Aus Irak und Afghanistan nichts gelernt?

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Nun läuft es also, das militärische Eingreifen des hochgerüsteten Westens im Libyen. Amerikanische, britische und französche Kampfjets setzen eine Flugverbotszone in dem Land durch und geben den Rebellen militärischen Begleitschutz gegen Gaddafis Luftwaffe. Das alles, ja, mit dem Segen des UN-Sicherheitsrates, dessen Resolution sie umsetzen. Auch Katar wird wohl, als erster arabischer Staat, Kampfjets aufsteigen lassen und in den libyschen Luftraum schicken.

Dass die arabische Liga, welche diesen Einsatz beim Treffen in Paris mit unterstützte, inzwischen auf Distanz gegangen ist, zeigt schon die erste Delle in der gemeinsamen euopäisch-amerikanisch-arabischen Allianz. Von der Tötung von Zivilisten steht nämlich nichts in der UN-Resolution.

Und dass diese Militäraktionen nicht als Nato-Operation geführt werden, sondern unter dem Kommando der nationalen Befehlshaber stehen, zeigt deutlich, wie zurückhaltend die Nato in dieser Frage ist, nicht nur, weil Deutschland sich im Sicherheitsrat der Stimme enthalten hat. Nein, auch weil man weiss, wie gefährlich dieses Abenteuer politisch werden kann.

Was passiert aber, wenn Geddafi gestürzt ist, getrieben ins Exil oder getötet? Welche Strategie gibt es für die Zeit nach Gaddafi? Davon ist bisher nichts zu hören, und hier lohnt ein Blick in die jüngere Geschichte.

Der Einmarsch in den Irak, die stärkste Armee der Welt gegen die maximal drittklassige Militärmacht des Saddam Hussein, der Ausgang dieses Krieges war vorhersehbar. Was folgte, war eine jahrelange Besetzung des Irak und am Ende ein Abzug der US-Truppen, ohne dass eine dauerhafte politische Stabilität in dem Land zwischen Euphrat und Tigris herrschte.

Der Krieg in Afghanistan dauert inzwischen bereits Jahre, ein militärischer Sieg scheint weiter entfernt als zu Beginn der Invasion.

Wie also wollen die Staaten, die heute in Libyen militärisch aktiv sind, nach dem Ende Gaddafis weitermachen? Eine dauerhafte militärische Präsenz ist weder politisch noch militärisch umsetzbar. Politisch nicht, weil das die strategischen Verbündeten des Westens im Nahen Osten düpieren würde, militärisch nicht, weil der Nato dafür die Kräfte fehlen.

Nur denken wir mal weiter. Gaddafi droht mit einem " Schlachtfeld Mittelmeer". Dafür hat er die militärische Stärke nicht, das ist klar. Die braucht er aber überhaupt nicht. In den 70-er Jahren gab es eine Allianz aus palästinensischen Kämpfern, der deutschen RAF und italienischen "Roten Brigaden". Die Entführung der "Landshut", die Kaperung eines Kreuzfahrtschiffes im Mittelmeer und die Erschießung von Passagieren, Terroranschläge und Geiselnahmen, auch in Deutschland, all dies geht auf das Konto dieser Allianz. Und damals gab es weder Twitter noch Facebook, an das Internet war nicht zu denken. Mithin, die Kommunikationsstrukturen waren weit weniger vielfältig als heute.

Ein Zusammengehen Gaddafis mit El Kaida ist nicht auszuschließen. Nach unbestätigten Meldungen verfügt die libysche Armee über Bestände an Giftgas, etwas, was El Kaida bisher nicht beschaffen konnte. Wer möchte sich die Folgen ausmalen, wenn diese Bestände in die Hände fanatischer Terroristen gelangen? Einem in die Enge getriebenen Machthaber wie Gaddafi ist es zuzutrauen, dass er einen solchen Pakt eingeht. Versprengte libysche Militärangehörige, arabische Kämpfer, El Kaida, europäische Islam-Konvertisten, es hört sich nach einem gefährlichen Gemisch an. Und doch erscheint die Möglichkeit, dass ein solches Gemisch, ausgerüstet mit Waffen einer regulären Armee, auch ABC-Waffen, vor den Toren Europas in der Weite der libyschen Wüste Anschläge vorbereitet und diese dann auch durchführt, durchaus wahrscheinlich. Wie schwer dies zu verhindern wäre, zeigen die somalischen Piraten, die es trotz der Patroullien schwerbewaffneter Kriegschiffe immer wieder schaffen, Handelsschiffe zu entern und zu entführen.

Ausserdem ist folgendes zu bedenken. Gaddafi ist international nicht vollständig isoliert. Kuba ist von seiner weltwirtschaftlichen Bedeutung her zu vernachlässigen, Venezuela unter dem Präsidenten Chavez aber nicht. Dieser antiamerikanisch eingestellte Präsident hat sich bisher noch nicht geäussert, wie er die Entwicklung einschätzt. Venezuela ist aber ein Erdölexporteur und damit durchaus in der Lage, die Weltwirtschaft ein wenig zu beeinflussen. Der Bedarf an Öl wird weiter steigen, auch durch den wachsenden Bedarf nicht nur der aufstrebenden Industrienationen Indien und China. Auch Japan wird in den nächsten Jahren viel Öl importieren müssen, um sich wieder aufzubauen. Diese globalen Zusammenhänge weiss auch Gaddafi und wird sie versuchen zu nutzen.

Und eine Entscheidung Libyens wird schon in den nächsten Tagen unmittelbare Auswirkungen für die Europäer haben. Bisher hat Libyen mit der EU bei der Kontrolle der Flüchtlingsströme aus Nordafrika nach Europa kooperiert ( und dafür Millionen Euro erhalten). Diese Kooperation ist nun eingestellt, Libyen fühlt sich dafür nicht mehr zuständig. Die Italiener werden es auf Lampedusa als erste merken.

Ein militärisches Eingreifen ist immer schnell beschlossen und durchgeführt. Die politischen Folgen kommen erst viel später und sind bedeutend gravierender. Ein politisches Konzept, nicht nur für Libyen, sondern für den gesamten nordafrikanisch-arabischen Raum, haben weder die EU noch die USA bisher entwickelt. Die dortigen Umwälzungen erfordern aber nicht nur ein militärisches Reagieren, sondern ein Konzept einer neuen Partnerschaft, welche auf Gleichberechtigung und Achtung basiert.

Davon allerdings sind Europa und die USA noch weit entfernt.

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Geschrieben von

rolf netzmann

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rolf netzmann

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