Denke ich an Intellektuelle, so drängt sich mir das Bild von älteren Herren auf, bärtig, mit Hüten, in einem Salon sitzend, Pfeife rauchend und über den Zustand der Welt philosophierend. Eine Klischeevorstellung, sicherlich, und auch nicht die Realität in den Goldenen Zwanzigern des vergangenen Jahrhunderts.
Wo sind die heutigen, aufstrebenden Intellektuellen, fragt Herr Gumbrecht und nennt Habermas oder Sloterdijk aus der vergangenen Generation.
Was charakterisiert einen Intellektuellen in der heutigen Zeit? Der Autor nennt unter anderem zwei Kriterien, erstens das riskante Denken, zweitens Engagement. Diesen Gedanken konsequent weitergedacht, kommen wir zu Julien Assange. Der Wikileaks Gründer hat nicht nur riskant, im Sinne von eingefahrene Gleise verlassen, gedacht, er hat die Idee auch optimal umgesetzt. Nehmen wir als dritten Aspekt noch hinzu, dass der Intellektuelle immer auch Visionen hatte, rundet sich das Bild von Assange als heutigem Intellektuellem ab.
Dieses Beispiel zeigt, wie sich Wertungen verschieben, wie die sich verändernde Umwelt auf gesellschaftliche Prozesse auswirkt. Kam der Intellektuelle des letzten Jahrhunderts oft aus dem akademischen Bereich, war publizistisch tätig , manchmal auch als Schriftsteller, so kann er heute eben auch aus der Hackerszene kommen und das Internet dafür nutzen, bisher geheime Dokumente einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Assange hat das schon immer existierende Whistleblowing revolutioniert, auf eine neue Stufe gestellt.
Das Thema Öffentlichkeit ist in diesem Zusammenhang interessant. Waren es früher die FAZ oder der Spiegel, die den Intellektuellen als Verbreitungsmedien zur Verfügung standen, ist es heute eben auch das Internet. Eine eigene Homepage kann sich heute jeder leisten, diese mit anderen Foren zu verlinken ist kein Problem und schon hat der Intellektuelle des Internetzeitalters genau so viel potentielle Leser wie derjenige der 70-er Jahre des letzten Jahrtausends. Diese Vielfalt der Ausdrucksmöglichkeiten hat aber auch ihre Kehrseite, vieles verschwindet in der Masse, wird einer breiten Öffentlichkeit nicht bekannt. So manches Essay, mancher Gedanke versandet in den Weiten des World Wide Web. So ist die Frage von Herrn Gumbrecht eben auch eine Frage, wie die vorhandenen technischen Möglichkeiten genutzt werden. Wenn es selbst ein bekannter Mann wie Peter Sloterdijk mit seinem Nachdenken über die Steuerhoheit des Staates nicht schafft, eine Diskussion in der Gesellschaft anzustoßen, zeigt dies zweierlei. Erstens, wie erstarrt das Denken bereits ist, wie normativ und geregelt unser Alltag ist, dass ein solcher Gedanke nichts bewirkt, außer einen Diskussion im kleinen Kreis. Zweitens, dass eine Publikation in einem traditionellen Printmedium eben nicht mehr so viele Interessente erreicht wie vor dem Internetzeitalter.
In der gleichen Ausgabe des Freitag, in welcher Gumbrechts Polemik erschien, wurde übrigens Sloterdijk in einem anderen Beitrag als Solidarverweigerer bezeichnet. Nun wurden Menschen wie Sloterdijk wegen ihrer Ansichten schon immer angefeindet, was in der Natur der Sache liegt. Wenn Intellektuelle allerdings parteipolitisch vereinnahmt werden, demontiert man sie gleichzeitig. Bei Sloterdijk war es in der letzten Zeit mehrfach so, dass er von einigen Journalisten dem rechten politischen Lager zugerechnet wurde. Eine sachliche Diskussion über seinen Ansichten ist aber etwas anderes, als zu versuchen, ihn politisch einzuordnen.
