Kehrseite I "Wie siehst du denn aus? - Richtig klasse!"
"Ja, ich bin verlassen worden."
"Gratuliere! Und wo hast du dich neu eingekleidet?"
"Bei 50 ways to leave ...
"Wie siehst du denn aus? - Richtig klasse!" "Ja, ich bin verlassen worden." "Gratuliere! Und wo hast du dich neu eingekleidet?" "Bei 50 ways to leave your lover." "Noch nie gehört."
Am nächsten Tag am empfohlenen Ort: Ein undekoriertes Schaufenster, blickdicht durch einen dunkelblauen Vorhang, auf der Scheibe in weißer Schreibschrift: 50 ways to leave your lover.
Sie lachte nervös und drehte sich beim Eintreten verstohlen nach möglichen Zeugen um. Sie war aufgeregt und schon begeistert, bevor sie noch etwas gesehen hatte. Hier konnte sie sich hoffentlich hysterisch oder glamourös einkleiden. Oder am besten beides.
Kleider aus erster und zweiter Hand warteten in sachlicher Hängung, Oberteile waren auf kleinen Stapeln auf zwei Tischen verteilt. Sie sah erleic
kleinen Stapeln auf zwei Tischen verteilt. Sie sah erleichtert, dass es nichts Schriftliches oder Albernes auf T-Shirts gab. Obwohl sie das auch nicht vermutet hatte, dem Aussehen ihrer fündig gewordenen Freundin nach zu urteilen. Da gab es einen Wühltisch, für die, die so ein Gefühl brauchten, mit süßen Kleinigkeiten. Schuhe standen einsatzbereit auf einem kleinen Spielfeld. Leise Schuhe zum Hinausschleichen, kalte korrekte Schnürschuhe, um Türen einzutreten oder um Zigaretten auf verhassten Teppichen zu löschen, High Heels, um Markierungen anbringen zu können. Von der Decke hing ein Paar hübscher Bestrafungsstiefel, was eine gewisse Spannung erzeugte. Sonst aber war der Einrichtungsstil nicht aggressionsfördernd. Man überließ es der Kundin, wie sie ihr Problem lösen wollte.Es gab auch schöne Kleider für Abschiede, wo sie eigentlich bleiben wollte. Oder zurückgeholt werden. Unterwäsche wie eine Rüstung, damit ein Rückfall ausgeschlossen wird. Ein Hosenanzug für die Reise, auf der sie vergessen konnte, was falsch war. Verschiedene Versionen von Trauerkleidung.Sie schaute sich sehr lange um. Schließlich entdeckte sie zuerst ein Paar Schuhe, die wie zum Wegtanzen geeignet schienen. Erst danach fand sie ein dazu passendes Kleid, das für einen Schwarze-Serie-Film gemacht schien. Die verwegen aussehende ältere Verkäuferin, die sich bisher zurückgehalten hatte, zeigte ihr mit einem solidarischen Scherz den Ankleideraum. Er war hinter einer Tapetentür und wie eine kleine Wohnung eingerichtet.Sie konnte sich hier klar werden, was sie wirklich wollte und im Spiegel nachsehen - ohne Kommentare - ob es auch zu sehen war. Im Sessel sitzend überprüfte sie, ob dieses Kleid auch für eine längere unbequeme Unterredung geeignet wäre. Es war gerade eng genug, dass sie dieses unvermeidliche Gespräch rechtzeitig beenden würde. Dann wechselte sie auf das Sofa, und liegend begann sie sich vorzustellen, dass ihr jemand zärtlich die Fluchtschuhe ausziehen würde. Doch sie spürte, dass es nicht funktionierte. Dass schon die Vorstellung nicht möglich war. Also waren sie richtig für ihren Zweck. Sie behielt beides an, weil es sich so gut anfühlte.Als sie wieder nach vorn kam, wartete dort schon eine andere Kundin. Hektisch rauchend an der kleinen Bar, blätterte sie in einem knallbunten Pop-Up-Buch. Als die Verkäuferin der Frau Bescheid gab, sprang sie sofort auf. Sie hatte sich in das Comic-Buch vertieft, um Vorentscheidungen zu treffen, zog dann etwas aus der Trauerkollektion heraus und eilte in den Umkleideraum.Während das Kleid, in dem die neu Eingekleidete gekommen war, mit Papier und Schnur verpackt wurde, die alten Schuhe in den neuen Karton gelegt wurden, sah sie sich das nützliche Buch an. Es enthielt eine Auswahl klassischer Situationen, die Mut und Entscheidung verlangten, die Heldin wurde in großer Gefahr oder vor einem unlösbar scheinenden Rätsel gezeigt. Dazu wurden Kleidungsvorschläge gemacht, mit denen die Comic-Frau aus der Fläche des Buches heraussprang. Sie fragte die Verkäuferin mit dem gewagten Lidstrich und dem schicken Scheidungskleid, wie der Laden bisher angenommen werde."Es scheint, als hätten alle nur darauf gewartet!" Mit dem Alleinsein im Umkleideraum kämen aber nicht alle zurecht, obwohl es die Idee des Ladens sei, hier mehr als nur Kaufentscheidungen treffen zu können. "Manchmal werde ich hineingerufen, um eine ganz andere Art von Beratung zu geben. Aber ich habe ja auch die nötige Ausbildung. In einem Notfall muss ich eben jede Art von Erster Hilfe geben können."In diesem Moment kam die andere Kundin wieder nach vorn, legte der Fachfrau das Kleidungsstück so vorsichtig in die Arme, als wäre es ein Kind, und lief weinend hinaus."Sieht wie Trauerkleidung aus!" Sagte die Kundin, als sie sah, was weggeworfen wurde. "Ich habe auch schon daran gedacht, ob es so leichter wäre."Die Verkäuferin dachte offenbar mitfühlend der Geflüchteten hinterher, aber sie war nicht überrascht. "Sie hat sich wohl vor ihrem Spiegelbild erschrocken. Es ist zwar für manche Menschen leichter, sich vorzustellen, jemand sei genauso schwer zu erreichen wie ein Toter, um eine Trennung zu vollziehen. Aber ich glaube, dieser Frau ist gerade klar geworden, dass sie beinahe selbst für diesen Tod gesorgt hätte.""Was wird sie jetzt tun?" Fragte ängstlich die Kundin, die sich mit solchen Mordgedanken auskannte."Sie hat begriffen, dass es keine Abkürzung gibt. Aber in einer Woche könnte sie wieder da sein." Meinte die Geschiedene, als hätte sie die Frage, die sich anschloss, erraten. Sie entfernte das Preisschild im Rücken und machte dabei dem schönen Nacken ein Kompliment. "Sie sehen sehr gut aus, während sie sich umdrehen und bestimmt auch, wenn sie weggehen. Tun sie das oft genug?""Ich fürchte, nein." Sagte mit Verzögerung die, die noch einmal nachdachte."Dieses Kleid steigert die Wirkung noch - ins Unerträgliche. Falls Sie also noch nicht endgültig gegangen sind, würde ich unbedingt empfehlen, es beim letzten Treffen zu tragen."Und das tat sie dann auch.Bettina Klix lebt in Berlin und Kassel. Der Text ist Teil ihrer Geschichtensammlung Laufmaschen, der in diesem Jahr erscheinen wird. Er beschäftigt sich mit den Schwierigkeiten und Freuden zwischen zweiter und erster Haut, besonders wenn es einen in den weiblichen Körper verschlagen hat.
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