Alle Macht von oben

Vermögen Wie schaffen es die Superreichen bloß, dass ihnen keiner etwas kann? Jens Berger versucht, das in "Wem gehört Deutschland" zu erklären
Ausgabe 21/2014
Alle Macht   von oben

Bild: AFP

E r lässt Populistisches erwarten, der reißerische Titel des Buches Wem gehört Deutschland? Aber gleich im ersten Absatz stellt Jens Berger klar, dass es ihm nicht um einen Beitrag zur Neiddebatte geht. Der Autor weiß: Diesem Vorwurf sieht sich jeder ausgesetzt, der sich mit Verteilungsgerechtigkeit und Vermögensfragen beschäftigt, die Entwicklungen der letzten Jahrzehnte und den Status quo kritisiert – und dabei nicht der Schicht der Vermögenden angehört. Aber wer gehört schon dazu?

Damit sind wir mittendrin. Jens Berger, freier Journalist und Blogger, Beiträger für die NachDenkSeiten, sah sich gleich zu Beginn seines Vorhabens, eine Antwort auf die Frage zu finden, wem was in Deutschland gehört, mit dem Problem konfrontiert, dass es zwar zu den unteren und mittleren Einkommensgruppen valide statistische Erhebungen gibt, nicht aber zu den Vermögenden.

Unvorstellbare Zahlen

Die Einkommens- und Verbrauchsstichprobe des Bundes und der Länder (EVS), alle fünf Jahre vom Statistischen Bundesamt und den Statistischen Ämtern der Länder durchgeführt, stützt sich auf 60.000 ausgewählte Haushalte, die Teilnahme ist freiwillig und wird mit 60 Euro honoriert. Es ist unwahrscheinlich, dass sich jemand mit nennenswerten Einkünften daran beteiligt, und das geben die Ämter indirekt selbst zu, werden doch monatliche Nettoeinkommen oberhalb von 18.000 Euro in den Statistiken nicht berücksichtigt, da sie die Repräsentativität verzerren würden. Und der jährlich durchgeführte Mikrozensus, an dem immerhin ein Prozent der Haushalte verpflichtend teilnimmt, stellt überhaupt keine Fragen zum Vermögen.

Die Datenlage ist also schlecht. Berger musste für seine Analyse nicht nur akribisch Statistiken vergleichen, die auf je eigenen Berechnungsgrundlagen fußen, sondern diese auch zu großen Teilen erst mal selbst erstellen. Das geht nicht ohne Schätzungen; insbesondere beim obersten Prozent lässt sich nur indirekt, durch Hochrechnungen aus Dividendenzahlungen etwa, halbwegs verlässliches Zahlenmaterial generieren. Bleibt als erster Befund: Über Einkünfte und Vermögen im oberen Viertel ist sehr wenig bekannt. Und das ist kein Zufall.

Denn die Zahlen, die durch Bergers indirekte Methode zusammenkommen, grenzen ans Unvorstellbare. Seinen Berechnungen zufolge verfügt das oberste Prozent über fast die Hälfte des gesamten deutschen Nettovermögens; zwei Drittel gehören den oberen zehn Prozent. Und diese Ungleichverteilung betrifft alle Vermögensarten: Geldvermögen, Immobilien, Betriebskapital. Bei Letzterem gehören den oberen zehn Prozent sogar 92 Prozent.

Selbst wenn man diese Zahlen als übertrieben ansähe (Berger vermutet allerdings das Gegenteil), ist offensichtlich, dass von einer Verteilungsgerechtigkeit nicht die Rede sein kann. Dieser Zustand ist politisch gewollt, und es wird nichts dagegen getan, im Gegenteil. In den letzten beiden Jahrzehnten hat eine ganze Reihe politischer Maßnahmen die Entwicklung hin zur Vermögenskonzentration bei wenigen und zum Vermögensabbau bei vielen forciert – dazu gehören die Arbeitsmarktreformen der Agenda 2010, die dazu führten, dass kleine Vermögen aufgelöst werden mussten und in die Sozialsysteme flossen und dass die Zahl der prekär Beschäftigten rapide anstieg. Sowie: die Aussetzung der Vermögenssteuer und die Abschaffung der Gewerbeertragssteuer, die Absenkung der Kapitalertragssteuer, der Körperschaftssteuer und des Spitzensteuersatzes sowie die Erhöhung der Freibeträge bei der Erbschaftssteuer; die Erhöhung der Mehrwertsteuer; die Erhöhung der Sozialabgaben auf Arbeitnehmerseite bei gleichzeitigem Zwang zur privaten Vorsorge; die Privatisierung öffentlichen Vermögens an Immobilien, Krankenhäusern, Stadtwerken et cetera.

Dass dies keineswegs irgendwelchen Gesetzen des Marktes geschuldet war, sondern den Interessen einer kleinen Gruppe von Vermögenden diente, zeigt Berger durch seine Analyse der Vermögensstruktur: Gleich welches Vermögenssegment er untersucht, er stößt immer auf dieselbe Gruppe von etwa 500 sehr potenten Besitzenden – diese bilden inzwischen eine Parallelgesellschaft, die ihre gegen die der Mehrheit gerichteten Ziele effizient umzusetzen weiß: mithilfe von Thinktanks, die auffällig oft durch eigene Familienstiftungen finanziert werden; durch Parteispenden; durch die Medien (sämtliche großen Tageszeitungen, viele Wochenzeitungen und Privatsender befinden sich im Besitz von Familien mit einem mindestens dreistelligen Millionenvermögen).

Erst mal eine Basis

Vermögen bedeutet Macht, und dass sich die Macht der Superreichen nicht nur materiell ausdrückt, sondern auch in Ideen und Meinungen, zeigt sich im Alltag – bei jedem Einzelnen. Die meisten von uns handeln, kommunizieren, wählen gegen ihre Interessen. Die Mittelschicht unterliegt dem Selbstbetrug, sich zur Oberschicht zugehörig zu fühlen und unterstützt eine Politik, die den Eliten dient und die Unterschicht links liegen lässt. Sie unterwirft sich dem Denken von Effizienzsteigerung, Kostensenkung, Privatisierung, obwohl sie dabei verliert, anstatt sich für eine höhere Staatsquote oder solidarische Sozialsysteme einzusetzen.

Jens Berger hat mit seinem Buch eine Basis geschaffen, um über Vermögens- und Verteilungsgerechtigkeit überhaupt erst diskutieren zu können. Am Ende macht er 16 Vorschläge für den Weg hin zu einer gerechteren und stabileren Gesellschaft. Die überall entstehenden Graswurzelbewegungen, die in Baugruppen oder Energiegenossenschaften aktiv sind, zeigen, dass der Wille zu einem anderen Leben und Wirtschaften da ist. Er widersetzt sich der geschürten Angst vor dem Weniger, die die Gier nach dem Immer-Mehr produziert. Um einen wirklichen Wandel herbeizuführen, reicht dieser Wille jedoch nicht aus. Hierzu bedarf es einer Politik, die dem Gemeinwohl und nicht nur dem einer kleinen Minderheit dient, also einer anderen Sozial- und Steuergesetzgebung. Die 16 Punkte von Jens Berger wären ein Anfang.

Wem gehört Deutschland? Die wahren Machthaber und das Märchen vom Volksvermögen Jens Berger Westend Verlag 2014, 256 S., 17,99 €

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