die Altmark, der Krähenwald und eine früher reiche Stadt

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Einfach mal raus aus Berlin, ein Kurzurlaub in der Altmark, 2 Autostunden von zu Hause entfernt. Wir fanden ein günstiges Angebot, All Inklusive, Sektfrühstück auf dem Zimmer, ein Arrangement für Verliebte. Das wollten wir buchen und so freuten wir uns beide auf 3 Tage nur für uns. Wir wählten die Strecke über die Landstraße, fuhren durch kleine Städte, passierten Dörfer und ließen das Stadtleben hinter uns. Die Altmark, das weite Land, erwartete uns mit sattem Grün, frischer Landluft und neuen Eindrücken. Unser Hotel lag am Ortsrand von Kalbe an der Milde, ein kleines Städtchen, mehreren Eiscafes, einem Einkaufscenter, einem unscheinbaren Rathaus und kleineren Geschäften. Das Leben schien hier ruhiger, gelassener zu fließen, der Alltagsstress fiel schon auf der Fahrt von uns ab wie etwas, was wir nicht brauchen in den nächsten Tagen. Ein gemütliches Zimmer, ein reich gedecktes Abendbuffett, mehrere unterschiedliche Sorten Qualitätswein zur Auswahl erwarteten uns. Abends saßen wir auf dem Balkon, blickten auf eine mäßig befahrene Ausfallstraße und rauchten. Auf der anderen Seite der Straße lag ein kleines Wäldchen, aus dem es immerzu krähte. Wir waren froh, dass unser Zimmer auf der gegenüberliegenden Seite des Hotels lag, versprach es doch für uns eine ruhige Nacht zu werden. Da erlebten wir es zum ersten Mal, der Krähenwald erwachte. Wie auf ein Kommando erhob sich ein Schwarm Krähen, es krächzte aus hunderten von Kehlen über uns und wie in einer einstudierten Formation flogen die Vögel eine große Runde, um sich danach mit lautem Geschrei wieder auf den Baumwipfeln niederzulassen. Wenige Minuten später saßen auch die letzten Nachzügler wieder auf den Ästen. Dieses Schauspiel erlebten wir an diesem Abend noch mehrfach, das Krah, Krah schwoll kontinuierlich an, ein Flügelschlagen und hunderte von Krähen flogen als Formation über uns hinweg, einen Höllenlärm verursachend, um sich Minuten später wieder niederzulassen. Es hatte etwas von Hitchcocks " Die Vögel", beindruckend und schaurig zugleich.

Der nächste Morgen, ein ausgiebiges Frühstück auf dem Zimmer, ein Glas Sekt für jeden von uns, und wir fuhren nach Gardelegen, ein schönes Städtchen, durch die kleinen Straßen bummeln , die alten Fachwerkhäuser bestaunen, die Ruhe genießen. Eines der Wahrzeichen ist das Salzwedeler Tor, ein gut erhaltenes Bauwerk, das vor Jahrhunderten eines der Stadteingangstore war, zu einer Zeit, als die Stadt durch den Handel mit Hopfen und Bier sehr reich war und sich dadurch immer wieder vor Angriffen verteidigen musste. Heute dient der Innenraum des Tors als Ausstellungshalle und ein Ehepaar bereitete gerade die nächste vor. Die Frau nahm sich viel Zeit, uns die Geschichte des Tors und der Stadt zu erzählen. So erfuhren wir, dass die Mauern des Tors 4 Meter dick sind, wo früher die Munition gelagert wurde und wie der Verteidigungsring beispielsweise in der Zeit des dreißigjährigen Krieges aufgebaut war. Sie zeigte uns, wo schwere Eichentore eingehängt wurden, wenn es die militärische Lage erforderlich machte.Wer weiß denn heute noch, dass ein Auffüllen des zwei Meter breiten Zwischenraumes zwischen den Eichentoren mit Stroh, Heu und anderem weichen Material in der damaligen Zeit einen hohen Schutz bot, weil in diesem weichen Material Kanonenkugeln einfach stecken blieben? Rund um die Stadtmauern durfte 80 Meter weit in das umliegende Land hinein kein Hopfen angebaut werden, damit die Späher auf den Türmen ankommende Feinde rechtzeitig erkennen konnten. Diese Stadtmauer war zunächst 4 km lang und wurde später, nach dem Bau der Bürgerhäuser, erweitert, um auch diese vor Angriffen zu schützen. So war die Stadt zwar gegen eine Belagerung gut geschützt, nur wurde sie während des dreißigjährigen Krieges auch fast ausgehungert, weil es für ihre Bewohner schwer war, sie während kriegerischer Auseinandersetzungen zu verlassen. Wir erfuhren, dass Gardelegen einen vom Rathaus ausgehenden dreieckigen Marktplatz hat, den wir später noch besichtigten. Und dass in der Blütezeit des Bier Brauens in etwa 250 Bürgerhäusern Bier gebraut wurde, was zusammen mit dem Anbau des Hopfens die Stadt reich machte. Das Garley wurde früher bis weit in den Norden exportiert und dort geschätzt und wird heute noch in der Stadt gebraut und in Kneipen und Gaststätten ausgeschenkt. Nur ist vom Reichtum nicht mehr viel geblieben. Sicherlich ist nach 1990 viel getan wurden, die alten Fachwerkhäuser erstrahlen in neuem Glanz. Die Gewerbegebiete vor den Toren der Stadt wurden nicht nur erschlossen, einem rührigen Bürgermeister und einem Verantwortlichen für Wirtschaftsförderung gelang es, Investoren zu locken und so gibt es heute eine dauerhafte Ansiedlung von Gewerbe und Industrie. Die Arbeitslosenquote ist mit 10% niedriger als in anderen ländlichen Gegenden. Doch ist das Stadtmuseum, welches beispielsweise Exponate aus der Blüte der Gardelegener Brauereikunst zeigte, wegen Geldmangel inzwischen geschlossen, was wir sehr bedauerten. Ein Besuch eines Cafes am Marktplatz und ein frischgezapftes, kühles Garley beendeten den Besuch dieser einladenden, gastfreundlichen Stadt.

Der Abend, ein Rotwein auf dem Balkon und das Warten auf den Formationsflug der Krähen. Sie ließen lange auf sich warten, immer wieder starteten mal einige einzelne, doch erst nach dem drittten Glas Wein erhob sich der Schwarm in die Luft und bot uns wieder einen schaurig-schönen Anblick.

Der nächste Tag, die Rückfahrt mit Zwischenstopp in der Hansestadt Stendal, dem Besuch der mächtigen St. Nicolai Kirche und dem Bummeln durch eine Kreisstadt, die schon wieder belebter wirkte als das beschauliche Gardelegen, welches eine ansteckende Ruhe ausströmte.

Wir fahren zurück nach Berlin, wieder durch kleine Dörfer, an Feldern vorbei, auf denen sich der rote Mohn im Winde wiegt. Eine schöne Zeit liegt schon wieder hinter uns, ein Ausbrechen aus dem Alltagstrott, eine Zeit der Erholung für Körper und Geist in einer Landschaft, die durch eine ruhige Weite besticht und in der das Leben ruhiger fließt als im hektischen Trubel der Weltstadt Berlin.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

rolf netzmann

life is illusion, adventure, challenge...but not a dream

rolf netzmann

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden