Die Vergangenheit in der Gegenwart

Trabant Eine Fahrt mit einem Trabant weckt nicht nur nostalgische Erinnerungen

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Das erste wird immer etwas Besonderes bleiben, egal was danach noch kommt. Mein erstes war himmelblau, gebraucht mit schon einigen Jahren auf dem Buckel von einem damaligen Bekannten gekauft. Nie werde ich vergessen, wie ich es das erste Mal startete, wie es vibrierte und mit dem für einen Zweitakter typischen Scheppern ansprang. Der Geruch des Benzingemisches hing in der Luft und zog durch die geöffnete Fensterscheibe in das Innere des Trabant. Stolz wie Bolle fuhr ich von der Wohnung des Bekannten quer durch Berlin zu mir. Und ich pflegte ihn, bis er 1990 einen TÜV brauchte und ich ihn schweren Herzens der Schrottpresse übergab.

Daran dachte ich, als ich auf dem Hof der kleinen Werkstatt in Berlin-Karlshorst stand und den, natürlich himmelblauen, Trabant sah, den ich für die folgenden 6 Stunden fahren durfte. Eine kurze Einweisung, eine Bremsprobe auf dem Hof und los ging es. Einordnen in den fließenden Verkehr und am Stadion der Eisernen Unioner vorbei, die an diesem Sonntagnachmittag noch ein Unentschieden gegen den PSV Eindhoven erkämpfen sollten, fuhren wir in die Köpenicker Altstadt und weiter Richtung Müggelsee. Erinnerungen an die Vergangenheit kommen hoch, meine Eltern und Geschwister auf dem Weg in den Urlaub und der Trabi vollgepackt. Und es war völlig normal für uns, damals, Mitte der 70-er Jahre. Mehr als 3 Millionen des auch als "Zwickauer Rennpappe" genannten Wagens wurden in Sachsen produziert, es war der Volkswagen des Ostens. Solche Gedanken gingen mir durch den Kopf, während ich auf den ersten Kilometern mit der ungewohnten Gangschaltung kämpfte und die Bremse verfluchte, die ich immer bis zum Bodenblech durchtreten musste, um den Wagen an roten Ampeln zum Stehen zu bringen.

Wir biegen von der Hauptstrasse ab auf eine quer durch den Wald führende Holperstrecke, die uns nach Müggelhort bringen soll. Nach 30 Minuten Fahrt wollen wir entspannen, am Ufer des Müggelsees einen Kaffee trinken und die Ruhe der Natur genießen. Schon während der Fahrt wurden wir wie Exoten mit mitleidigen Blicken bedacht und auch beim Einparken zogen wir mit unserem himmelblauen Trabant die Blicke auf uns. Wie geht die Beifahrertür abzuschließen, ein Schlüsselloch gibt es nicht? Kurzes Nachdenken, aha, hier ist ein Hebel, den drücken wir nach unten und schon ist das Problem gelöst.

Die Strecke über Gosen und Wernsdorf nach Schmöckwitz ist landschaftlich reizvoll, am Sonntagnachmittag sind nur wenige unterwegs und so schleichen wir gemächlich mit 50 km/h dahin, ohne wirklich ein Hindernis für alle anderen zu sein, die uns generös lächelnd überholen.

Was passiert, wenn es regnet, sich wahre Sturzbäche aus den Wolken ergießen und ein Paar mit einem mehr als 25 Jahre alten Trabi auf einer Strasse unterwegs ist, die mitten durch einen Wald führt?

Es hat etwas Unheimliches an sich, wenn die kleinen Scheibenwischer versuchen, irgendwie dem Fahrer noch etwas Sicht zu verschaffen, wenn das Gebläse versagt, die Innenscheiben im Sekundentakt beschlagen und quasi im Blindflug mit Minischeinwerfern und 40km/h versucht wird, die Spur zu halten. Wieder kommen Erinnerungen hoch an die damalige Zeit und die Frage taucht irgendwann unweigerlich auf, das war wirklich normal für uns?

Vergleiche drängen sich auf, zwischen dem ersten, der immer etwas Besonderes bleiben wird, und späteren Autos, die bequemer und sicherer waren. Und doch ist es ein erhebendes Gefühl, mal wieder einen Trabant zu fahren, ohne Servolenkung, mit einer Schaltung, die Kraft und Gefühl zugleich erfordert sowie Scheibenwischern und Schaltern, die wie Spielzeug wirken. Langsam bildet sich auf der Fussmatte eine kleine Pfütze, die Frontscheibe ist nicht richtig eingepasst und kleine Tropfen Wasser finden den Weg ins Innere.

Der Regen hat sich verzogen, wir haben noch Zeit und wollen das Gefühl noch einmal so richtig auskosten. Der Treptower Park und linkerhand die Spree fliegen an uns vorbei, ehe wir in die Warschauer Strasse einbiegen. Noch einmal richtig hinein ins Gewühl, Schalten, Anfahren und immer wieder erleben wir ungläubige Blicke und Kopfschütteln.

Es war eine Reise in die Vergangenheit, bei der wir doch in der Gegenwart geblieben sind, eine Symbiose unterschiedlicher Zeiten mit uns als Akteuren und zugleich als Beobachtern. Eine Mischung aus Erinnerungen, Staunen, Vergleichen und einem tiefen Eintauchen in eine Zeit, die sich nur noch stundenweise zurück holen lässt. Doch genau darin lag der Reiz dieser 6 Stunden, in dieser einzigartigen Gemengelage sich gegenseitig überlagernder Empfindungen und Wahrnehmungen.

Und so war es ein Abschied mit Wehmut, auch wenn die Rückfahrt mit unserem Auto wesentlich komfortabler war. Dass ich die Bremse zunächst auch hier bis zum Bodenblech durchtrat, zeigt, wie sehr ich mit (m)einem himmelblauen Trabant schon wieder verbunden war.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

rolf netzmann

life is illusion, adventure, challenge...but not a dream

rolf netzmann

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