Die Macht der Umfragen, die Grünen und die Macht der Wähler

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Einige Berliner Zeitungen von heute haben es als Headlines, es war sowieso ein offenes Geheimnis. Renate Künast wird Spitzenkandidatin der Grünen bei der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus 2011. Nun schwimmen die Grünen im Moment auf einer Welle von Umfragehochs. In Baden-Würtemberg und Berlin führen sie als stärkste Partei das Ranking an. Im Südwesten signalisiert die SPD bereits, dass sie als Juniorpartner in eine grün geführte Landesregierung eintreten würde, nur um die Macht der CDU zu brechen. So weit ist die Wowereit-SPD der Bundeshauptstadt noch nicht, die ja in einer anderen Position als ihre baden-würtembergischen Genossen ist, weil sie seit Jahren Regierungspartei ist.

Was haben die Grünen aber inhaltlich anzubieten, wie wollen sie die Berliner Probleme lösen? Eine populäre Frau als Spitzenkandidatin aufzustellen, die ihre politischen Wurzeln in Berlin hat, ist das Eine. Das Andere ist ein Programm, das die aktuellen Probleme Berlins klar benennt und praktikable Lösungsmöglichkeiten aufzeigt. Die grundgesetzlich verankerte Schuldenbremse lastet schwer auf dem Land, das mit etwa 60 Mrd. in der Kreide steht. Sparen allein wird nicht helfen, auf den momentanen Aufschwung zu setzen, der ja real mehr Steuereinnahmen bringt, ist gewagt. Kriminalität, Verslumung mancher Kieze, Neuansiedlung innovativer Technologieunternehmen, die Zusammenarbeit mit Brandenburg... nur einige der Themen, denen sich die Regierende Bürgermeisterin stellen müsste. Nur ist davon nichts zu hören, noch nicht??

Die Grünen lassen sich jede Koalitionsoption offen, was geschickt ist in dieser Zeit. Ob SPD oder CDU, entschieden wird nach der Wahl, so heisst es inisono von allen Politikern. Auch die Berliner Christdemokraten wollen natürlich wieder von den Oppositions- auf die Regierungsbänke und lehnen deshalb eine Zusammenarbeit mit den Grünen nicht generell ab. Wie heisst das Spiel, was jetzt in Berlin gespielt wird - Mikado? Wer sich zuerst bewegt, verliert?

Fakt ist, dass die Stadt eine Regierung braucht, die anpackt, die konkrete Konzepte hat, wie die drängenden Probleme gelöst werden können. Wer dabei den Chefposten innehat, ist für uns Bürger zweitrangig. Ja, für uns Bürger. Für die Spitzen der Berliner Parteien sieht dies anders aus, es geht um Macht, nicht nur in Berlin, auch im Bund, über den Bundesrat. Eine grüne Regierungschefin in Berlin eröffnet der ehemaligen Ökopartei völlig neue Perspektiven, würde das Parteiensystem, in dem bisher nur zwei Parteien, die sogenannten Volksparteien SPD und CDU Regierungschefs stellten, gehörig durcheinanderwirbeln. Das wollen die Grünen, aus der Rolle des ewigen Juniorpartners, begonnen 1985 unter Holger Börner in Hessen, ausbrechen, selber der Koch und nicht nur der Kellner sein.

Dafür werden sie in Baden - Würtemberg alles tun und sollte dort wirklich im Frühjahr nächsten Jahres die erste Grün-Rote Regierung gebildet werden, wird dies auch Auswirkungen auf die Berliner Wahlen haben. Der Schub für die Grünen, seht her, wir können es, wird enorm sein. Nur wird dies auch für uns Bürger so enorm sein? Sind wir in diesem Spiel wieder nur, wie immer, Manövriermasse?

Es wird interessant sein, ob die hochfliegenden ehemaligen Ökos eine saubere Punktlandung hinbekommen werden, sprich, wirklich die Bürgerinteressen vor Parteiinteressen stellen. Das liegt aber auch maßgeblich in unserer Hand, ob wir die Grünen nicht nur in den Umfragen, sondern auch am Wahltag auf 26-28% der Stimmen hieven. Ohne konkrete, finanzierbare und praktische Vorhaben, die die Grünen umsetzen wollen und die die Lebenssituation breiter Bevölkerungsschichten nachhaltig positiv verbessern, sollten wir Wähler uns das überlegen. Der eigentliche Koch können immer noch wir sein, wenn wir es wollen. Als Stimmvieh für politische Machtspiele sollten wir mündigen Bürger uns zu schade sein, oder?

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

rolf netzmann

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rolf netzmann

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