"Wahre Finnen", Europa und die Sehnsucht nach "früher"

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Nun also auch in Finnland. Bei den Parlamentswahlen ziehen die nationalistischen „Wahren Finnen“ mit 19% der Stimmen in den Reichstag ein.Das könnte nicht nur der EU, sondern auch den benachbarten Schweden noch einige Probleme bringen.

Eine der Forderungen der „Wahren Finnen“ ist nämlich die Streichung des Schwedischen aus der Verfassung. Nun stellen die Schweden 6% der finnischen Bevölkerung, so dass diese Forderunghoch nationalistisch ist. Weil das Finnische aber zur finno-ugrischen Sprachfamilie gehört, versteht es außerhalb Finnlands niemand. Das Schwedische hingegen ermöglicht eine problemlose Kommunikation mit allen anderen skandinavischen Ländern. Eine Verwirklichung dieser Forderung würde also eine, nicht nur sprachliche, Isolation der Finnen bedeuten. Das wollen natürlich auch die „Wahren Finnen“ nicht, nur machen sie die Schweden bei zunehmendem Abbau des finnischen Sozialstaates als Konkurrenten aus.

Auf die EU kommen möglicherweise ganz andere Probleme zu. Die finnischen Rechtspopulisten verlangen Neuverhandlungen über das EU –Stabilitätspaket. „Wir zahlen nicht für die Fehler anderer“, so deren Chef Timo Soini. Er hatte im Wahlkampf Finnlands Austritt aus der Eurozone und einen Ausschluss von Hilfszahlungen an überschuldete EU-Länder gefordert. Weil der EU Stabilitätspaktin Finnland noch nicht ratifiziert ist, sieht Soini seine Chance, ihn endgültig zu beerdigen. Damit er in Kraft treten kann, müssen alle 27 EU-Mitgliedsländer zustimmen.

Die Chancen stehen gut, dass die „Wahren Finnen“ nicht in der Opposition verharren. Eine Koalition mit der zweitstärksten Fraktion, den Sozialdemokraten und den Wahlsiegern, der Nationalen Sammlungspartei von Jyrki Katainen, gilt als wahrscheinlichste neue Regierung.

Was der Ungar Viktor Orban erfolgreich praktizierte, das Schwimmen auf der nationalistischen Welle , hat jetzt auch Soini und seinen Rechtspopulisten eine Verfünffachung ihres Stimmenanteiles beschert.

Warum erlebt der Nationalismus aber eine solche Renaissance? Ob die Niederlande, Norwegen, Schweden , Dänemark und jetzt Finnland, das noch in den 90-er Jahren funktionierende Sozialsystem , das einen relativen Wohlstand für breite Bevölkerungsschichten garantierte, ist langsam erodiert. Das skandinavische Modell des Wohlfahrtsstaates hat ausgedient. Nicht überraschend belegen erste Analysen, dass es viele junge Männer mit geringer Bildung und auf dem Lande lebend, waren, die Soini ihre Stimme gaben.Dass diese Männer auch zu den Verlierern der Gesellschaft gehören, macht sie so anfällig für nationalistische Losungen.

Europa wird in Zukunft eine weitere Zunahme des Nationalismus erleben, weil es keine Einheit von unten aufbaut. Eine für die Bürger erlebbare europäische Einheit gibt es nicht, vom Euro mal abgesehen. Die Differenzen zwischen den Mitgliedern der EU werden zunehmen, weil ihre nationalen Interessen immer über den gemeinsam-europäischen stehen werden. Viktor Orban, der Ungar, hat sich noch zurückgehalten, weil er befürchten muss, dass sein Land ebenfalls noch EU Hilfe benötigen wird. Diese Sorge haben die Finnen nicht, deshalb können sie so offen gegen den Stabilitätspakt opponieren.

Egal, wie die neue Regierung in Helsinki aussehen wird, der europäische Nationalismus wird so schnell nicht vergehen. Erwachsen auch aus einer verordneten Einheit von Nationalstaaten mit unterschiedlicher Wirtschafts- und Finanzkraft sowie unterschiedlicher kultureller Identität, ist er Ausdruck eines tiefen Misstrauens von erheblichen Teilen der Bevölkerung gegen das propagierte einheitliche Europa.

Die Regierenden werden diese nationalistischen Bestrebungen nicht dauerhaft ignorieren können. Auch eine Einbindung in die Regierung wie in den Niederlanden schwächt diese nationalistischen Parteien nicht, weil die Empfindungen in der Bevölkerung, welche sie in Parlament und Regierung trugen, weiter bestehen.

Ob es uns passt oder nicht, die Rechtspopulisten zeigen etwas auf, was linke Bewegungen in dieser extremen Schärfe nichtdokumentieren, eine Sehnsucht nach einer besseren Welt. Das mag paradox klingen, doch in den skandinavischen Ländern sind die Nationalisten so erfolgreich, weil sie an bessere Zeiten erinnern, mit weniger Arbeitslosigkeit, weniger Ausländern und weniger Geld, das nach Brüssel oder in verschuldete EU Länder fließt. Die „Wahren Finnen“ zeigen diese Sehnsucht nach „früher“ auch damit, dass sie keine staatliche Anerkennung von Schwulen- und Lesben-Ehen und auch keine Erlaubnis für Abtreibungen wollen. Hier sind Parallelen zu NPD oder DVU in Deutschland nicht zufällig. Auch wenndie Forderungen nach Zuwanderungsstopp keine Chance auf Realisierung haben, sie zeigen eine Stimmung in der Bevölkerung. Zunehmende soziale Ängste bis weit in die sogenannte Mittelschicht und das Streichen von Sozialprogrammen bewirken ein Gefühl der Ohnmacht bei immer mehr Bürgern. Das ist der Nährboden für die Orban`s, Wilder` soder jetzt Soini`s.

Das ist nicht beklagenswert, sondern ein Signal, dass etwas falsch läuft in Europa. Wer nicht möchte, dass weiterhin populistische Politiker daraus ihr Süppchen kochen, der muss Alternativen vorlegen. Das ist von Le Pen und Co nicht zu erwarten und darin liegt die Chance linker Bewegungen und Parteien.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

rolf netzmann

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rolf netzmann

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