Wo sitzt der Mob?

Riexinger in Athen Wie tief der Journalismus in Deutschland gesunken ist, zeigt sich heute wieder einmal an der Berliner Boulevardzeitung BZ

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"Linke-Chef marschiert mit Anti-Merkel-Mob" war die Headline der Berliner Boulevardzeitung BZ vom heutigen Tag. Daneben druckte das Blatt ein kleines Foto, auf dem der Vorsitzende der Linkspartei Bernd Riexinger gemeinsam mit Syriza-Chef Alexis Tsipras zu sehen ist.
Nun ist Sprache verräterisch.
Der Ausdruck Mob (englisch „mob“ aufgewiegelte Volksmenge; von lateinisch: mobilis = beweglich, wandelbar[1]) bezeichnet eine Masse aus Personen des einfachen Volkes bzw. eine sich zusammenrottende Menschenmenge mit überwiegend niedrigem Bildungs- und Sozialniveau, so ist bei Wikipedia zu lesen. Der Chef einer deutschen Partei hat also ein niedriges Bildungsniveau und rottet sich in Athen mit anderen zusammen, will uns die BZ glauben machen. Wie tief ist der deutsche Journalismus wieder einmal gesunken.
Doch wogegen demonstrieren Hunderttausende Griechen eigentlich seit Monaten? Die Wagenkolonne mit der deutschen Kanzlerin und dem griechischen Ministerpräsidenten sollte auf ihrem Weg vom Flughafen in die Athener Innenstadt von aufgebrachten Ärzten und Krankenschwestern gestoppt werden. Mit Gewalt ging die Polizei gegen die Mediziner vor. Seit Monaten haben diese keine Gehälter mehr ausgezahlt bekommen. Das öffentliche Gesundheitssystem der Hellenen ist zusammengebrochen und existiert de facto nicht mehr. Die offizielle Arbeitslosenquote hat die 25% Marke überschritten, die Jugendarbeitlosigkeit liegt bei etwa 50%. Renten und Mindestlöhne werden brutal gekürzt, viele Griechen stehen vor den Trümmern ihrer Existenz. Neben einer grassierenden Inflation existiert eine seit Jahrzehnten gewachsene Korruption. Die beiden Staatsparteien PASOK und Nia Demokratia haben sich jahrelang auf Kosten der Bevölkerung bereichert. Ein Abgeordneter der Sozialdemokraten beging jetzt Selbstmord, nachdem Steuerfahnder sein Privatvermögen unter die Lupe genommen hatten. Viele vermögende Griechen haben ihr Geld längst ins Ausland gebracht.
Soweit nur einige Fakten. Ist es wirklich verwunderlich, dass unter dem Druck einer sich täglich verschlechternden Lebenssituation das Volk aufbegehrt?
Und ist es nicht die deutsche Kanzlerin, die diesen Druck mit ihrer sturen Weigerung einer gemeinsamen europäischen Schuldenhaftung mit aufrecht erhält? Das einzige konkrete Ergebnis in ihren Gesprächen mit der griechischen Regierung umfasste die Zusage, dass mit 30 Millionen deutschen Euros die Verwaltung modernisiert werden darf.
Dass der Vorsitzende der Linkspartei gemeinsam mit den Griechen gegen diese Politik demonstriert, zeigt doch, dass es Deutschland nicht nur die eiserne German Lady gibt. Und das ist gut so.

Vielleicht sitzt der Mob ja eher in deutschen Zeitungsredaktionen?

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Geschrieben von

rolf netzmann

life is illusion, adventure, challenge...but not a dream

rolf netzmann

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