geht um Besitzrechte am Musikkatalog, um Copyrights, das „Öl des 21.Jahrhunderts“ (Mark Getty). Universal-Chef Lucian Grainge weiß, dass der Backkatalog von EMI mit all den Rechten (von den Beatles bis zu Robbie Williams, von Pink Floyd bis Coldplay) ungleich wertvoller ist als jeder Euro und jeder Dollar, den die Plattenfirma noch in den Aufbau neuer Künstler investieren würde. Längst geht es der Tonträgerindustrie nicht mehr um den Aufbau neuer Künstler, sondern um die Verwaltung und Kapitalisierung ihres Rechtekatalogs.

Kartellwächter gefragt

Lucian Grainge hängt ideologisch in den alten Tagen, im so genannten „Star-System“ fest, er ist mit Bands wie U2 oder Take That befreundet. Und er ist ein knallharter Geschäftsmann. Beim Traditionskonzern EMI („His Master’s Voice“) griff er zu, als die beiden Hauptbieter BMG (Bertelsmann) und Warner Music mit der Citibank nicht handelseinig wurden.

Die Übernahme von EMI durch Universal muss jedoch von der Europäischen Kommission genehmigt werden. Die Kartellwächter überprüfen seit geraumer Zeit die Auswirkungen des Zusammenschlusses. Es geht um das Kräfteverhältnis im physischen und digitalen Markt, um den Zugang zu Medienkanälen für Nachwuchskünstler oder um Wettbewerbsnachteile für unabhängige Unternehmen im Wettlauf um vielversprechende Talente.

Möglicherweise hat Grainge die wettbewerbsrechtlichen Hindernisse unterschätzt. Um das gefährdete Milliardengeschäft zu retten, hat er nun signalisiert, sich von einer Reihe von Plattenfirmen aus dem EMI-Konglomerat wieder trennen zu wollen. Damit geht Grainge scheinbar auf die Europäische Kommission zu. Sein Schachzug, den Indie-Labels Vorkaufsrechte und finanzielle Unterstützung für den Fall in Aussicht zu stellen, dass bei der Übernahme von EMI Kataloge und Repertoiredivisionen auf den Markt kommen, könnte nicht nur die EU-Kartellbehörde milder stimmen, sondern zugleich manchen unabhängigen Unternehmer für seine Sache gewinnen.

30 Jahre Monopoly

Die Indies hat Grainge mit seiner Initiative bereits auseinanderdividiert – der Co-Präsident der europaweiten Indie-Vereinigung Impala etwa hat sich bereit erklärt, auf das schmutzige Geschäft des Universal-Chefs einzugehen, und zeigte sich am Kauf von Virgin (1992 von EMI erworben) interessiert. Und angeblich ist Bertelsmann an Parlaphone interessiert, das Label, über das EMI Coldplay, Blur oder Radiohead veröffentlicht.

So spielt die Branche weiter Monopoly. Wir befinden uns am Endpunkt eines gigantischen Konzentrationsprozesses. EMI Music wurde bereits 1979 vom Mischkonzern Thorn Electrical gekauft, auf einen konservativ-profitorientierten Kurs getrimmt und nach dem Börsengang 1996 im Jahr 2007 vom Private Equity-Investor Guy Hands übernommen. Warner Music (14,9 Prozent Weltmarktanteil) befindet sich im Besitz des russischen Multimilliardärs Len Blavatnik. BMG und Sony fusionierten vor Jahren und halten 23 Prozent Marktanteil. Insgesamt dominieren nun also nur noch drei statt bisher vier multinationale Konzerne fast vier Fünftel des weltweiten Tonträgergeschäfts – Universal würde zusammen mit EMI einen Weltmarktanteil von fast 40 Prozent erreichen.

„Welche Diversität wird es morgen geben?“ (Francois Jullien) Wenn einige wenige Musikkonsortien sich den Musikmarkt aufteilen und untereinander noch stark vernetzt sind, dann sind letztlich „Demokratie und das menschliche Recht auf Teilhabe am kulturellen Leben in Gefahr“ (Joost Smiers).

Die kulturelle Vielfalt unserer Gesellschaft wird nicht nur im aktuellen Streit um die GEMA verhandelt, sondern auch von der Europäischen Kommission – in der Frage, wie diese über die weitere Monopolisierung der Kultur entscheidet.

Berthold Seliger ist Konzertveranstalter. Zuletzt schrieb er im Freitag über das Urheberrecht im digitalen Zeitalter.

der Freitag digital zum Vorteilspreis

6 Monate mit 25% Rabatt lesen

Der Freitag im Oster-Abo Schenken Sie mutigen Qualitätsjournalismus!

Print

Entdecken Sie unsere Osterangebote für die Printzeitung mit Wunschprämie.

Jetzt sichern

Digital

Schenken Sie einen unserer Geschenkgutscheine für ein Digital-Abo.

Jetzt sichern

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden