KRAFTKLUB bringt mehr als nur Musik

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Der folgende Blog sind Gedanken zum Titelthema der aktuellen Druckausgabe des Freitag.

Die Texte von Kraftklub lassen aufhören, sie sind ehrlich und spiegeln die erlebte Realität wieder. Und doch bleibt ein bitterer Beigeschmack. Wären die Jungs aus dem Ruhrgebiet, würde die mediale Aufmerksamkeit, auch im FREITAG, viel geringer sein. Weil sie aber aus Chemnitz kommen, werden sie gehypt. Nur warum eigentlich? Macht es denn heute wirklich noch einen Unterschied, ob junge Männer aus den neuen oder aus den alten Bundesländern die Realität auf die Bühne bringen? Scheinbar schon.
Die Mitglieder der Gruppe haben die DDR nicht mehr bewusst erlebt, sie sind hineingewachsen in die Bundesrepublik. Nur hat in ihrer Kindheit und Jugend der andere deutsche Staat immer noch existiert, und zwar in Form der Eltern, Verwandten und Bekannten der Erwachsenen. Sie haben vielleicht einen Geschichtslehrer gehabt, der schon den Vater oder die Mutter unterrichtet hat. Und sie haben in Gesprächen mit den Eltern erlebt, dass dieser Lehrer die Zeit von 1933 – 1945 heute anders darstellt als früher. Das fängt schon bei den Begriffen an, heute heißt es Nationalsozialismus, früher Faschismus.
Sie haben vielleicht gehört, dass die Eltern über die Arbeit der Treuhandanstalt gesprochen haben und dass diese ihren Betrieb plattgemacht hat und sie heute in einer Auffanggesellschaft arbeiten dürfen. Die Eltern oder andere Erwachsene haben vielleicht geäussert, dass sie sich als Deutsche zweiter Klasse fühlen.Und dass hat hre Kinder eben auch geprägt, neben dem Erleben der Welt, in die sie hineingewachsen sind, gab es noch eine andere, real nicht mehr existierende, aber immer noch vorhandene Welt der Erinnerung in ihrem sozialen Umfeld.
Es war damals in allen neu entstandenen Bundesländern eben eine Zeit nicht nur der Umorientierung und des Neuanfangs, sondern auch eine Zeit der Hoffnungen und Enttäuschungen. Von der DDR haben sich ihre Bürger abgewendet, ihre Hoffnungen und Wünsche setzten sie auf die Bundesrepublik. In Sachsen war es Kurt Biedenkopf, der diese Hoffnungen als erster Ministerpräsident erfüllen sollte. Dies um so mehr, weil Biedenkopf immer eine öffentliche Distanz zum Kanzler der deutschen Einheit hielt. Biedenkopf war der Prototyp des fürsorglichen Landesvaters, und er pflegte seinen Mythos, dass er einer der „Putschisten“ gegen Kohl war, neben Heiner Geißler und anderen. Nur konnte Biedenkopf die in ihn gesetzten Erwartungen nie erfüllen, weil er erstens auch viel zu sehr im politischen System der alten Bundesrepublik verhaftet war und zweitens, weil der Abbau der Industrie in den ehemaligen DDR-Bezirken Dresden, Leipzig und Karl-Marx-Stadt, aus denen das Bundesland Sachsen entstand, auch durch ihn nicht aufzuhalten war.
Und so kam es zur zweiten Enttäuschung der dort lebenden Deutschen. Die rasche Deindustrialisierung des ehemals hochindustrialisierten Sachsen, die dadurch rasant steigende Arbeitslosigkeit schufen eben auch menschliche Tragödien. Die Neuansiedlung beispielsweise von Opel in Eisenach oder IBM in Dresden konnte diese Entwicklung auch nicht verändern, es waren eben nur die hoch gelobten „Leuchttürme“ inmitten einer plattgewalzten Brache.