Zum Thema Sachlichkeit. Dass ein Thilo Sarrazin mit seinen Thesen eine gesellschaftliche Diskussion auslösen konnte, die im Grunde kontraproduktiv war, weil keines der durchaus realen Probleme in einer sachlichen Atmosphäre diskutiert werden konnte, war seiner provokativen Ausführung zu verdanken. Sarrazin, gewiss kein intellektuelles Schwergewicht, gewann durch provokative Äußerungen, durch die dadurch einsetzende mediale Dauerwerbung eine Präsenz, die in keinem Verhältnis zu der Bedeutung seines Buches stand. Dieses Beispiel zeigt aber, nach welchen Spielregeln Öffentlichkeitswirksamkeit funktioniert.
Heißt dies im Umkehrschluss, dass jeder Intellektuelle laut polternd durch die Lande ziehen muss, um Aufmerksamkeit zu erhalten? Mitnichten, zumal die großen Denker und Philosophen auch oft in ihren Salons in kleinem Kreis diskutierten. Diese Salons befinden sich heute im Internet und sind vom heimischen Sofa per Mausklick erreichbar. Es heißt, dass die heutige Generation der jungen Philosophen, der intellektuellen Dichter und Denker ihre eigenen Möglichkeiten der Kommunikation nutzt, in Internetforen, bei Lesungen junger Autoren, bei Gesprächsrunden ganz traditionell bei Wein und Bier. Es heißt, dass in der heutigen Welt, die sich selber als Informationszeitalter definiert, Intellektuelle vielleicht auch nicht mehr als die einsamen Denker, der der Gesellschaft sagen, was sie nicht hören will, aber besser hören sollte, gesehen werden sollten.
Hier lohnt ein Blick nach Lateinamerika. Seit Lula da Silva 2003 in Brasilein als erster „linker“ Präsident ins Amt kam, folgten ihm einige andere. So unterschiedlich Lula, Evo Morales aus Bolivien oder Hugo Chavez aus Venezuela auch sind, alle haben eines gemeinsam. Sie haben Visionen, die verlassen das normative Denken und --- sie sind in der Lage, ihre Visionen einem Praxistest zu unterziehen, weil sie politische Macht haben. Unterstützt und getragen von breiten sozialen Bewegungen haben sie die Mehrheit der Bevölkerung hinter sich. Sind sie vielleicht auch neue, zeitgemäße Intellektuelle?
In einer sich immer noch rasant verändernden Welt brauchen wir Menschen, die erstarrtes normatives Denken aufbrechen, riskant denken, wie Gumbrecht schreibt, und dies mit eigenem Engagement verbinden. Die Formen der Darstellung ändern sich, siehe Julien Assange, die wesentlichen Kriterien bleiben. Wenn wir diese Kriterien hinter anderen Erscheinungsformen weiterhin erkennen können, wissen wir auch, dass die Intellektuellen auch heute nicht ausgestorben sind
Kommentare 8
@rolf netzmann
Mit den Intellektuellen ist es wie mit der Psychoanalyse, sie sind als Tiger einer intellektuellen, psychoanlatytischen Bewegung, Strömung in der Hoffnung gestartet, dass dieser Spirit alle Menschen ringsum in den gesellschaften, Schichten bildungsnah, bildungsfern in Freier Assoziation ohne Ansehen der Person erfasse, uns sind konjugiert, gebeugt als Bettvorleger einer profanen Akademisierung vieler Berufe und Berufungen gelandet.
Kein wirklciher Denker wird sich als Meisterdenker hofieren lassen. Denken ist eine menscheitliche Veranstaltung, Das haben wir schon immer geahnt. Seit der Existenz des Internet, des World Wide Web www.org., wissen wir es.
In diesem Sinne alles Gute im Jahre 2011
tschüss
JP
@rolf netzmann
Mit den Intellektuellen ist es wie mit der Psychoanalyse, sie sind als Tiger einer intellektuellen, psychoanlatytischen Bewegung, Strömung in der Hoffnung gestartet, dass dieser Spirit alle Menschen ringsum in den gesellschaften, Schichten bildungsnah, bildungsfern in Freier Assoziation ohne Ansehen der Person erfasse, uns sind konjugiert, gebeugt als Bettvorleger einer profanen Akademisierung vieler Berufe und Berufungen gelandet.
Kein wirklciher Denker wird sich als Meisterdenker hofieren lassen. Denken ist eine menscheitliche Veranstaltung, Das haben wir schon immer geahnt. Seit der Existenz des Internet, des World Wide Web www.org., wissen wir es.
In diesem Sinne alles Gute im Jahre 2011
tschüss
JP
@rolf netzmann
Mit den Intellektuellen ist es wie mit der Psychoanalyse, sie sind als Tiger einer intellektuellen, psychoanlatytischen Bewegung, Strömung in der Hoffnung gestartet, dass dieser Spirit alle Menschen ringsum in den gesellschaften, Schichten bildungsnah, bildungsfern in Freier Assoziation ohne Ansehen der Person erfasse, uns sind konjugiert, gebeugt als Bettvorleger einer profanen Akademisierung vieler Berufe und Berufungen gelandet.
Kein wirklicher Denker wird sich als Meisterdenker hofieren lassen. Denken ist eine menscheitliche Veranstaltung, Das haben wir schon immer geahnt. Seit der Existenz des Internet, des World Wide Web www.org., wissen wir es.
In diesem Sinne alles Gute im Jahre 2011
tschüss
JP
@ joachim petrick, hätte nichzt einmal auch gereicht? :)
Hatte ja im Originalthread meine Tiefdenke bereits zu Ausdruck gebracht. Anpassendes Funktionieren, das hohe Lied des Individualisierens, ästhetisches Wortgeklingel sowieso; dann klappt es "irgendwie" mit dem kleinen Glück.
Und wer da Nachhilfe braucht, dem kann man schon mal die Rahmenbedingungen reformieren, nicht mehr benötigte Auslaufmodelle auch so bezeichnen, gar gleich eliminieren; damit niemand auf dumme, unter Umständen aufwieglerische Gedanken kommt.
Daher stellvertretend hier nur zwei Links nachgetragen, der zweite muss kopiert werden, lässt sich nicht direkt aufrufen:
www.fernuni-hagen.de/KSW/basoz/studiengang/einstellung.shtml
www-personal.umich.edu/~rudib/linkepsychologieFU.pdf
Lass doch die Doppelposts mal entfernen...
An den Denkern fehlt es vermutlich weniger als an der Nachfrage. Die Wirtschaftswissenschaftler haben bei der Richtungsvorgabe der Staatsgestaltung das Heft übernommen.
Sloterdijks Spendenstaat war, je nachdem, als Bonbon, Brikett oder Lacher für die Nettozahler in Deutschlands Staatskasse gedacht. Denen wollte der öffentlich rechtliche Hofphilosoph einen Grund geben, seine nuschelig kauzige Kaminrunde auch weiterhin grundzuversorgen.
Sarrazin hat wohl weniger quergedacht, als einfach den Gewichtsstein vom Deckel des gutbürgerlichen Gärfasses angehoben und dem statistisch Interressierten eine Gelegenheit zum Überschlag gegeben, wie's überhaupt mit der Intergrationswilligkeit der Deutschen aussieht. Mit dem überraschenden Ergebnis, dass die Mehrheit der Deutschen Integration ablehnt, wenn an Kopftuch, Schnurrbart oder Ähnlichem erkennbar ausländische Gene vorliegen.
lieber rolf, die misere der meisterdenker ist wirklich nicht neu. und schwierig ist und bleibt die definition derselben.
aber so viel kannst du als gesichert ansehen, machthaber sind keine intellektuellen oder gar meisterdenker. sie sind täter. nicht denker.
sie führen - meist miserabel - aus, was andere vorgedacht haben.
mir missfällt die vokabel meisterdenker übrigens. wer ein meisterdenker sei, ist keine frage der abstimmungen oder umfragen. da die vordenker untereinander sich selten grün sind, muss die zeit zeigen, was aus den visionen der denker geworden ist. natürlich wissen die professoren der geisterwissenschaften stets bescheid und empfehlen den studierenden und der öffentlichkeit die sogenannten meister.
mir sind die die lehrlinge und gesellen nicht unwichtiger als die meister, von deren meisterschaft die anderen überzeugt sein müssen, um weiterzukommen.
assange ist meiner meinung nach auch eher ein täter denn ein intellektueller. das internet hat allerdings auf ihn gewartet, dass er es so nutze.