neue Chance für NRW?

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Nun möchte die SPD -Landesvorsitzende Frau Kraft doch eine Minderheitsregierung in Nordrhein-Westfalen bilden. Unausgesprochen bindet sie so die Linkspartei mit ein, mit der ein erstes Sondierungsgespräch bereits nach wenigen Stunden abgebrochen wurde. Sie geht davon aus, dass wenigstens einige von deren Abgeordneten sie zur Ministerpräsidentin wählen werden. Was sie zu dieser Kehrtwende um 180 Grad bewogen hat, der Druck der eigenen Basis oder der Grünen, welche ja die Bildung einer Minderheitsregierung schon länger befürworten, oder das politische Kalkül der Bundespartei, weil dadurch die Mehrheit der Bundesregierung im Bundesrat verloren geht, wissen wir nicht. Viel wichtiger ist auch die Frage, wie eine solche Regierung ohne eigene Mehrheit regieren soll. Hier lohnt ein Blick in die Geschichte, gab es doch Mitte der 90-er Jahre eine SPD-Minderheitsregierung in Sachsen-Anhalt. Die Regierung Höppner wurde im Landtag von der damaligen PDS toleriert. Diese Zusammenarbeit funktionierte auch deshalb ohne größere Probleme, weil Reinhard Höppner bereits bei der Erarbeitung von Gesetzesvorlagen die Fachpolitiker des tolerierenden Partners mit einband, so dass auch Vorschläge der PDS in die Gesetze eingearbeitet wurden. Höppner regierte tatsächlich mit wechselnden Mehrheiten, gab es doch auch Gesetze, die die PDS ablehnte, denen die CDU aber zustimmte. Diese sachorientierte Arbeit, die sich wenig an parteipolitische Grenzen hielt, war neu für die Bundesrepublik, doch sie brachte allen Beteiligten die Erkenntnis, dass sie bei Wahrung und Respektierung vorhandener unterschiedlicher Standpunkte möglich ist. Was heißt das nun für NRW ? Es heißt zunächst, dass die dortige Linke die Chance erkennen muss, dass eine Ablösung der Regierung Rüttgers möglich ist, wenn sie diese Minderheitsregierung parlamentarisch toleriert. Es heißt weiterhin, dass alle 3 Parteien sachorientiert zusammenarbeiten müssen. Für die SPD und die Grünen haißt dies, Berührungsängste gegenüber der Linken abzubauen und sie als Partner auf Zeit zur Umsetzung eigener politischer Ziele anzuerkennen. Alle 3 Parteien werden Kompromisse eingehen müssen, werden bei Wahrung der eigenen Identität versuchen müssen, den Spagat zwischen eigenen Vorstellungen und dem politisch Möglichen hinzubekommen. Dass dies ausgerechnet im bevölkerungsreichsten Bundesland das erste Mal ausprobiert wird, macht es nicht leichter, ist es doch ein politisches Wagnis. Gelingt dies, wird es jedoch eine politische Wirkung weit über Düsseldorf hinaus haben, die der SPD eine längerfristige neue Machtoption nicht nur als Juniorpartner der Union eröffnet. Die Linkspartei wiederum würde erstmals , wenn auch nur indirekt, nicht nur legislative Verantwortung in einem alten Bundesland übernehmen. An ihr darf eine Ablösung der Rüttgers-Regierung und ein Wechsel der politischen Prioritäten in NRW nicht scheitern. Letztendlich würde ein solches Projekt auch ein Lernprozeß für SPD, Grüne und Linke werden, in dem bei allen möglichen Rückschlägen die 3 Parteien nur gewinnen können. Neben Rot-Rot, Schwarz-Gelb, Schwarz-Rot , dem Hamburger Schwarz-Grün und dem Saarländer Schwarz-Gelb-Grün würde die politische Farbenlehre in deutschen Bundesländern um ein weiteres Element ergänzt. Wenn dieses neue Element dann auch noch neue Ideen umsetzen und NRW sozial gerechter gestalten würde, hätten sich alle dafür notwendigen Mühen gelohnt. Einen Versuch ist dies allemal wert.

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Geschrieben von

rolf netzmann

life is illusion, adventure, challenge...but not a dream

rolf netzmann

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