Und dies war der Nährboden für rechtes Gedankengut. Nun ist es falsch zu sagen, dass die Nazis erst ab 1990 auftauchten, es gab sie schon seit 1986/1987. Der erste Naziüberfall auf ein Konzert alternativer DDR-Bands fand schon 1987 in der Berliner Zionskirche statt und es es sollte nicht der letzte sein. Der Boden existierte bereits, auf dem die Aufbauhelfer aus den alten Bundesländern aufbauen konnten. Das trifft nicht nur auf Sachsen zu, auch auf andere neue Bundesländer. DVU- Fraktionen in zwei Legislaturperioden im Brandenburger Landtag, NPD-Fraktionen in der zweiten Legislaturperiode in den Landtagen Sachsens und Mecklenburg-Vorpommerns sprechen eine deutliche Sprache. Doch das ist nur das offen sichtbare. Rechte Kameradschaften, Wehrsportgruppen und im geheimen operierende Netzwerke sind das andere, viel gefährlichere.
Wo die Menschen keine Zukunft mehr sehen, wo vieles, was ihr Leben früher ausmachte, zusammen gebrochen ist, da hat es rechte Ideologie leicht. Auch die NSDAP wurde in der Weimarer Republik erst nach der Weltwirtschaftskrise von 1929 so stark, dass sie 1933 als stärkste Fraktion in den Reichstag einzog. Gleiches hat sich, natürlich modifiziert, nach 1990 in den neuen Bundesländern wiederholt. Hier fanden sowohl DVU und NPD ein Klima vor, in dem ihre einfachen Antworten auf die drängenden Fragen nicht hinterfragt wurden, als auch rechtsradikale Gruppen unter den Jugendlichen genügend Anhänger, weil sie denen eine vermeintliche Zukunft bieten konnten. Und weil der Staat dem nichts entgegensetzte, weil neben Arbeitsplätzen auch Jugendfreizeiteinrichtungen ersatzlos gestrichen wurden, hatten es beispielsweise die Jungen Nationaldemokraten leicht, in diese Lücke zu stoßen. Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe als „Zwickauer Terrorzelle“ sind das sicherlich traurigste und bekannteste Beispiel dafür. Sie glitten wie viele andere ab in den braunen Sumpf, nur sie gingen noch viel weiter, wurden immer radikaler und schließlich zu Mördern. Sie fanden in rechtsextremen Gruppen einen Halt, den sie in der Gesellschaft nicht mehr zu finden glaubten. Sie identifierten sich immer mehr mit dem Gedanken, dass die Ausländer an allem Schuld sind, eine Aussage, die sich in den Wahlplakaten der NPD in simplifizierter Form ebenfalls wiederfindet. Und sie handelten brutal, weil sie dies als für sich notwendig erachteten. Ihre menschenverachtende Ideologie aber erhielten sie im braunen sächsischen Untergrund, der nach 1990 entstanden ist.

Diese geschichtliche Entwicklung gilt es mit zu beachten, um KRAFTKLUB richtig zu verstehen. Sie haben Erfolg eben auch deshalb, weil sie ihr bisher gelebtes Leben und die Realität, in der sie sie sich bewegen, offen und klar artikulieren. Dieser Erfolg sei ihnen gegönnt, keine Frage, nur baut er eben auf den letzten 20 Jahren auf. Bleiben sie sich selber treu und bringen sie diese Realität weiter auf die Bühne, dann ist dies ein Stück Normalität in Deutschland, nicht mehr und nicht weniger.

Die Frage bleibt aber auch, wie gehen wir heute mit dieser historisch in den letzten zwanzig Jahren gewachsenen Situation um. Mit der Generation der heute ab 65- jährigen und älter sowie der heute ab 45-jährigen leben in Deutschland zwei Generationen, die sowohl die DDR als auch die Bundesrepublik bewusst erlebt haben und heute erleben. Sie können nicht nur vergleichen, sie können auch etwas einbringen in das vereinigte Deutschland, wennn man sie denn ließe. Sie bringen ihr Leben natürlich in das Berufsleben ein, viele Arbeitgeber der alten Bundesländer stellen gerne Arbeitnehmer aus den neuen Ländern ein, weil sie wissen, dass diese arbeiten können und verläßlich sind. Das ist auch nicht gemeint. Vielmehr geht es darum, Lebenserfahrung und gewachsene Ansichten in die heutige Gesellschaft einzubringen. Wenn im FREITAG Artikel über den 13. Februar in Dresden der heutige sächsische Ministerpräsident Stanislaw Tillich als Opportunist bezeichnet wird, so mag das sachlich richtig sein. Es demonstriert aber auch, dass er dies in der DDR gelernt hat und , das klingt jetzt hart, der Ossi eben so ist. Es lohnt sich aber, einmal darüber nachzudenken, wie der Ossi wirklich ist, mal davon abgesehen, dass es Millionen sehr unterschiedlicher Ossis gibt. Eine Simplifizierung auf Opportunismus ist hier wenig hilfreich.

Wenn wir wirklich ein einig Deutschland werden wollen, gehört dazu auch, das Leben von Millionen Menschen anzunehmen. Unterschiedliche Mindestlöhne für Ost und West gehören nicht dazu. Equal pay for equal work war früher eine Forderung, um die Diskriminierung berufstätiger Frauen zu beenden, was bis heute nicht erreicht wurde. Es sollte heute eine Forderung sein, um die immer noch real existierende Diskriminierung ostdeutscher Arbeitnehmer zu beenden. Auch das wäre ein Beitrag zu Vollendung der deutschen Einheit.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

rolf netzmann

life is illusion, adventure, challenge...but not a dream

rolf netzmann

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden