Was ist heute links -- ausserhalb Europas?

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Die Frage, was bedeutet links, wurde hier schon mehrfach diskutiert. Dabei ist diese Frage in sich schon nicht schlüssig. Meint sie linke Gesellschaftskritik,die Entwicklung linker Lösungen für aktuelle Fragen oder meint sie, wie sich Linke verhalten sollten (nicht so wie manche hier in der FC, aber dies nur am Rande). Dass die Antwort auf diese Frage auch geografisch unterschiedlich ausfällt, zeigt ein Blich nach Südamerika.

Jahrzehntelang galt der Kontinent als Hinterhof der USA. Ob es die Eimischung in Guatemala 1956 gegen die demokratisch gewählte Regierung Arbenz war, welche schließlich gestürzt wurde, oder der Putsch gegen den chilenischen Präsidenten Allende, die Liste ist viel länger. Bittere Armut bestimmte das Leben der Südamerikaner, Hunger und früher Tod waren allgegenwärtig. Nicht zufällig entstand hier die Befreiungstheologie, getragen von Priestern, welche den täglichen Überlebenskampf ihrer Gläubigen jeden Tagmiterlebten. In vielen Staaten herrschten lange Militärjunten, darunter in den beiden größten, Argentinien und Brasilien. So verwundert es nicht, dass in den 70-er Jahren des letzten Jahrhunderts Befreiungsbewegungen entstanden, die auf den bewaffneten Kampf setzten, so wie die Sandinisten in Nicaragua. 1979 siegten diese im Kampf gegen das Somoza-Regime und ihr Commandante Daniel Ortega wurde Präsident.

Seit einigen Jahren ist auf dem Kontinent ein interessanter Prozess zu beobachten. 2003 wurde der populäre Gewerkschafter Lula da Silva Präsident Brasiliens. Er begann eine Politik, die jetzt, wo er den Staffelstab an seine langjährige Vertraute Dilma Roussef übergeben muss, weil er nicht erneut kandidieren durfte, beachtliche Ergebnisse vorweisen kann. 10,5 Millionen neue Arbeitsplätze entstanden, das früher am Rande des Staatsbankrotts balancierende Land verfügt über Währungsreserven von mehr als 210 Milliarden US-Dollar. Noch wichtiger aber, die durch die Verstaatlichung von Schlüsselindustrien dem Staat zufließenden Gewinne wurden in Sozialprogramme investiert, welche den Ärmsten der Armen zugute kamen.

Evo Moralesist seit 5 Jahren Präsident Boliviens, ein Indio, was für die ehemals herrschenden Eliten bis heute ein Skandal ist, dass ein Indio sie regiert.Auch er war Gewerkschafter, auch er kennt das Elend aus eigenem Erleben. Auch er verstaatlichte die Erdölindustrie und steckte die erzielten Gewinne in Programme zur Armutsbekämpfung. Er gilt wie Lula da Silva als ein „linksgerichteter“ Präsident.

In Venezuela regiert Hugo Chavez, der radikalste der „linken“ lateinamerikanischen Präsidenten. Er verwirklicht seine Vision eines venezolanischen Sozialismus zielstrebig und mit nicht immer demokratischen Mitteln. Dank des Ölreichtums hat er auch die Mittel dazu. Allerdings blieben einige der Probleme des Landes, wie die Kriminalität, bisher ungelöst.

Nun mag der Einwand kommen, dass Chavez gegen seine Kritiker hart vorgeht, auch mal oppositionelle Fernsehsender schließen lässt und sich von dem alten Parlament, in dem seine Partei eine satte Mehrheit besaß, noch schnell einige Sondervollmachten genehmigen ließ, ehe das neugewählte zusammentrat. Der Sandinist Ortega wendet Gewalt an, um Präsident Nicaraguas zu bleiben. All dies stimmt, und von daher ist es schwierig bis unmöglich, vorher zu sagen, wie diese Entwicklungen weiter gehen werden. Viel wird davon abhängen, wie nachhaltig und unverrückbar die Ergebnisse dieser Politik sein werden. Im Moment unterstützt eine Mehrheit der Bevölkerung„ ihre „ Präsidenten, sie werden von sozialen Bewegungen mit getragen.Wie fragil allerdings diese Situation immer noch ist, hat der brasilianische Wahlkampf gezeigt. Die neue Präsidentin Roussef wurde nicht müde, darauf hinzuweisen, dass nur sie das Werk von Lula da Silva fortsetzen kann. Sie wurde auf der Woge der Popularität ihres Vorgängers ins Amt getragen.

Wichtig wird auch sein, dass demokratische Regeln eingehalten werden. Ortega in Nicaragua und Chavez in Venezuela laufen Gefahr, durch ihr Verhalten Anhänger und damit auch gesellschaftiche Akzeptanz für ihre Politik zu verlieren. Der Bolivianer Morales dagegen hat die wichtigsten Massenmedien nicht verstaatlicht, sondern in den Händen der alten Eliten belassen. Von diesen wird er schon wegen seiner indigenen Herkunft immer wieder angefeindet, docher setzt sich nicht dem Vorwurf einer Zensur oder der Ausschaltung der Opposition aus.

Diese Prozesse, so unterschiedlich sie sind, so unterschiedlich in der Persönlichkeit und ihren politischen Zielen ihre Protagonisten sind, bewirken viel. Brasilien ist inzwischen die südamerikanische Regionalmacht, welche auch den USA schon mal erfolgreich Paroli bietet. Bolivien forderte auf der UN-Klimakonferenz in Cancun selbstbewusst Veränderungen im Abschlussprotokoll. All dies zeigt, dass nicht nur im Inneren dieser Länder, zu denen auch Ecuador mit seinem Staatschef Correa gehört, Veränderungen passieren, sondern auch in der Außenpolitik.

Der Reiz dieses Neuen lockte auch Linke-Fraktionschef Gregor Gysi auf eine Südamerikareise, um sich vor Ort zu informieren.

Es zeigt sich, dass mit dem Untergang des sogenannten real existierenden Sozialismus eben nicht die linke Idee gestorben ist. Fernab von Dogmatismus und Ideologie, angepasst an die konkreten Bedingungen dieser Staaten, feiern linke Ideen hier fröhlich Auferstehung. Dies sollte von der europäischen Linken nicht nur beobachtet, sondern auch unterstützt werden. Sind doch Chavez, Morales oder Roussef Präsidenten ihrer Länder, welche sowohl den Politikern in Washington als auch in den westeuropäischen Hauptstädten aus gutem Grunde sehr suspekt sind.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

rolf netzmann

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rolf netzmann

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