Wie viel sind uns unsere Kinder wert?

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Wie viel sind uns unsere Kinder wert? Glauben wir den Reden unserer Politiker, sind Kinder unsere Zukunft. Dann frage ich mich, wie gehen wir mit unserer Zukunft um. Gut, die Frage stellt sich beim Umgang mit unserer Umwelt genau so, weil wir als Menschen fleißig an dem Ast sägen, auf dem wir sitzen. Nur, wie behandeln wie die Schwächsten unserer Gesellschaft, die Kinder? Ich schreibe hier nicht vom Umgang mit Kindenr in der dritten Welt, von bitterer Armut und Kindersoldaten. In Afrika wächst in manchen Ländern eine Generation heran, die nur Gewalt, das Recht des Stärkeren, Hunger und den Kampf um das tägliche Überleben kennt. Manche Kinder kennen dort kein Spielzeug, aber können perfekt mit einer Kalaschnikow umgehen.
Nein, ich meine den Umgang mit Kindern hier in Deutschland. Das Land Berlin hat jetzt ein Gesetz beschlossen, welches Kinderlärm als generell zulässig bezeichnet. Hintergrund ist, dass damit die Gerichte entlastet werden sollen, die jedes Jahr über entsprechende Klagen zu verhandeln haben. Der Verband der Berliner Haus-und Grundbesitzer läuft nun dagegen Sturm, unter anderem mit dem Argument, dass Kinderlärm gestattet werden muss, während die ältere Generation dies jetzt klaglos hinzunehmen hat und sich belästigen lassen muss. " Die Kleinen dürfen rücksichtslos toben, die Alten müssen tolerant leiden", heißt es provokativ in der neuesten Ausgabe des Verbandsmagazins. In einem solchen Klima der Intoleranz, abseits der Sonntagsreden der Politiker, in der harten Realität, gedeiht der Missbrauch von Kindern, vom Vernachlässigen in der Familie angefangen über Angriffe auf spielende Kinder durch sich gestört fühlende Erwachsene bis hin zu schweren Verbrechen.
Was wir im Moment in der Katholischen Kirche in Deutschland, aber auch bei der renommierten Odenwald Schule in Hessen erleben, hat jahrelang im Verborgenen stattgefunden. Juristisch heißt es Missbrauch von Schutzbefohlenen, doch ist dies nur die eine Seite. Dass heute darüber diskutiert wird, die Verjährungsfristen für solche Delikte zu verlängern, ist löblich, nur packt es das Problem nicht an der Wurzel. Solange wir in Deutschland ein Klima haben, das das Recht des Stärkeren fördert, werden die Schwächsten der Gesellschaft immer gefährdet sein, trotz aller Gesetze wie das in Berlin neu erlassene, weil diese Gesetze auch umgesetzt werden müssen. Diese Anwendung in der Realität wiederum ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, sie fordert ein Verändern gesellschaftlichen Denkens.
Heiner Geißler, einer der Vordenker in der CDU, beschreibt es kurz und knapp so:" Der Mensch wird zum Kostenfaktor -- das ist die Todsünde des Kapitalismus". Nun ist Heiner Geißler mitnichten ein Linker, er war Generalsekretät seiner Partei, nur hat er einen klaren, analytischen Blick auf unsere Gesellschaft.
Im Moment haben wir in der gesamten Diskussion über Missbrauch an Kindern, ob bei den Regensburger Domspatzen in der Zeit von 1958 bis 1972, im Kloster Ettal oder anderen kirchlichen Schulen, aber auch an der Odenwald Schule, eine Chance, im System etwas zu ändern. Wenn geschrieben wird, dass das abgeschlossen Sein der Odenwald Schule, das pädagogische Konzept, welches die Lehrer in der Rolle eines Familienoberhauptes sieht, diese Missbrauchsfälle mit ermöglicht hat, dann muss es abgeschafft werden.
Eine Trennung der Schlafräume von Erwachsenen und Kindern gibt bei allen Klassenfahrten und ist an staatlichen Schulen selbstverständlich, sie gehört auch in das Konzept jeder Privatschule, die noch dazu als Internat geführt wird, wo die Heranwachsenden sich 24 Stunden aufhalten.
Klöster als Orte der Stille, der Andacht, des Sich-Zurückziehens vom Alltag, auch für zahlende Gäste. Das sollen sie weiterhin sein, ich stelle auch kirchliche Schulen, auch Klosterschulen nicht generell in Frage, nur gilt auch hier, dass das , was hinter den Klostermauern passiert, transparent bleiben muss. Eine Parallelwelt unter dem Dach der Kirche, in der andere Normen und Werte im Umgang mit Heranwachsenden gelten und praktiziert werden, ist inakzeptabel.
Eine einhundertprozentige Chance, sexuelle Übergriffe auf Kinder zu verhindern, wird es nie geben. Wir haben in den letzten Jahre in vielen Bereichen immer wieder solche Fälle erlebt, und es ist ja auch so, dass die meisten Fälle immer noch in der eigenen Familie passieren, der gute Onkel, der eigene Vater. Die Dunkelziffer liegt bedeutend höher als das, was bekannt wird.

