Wann schägt der Wind in Deutschland in Sturm um ?

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Inzwischen ist es wieder ruhigergeworden in London, Manchester, Liverpool und anderen englischen Städten. Ein massives Polizeiaufgebot und die Androhung, erstmals auf der Insel Wasserwerfer und sogar die Armee einzusetzen, wirken scheinbar. Wie lange diese Ruhe andauern wird, bleibt offen, weil die Ursachen dafür von der Regierung nicht einmal offen benannt werden.Wer nur von „Kriminellen, die Lust an Randale haben“, redet, der versteht nicht, dass es um viel mehr geht. Dass es bei dem britischen Sparpaket von 111 Mrd. Pfund in den nächsten Jahren wieder die Ärmsten, die heute schon Benachteiligten besonders treffen wird, ist jetzt schon absehbar. So wird der Boden für weitere Gewaltausbrüche heute schon bereitet.

Und so etwas droht uns in Deutschland nicht, will uns der Innenminister Friedrich weismachen? Erst in der vorletzten Nacht brannten in Berlin wieder 9 Autos, ausnahmslos derMarken Audi und Mercedes. Waren es früher die Innenstadtbezirke Mitte und Friedrichshain, so traf es diesmal die Außenbezirke Steglitz und Zehlendorf. Und, es brannten Autos, die auf umzäunten Mieterparkplätzen in unmittelbarer Nähe von Wohnhäusern abgestellt waren. Ein latentes Gewaltpotential ist also auch in Berlin vorhanden, was schon traditionell am 01.Mai zu beobachten ist. Dass es bisher noch nicht ausgebrochen ist, mag auch darin begründet sein, dass das soziale Sicherungsnetz in Deutschland immer noch engmaschiger als in Old England ist. Nur wird dies mit Sicherheit nicht so bleiben, weil der deutsche Staat in den nächsten Jahren an die Grenzen seiner finanziellen Leistungsfähigkeit stoßen wird. Die Milliardenbürgschaften der Regierung Merkel für Banken und Rettungsschirme werden dazu führen, dass immer weniger Geld für die hoheitlichen Aufgaben im Inneren zur Verfügung stehen wird.

Die britische Regierung hält trotz der Gewaltorgien an der 20% igen Mittelkürzung für die Polizei fest. Auch dass im Londoner Problembezirk Tottenham, wo die Randale begannen, 75% der Sozialarbeiterstellen gestrichen werden, steht weiterhin nicht zur Disposition. Und in Deutschland? Auch hier wird im Bereich der Sozialarbeit gestrichen, auch hier wächst eine Generation heran, deren Zukunft ungewiss scheint. Nur eines ist für diese Generation sicher, der Schuldenberg, den sie von uns erben, wird gigantisch sein.

Für Banken, fürdie Rettung des Euro werden mal locker auf Pump Milliarden locker gemacht, weil sie „systemrelevant“ sind. Sind die Zukunft unserer Kinder, ein bezahlbares Gesundheitswesen, ein Bildungssystem auf hohem Standard nicht „systemrelevant“?

Kanzlerin Merkel regiert nur außenpolitisch. Die Rettung der europäischen Gemeinschaftswährung scheint ihre zur Zeit wichtigste Aufgabe zu sein. Innenpolitisch ist sie nur soweit präsent, als dass sie ihre sorgsam austarierte Machtbasis gegen alle Angriffe verteidigt. Den sich auch hier aufstauenden sozialen Sprengstoff negiert sie notorisch.

Noch erleben wir nur die Vorboten von Gewalt in Deutschland, noch scheint es ruhig. Und doch brodelt es, weil die sozialen Unterschiede sich auch hier verschärfen und die Kluft zwischen Arm und Reich immer größer wird.

„Wer Wind säht, wird Sturm ernten“, heißt es. Die massive Stutzung des Sozialstaates im Vereinigten Königreich unter Margareth Thatcher, weitergeführt von Tony Blair/Gordon Brown und jetzt David Cameron, das war der jahrelang gesähte Wind. London hat den Sturm brutal erlebt.

Prekäre Beschäftigungsverhältnisse, Arbeitsverträge nur für ein Jahr mit der Hoffnung, dass diese verlängert werden, die Ausweitung von Leiharbeit zu Dumpinglöhnen und natürlich Hartz IV, das ist der Wind in Deutschland.Fragt sich nur, wann er in den Sturm umschlägt?

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

rolf netzmann

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rolf netzmann

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