Ausnahmesituationen katastrophischen Ausmaßes

Bundeswehr Karlsruhe schafft mehr Rechtsunsicherheit, als dass es klare Grenzen zieht

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In "Ausnahmesituationen katastrophischen Ausmaßes" darf die Bundeswehr im Inland "militärische Kampfmittel" einsetzen.
Das hat das Bundesverfassungsgericht am Freitag in einem Plenumsbeschluss mit 15:1 Richterstimmen beschlossen.
Allein die Tatsache, dass ein Plenumsbeschluss, also eine gemeinsame Beratung beider Senate mit allen 16 Richtern notwendig war, zeigt die diffizile Lage, in der sich die Richter befanden. Seit der Existenz des Gerichtes hat es solche Plenumsbeschlüsse erst vier mal gegeben.
Der SPD-Innenexperte Michael Hartmann stellt nun fest, dass "das Gericht alle Verantwortlichen hilflos zurück läßt, wenn es von `Ausnahmesituationen katastrophischen Ausmaßes`spricht, die eine Ausnahme rechtfertigen".
Und diese Frage ist berechtigt, weil diese Formulierung nicht juristisch greifbar ist. Auf Vergleichsfälle läßt sich ebensowenig zurückgreifen wie auf früher formulierte juristisch exakte Definitionen. Es bleibt schwammig, und auch wenn die Richter beschließen, dass "Gefahren, die aus oder von einer demonstrierenden Menschenmenge drohen", keine solche Gefahrendefinition darstellen, bleibt es diffus.
Die Bundesregierung muss als Kollegialorgan diesen Einsatz beschließen, nicht nur ein Minister. Zivile Flugzeuge dürfen weiterhin auch dann nicht abgeschossen werden, wenn sie für terroristische Aktionen missbraucht werden, sie dürfen aber mit Warnschüssen und Abdrängen zur Landung gezwungen werden.
Was aber ist, nehmen wir ein realistisches Beispiel, wenn es Terroristen gelingen sollte, in ein Gerichtsgebäude zu gelangen, dort Geiseln zu nehmen und Sprengstoff zu deponieren? Sie drohen, es in die Luft zu sprengen, sie stellen keine Forderungen, es geht nur um den nackten Terror.
Wer greift dann ein, die Sondereinsatzkräfte der Landespolizei, die GSG 9 der Bundespolizei oder doch militärische Einheiten?
Stellt eine solche Situation eine "Ausnahmesituation katastrohischen Ausmaßes" dar?
Auch wenn selbst Polizeigewerkschaften das Urteil begrüßen, weil es, wie der Vizechef der GdP Jörg Radek betont, " einer Remilitarisierung der Polizei einen Riegel vorschiebt", bleibt in einem konkreten Fall eine tiefe Rechtsunsicherheit.
Und nur darauf zu hoffen, dass ein solcher Fall nie eintritt, ist wohl zu wenig. Vom höchsten deutschen Gericht ist zu erwarten, dass es bei einem rechtlich, menschlich und politisch so diffizilen Problem mehr als nur Ausschlusskriterien formuliert.
Es bleibt seit Freitag eine juristische Grauzone, die viele Deutungsmöglichkeiten offen lässt.
Zu viele, wenn sie den Einsatz "spezifisch militärischer Kampfmittel" betrifft.
Dass die Karlsruher Richter sich auch eigener Einspruchsmöglichkeiten im Fall von eingehenden Klagen gegen den Einsatz der Bundeswehr im Inland berauben, sei hier nicht nur am Rande erwähnt.
Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

rolf netzmann

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rolf netzmann

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