Dass Priester sich outen, das Zölibat gebrochen zu haben, hat es immer wieder gegeben, sie wurden aus der Kirche ausgeschlossen und fertig. Nun taucht der Vorschlag eines freiwilligen Zölibates auf. Ich finde es gut, weil , wenn jemand etwas freiwillig auf sich nimmt, weil er es möchte, ist er viel mehr in der Lage, es auch zu realisieren, als wenn er etwas machen soll, was er innerlich nie angenommen hat. Ich halte das Zölibat, so wie es immer noch praktiziert wird, für widernatürlich, weil es ein normales menschliches Bedürfnis kasteit. Dass dieses Zölibat allerdings für Missbrauchsfälle verantwortlich sein soll, das halte ich für eine recht abenteuerliche Behauptung, weil ich glaube, dass jeder kirchliche Bedienstete durchaus weiß, dass er Grenzen überschreitet, wenn er sich an Kindern in dieser Form vergreift. Mit Nächstenliebe hat ein Vergehen an Kindern und Jugendlichen, ein Vergewaltigen nicht nur körperlich, sondern auch seelisch, nun wirklich nichts zu tun.

Ich plädiere dafür, die jetzt entstandene Chance zu nutzen, um in einer umfassenden Diskussion, nicht nur mit den Kirchen und Pädagogen, sondern mit allen Verantwortlichen und Interessierten, dafür zu sorgen, dass Kinder als die Schwächsten unserer Gesellschaft ernst genommen werden. Sie sind unsere Zukunft, so wird immer behauptet. Wie sollen Menschen, die in einer Entwicklungsphase, in der sie ihre eigene Persönlichkeit herausbilden, so massive seelische Qualen erleiden mussten, wie sollen solche Menschen selbstbewusst, optimistisch und mit innerer Stärke ihre Zukunft gestalten?
Wenn diese Aussage wirklich ernst gemeint ist, dann lasst sie uns mit Leben füllen, phantasievoll, mit neuen Ideen. Und lasst uns schon die Jüngsten ernst nehmen, sich entwickeln, wie sie es wollen.Dazu sind leider auch Gesetze wie das Berliner nötig, dazu sind Strafen nötig, ja, auch Haftstrafen, für die, die es nicht anders verstehen und die Unterbringung in geschlossenen Heimen von denjenigen, dier so krank sind, dass sie sich nicht steuern können.
Vor allem ist dazu aber Aufräumen nötig, im Denken und Handeln aller Verantwortlichen, Offenheit und Transparenz in allen Einrichtungen, in denen Kinder und Jugendliche betreut werden, ein Niederreißen elitären Denkens und dass sich die Einsicht durchsetzt, dass wir als heutige, sich in der Verantwortung befindliche Generation, unsere Nachfolger heranziehen, dass wir die Rahmenbedingungen dafür schaffen, wie die nachfolgenden Generationen ihr Leben gestalten können.
Dieser moralischen Verantwortung müssen wir uns stellen. Die gegenwärtige Diskussion, so bitter und brutal der Anlass dafür ist, bietet auch die Chance für einen Neuanfang. Lasst uns diesen bei aller Diskussion nicht verpassen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

rolf netzmann

life is illusion, adventure, challenge...but not a dream

rolf netzmann

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden