Die Medialisierung privaten Lebens und deren Folgen

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Wer heute nur wenige Freunde bei Facebookhat, gilt für manche schon als seltsamer Zeitgenosse. Dass wir weltweit unsere Mails checken und Zugriff auf das Internet haben, empfinden wir längst als Normalität.Social Networksund Twittersind inzwischenfester Bestandteil unseres Lebens geworden.

Warum aber ist der Kachelmann – Prozess dann so ein Aufreger?Folgt er doch den gleichen Gesetzen der Medialisierungprivaten Lebens wie der Facebook User, der davon berichtet, dass er jetzt zwei Stunden Rasen gemäht hat und nun erst mal ein Bier trinkt.

Natürlich war der Fakt, dass Kachelmann mehrere Frauen gleichzeitig hatte, für diesen Prozess nie relevant.Und doch weiß es jetzt jeder, der es wissen wollte. Der Kampf zwischen Verteidigung und Staatsanwaltschaft um die besten Argumente, die den Richter überzeugen, war schon immer ein wesentlicher Bestandteil von Strafprozessen. Heute wird dieser Kampf auch medial geführt. Manipulierung der öffentlichen Meinung als ein Mittel der prozessualen Kriegführung, nie war es deutlicher zu erleben als bei dem Mannheimer Strafprozess. Es war offen und ehrlich, wie Johann Schwenn,Kachelmanns Verteidiger, am Tag des Freispruchs am späten Abend bei Markus Lanz im ZDF auftrat. Er zog eine klare Trennlinie zwischen dem „ Spiegel „ und dessen Gerichtsreporterin Gisela Friedrichsen, der er eine objektive und immer an den Fakten orientierte Berichterstattung bescheinigte, und der Burda Presse. Dieser warf er unter anderem vor, seinen Mandanten von Anfang an beschädigen zu wollen. Interessant ist, dass Schwenn den objektiv berichtenden Medien eine positive Wirkung auf den Prozessverlauf bescheinigte. Damit hat er indirekt bestätigt, dass der Prozess von Beginn an auch medial geführt wurde.

Die Medialisierung privaten Lebens hat mit diesem Verfahren eine neue Dimension erreicht. So bleibt ein mehr als bitterer Beigeschmack. Neben den bereits bekannten juristischen Betrachtungen, z.B. die unnötige Untersuchungshaft Kachelmanns, zeigt dieser Prozess auf, wie wenig Medien heute noch die Privatsphäre von Menschen achten können. Sie können es nicht, weil auch sie in einem harten Konkurrenzkampf untereinander stehen und weil der Öffentlichkeit präsentierte Prozessinterna immer auch eine höhere Auflage oder Einschaltquote bedeuten.

Es war wegen des Bekanntheitsgrades des Beschuldigten und der Schwere des Tatvorwurfs kein gewöhnlicher Prozess. Nur bleibt nach 44 Verhandlungstagen auch zu konstatieren, dass die Medien ihn immer im Focus des öffentlichen Interesses gehalten haben. Damit bekam er eine völlig überhöhte Bedeutung in der Flut täglicher Nachrichten. Und die Würde der Nebenklägerin sowie des Beschuldigten wurden an jedem Verhandlungstag mehr in den Schmutzgetreten.

Doch ist diese Kritik an den Medien auch scheinheilig. Der elektronische Exhibitionismusin den social networks ist längst gesellschaftlich anerkannt. Posten was das Zeug hält, als Zeichen dafür, dass wir noch leben. Und bei einem solchen Prozesssoll diese Gesetzmäßigkeit plötzlich nicht mehr gelten?

Es ist wohl eher so, dass wir hier unseren Voyerismus nur nicht zugeben wollen.Es ist der Preis für unsere Abkehr vom Privaten und den fast zwanghaften Wunsch, uns öffentlich zur Schau zu stellen, den wir jetztzahlen. Die Geister des öffentlich Entblößens sind wir in diesem Prozess nur nicht wieder los geworden. Und sie wurden uns mit brutaler Deutlichkeit vorgeführt… um sie bei der nächsten Gelegenheit wieder zu erleben.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

rolf netzmann

life is illusion, adventure, challenge...but not a dream

rolf netzmann

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