Und wickelte ihn in windeln

Alltag II Meine katholische Großmutter hatte es von Bamberg nach Berlin verschlagen, wo sie meinen Großvater als Witwer kennenlernte. Sie war ein hübsches, ...

Meine katholische Großmutter hatte es von Bamberg nach Berlin verschlagen, wo sie meinen Großvater als Witwer kennenlernte. Sie war ein hübsches, nicht mehr ganz junges Brunnenmädchen, das den traurigen Mann im Kurbad bediente. Ein Foto seiner drei mutterlosen, kleinen Jungen rührte sie so, dass sie beschloss, meinen Großvater zu heiraten.

Meine Großmutter war die gläubigste Person im ganzen evangelischen Umkreis und eine der tätigsten in ihrer Gemeinde. Sie war die einzige, die sich mitten im Alltag offen über Gott äußerte. Und dabei war sie mir nie unangenehm, vielleicht, weil sie nicht missionierte. Mit ihrem fränkischen Akzent, der ihre Stimme hart aber auch innig klingen ließ, sprach sie am liebsten über Jesus. Öfter nannte sie ihn den "Heiland", was bei ihr wie eine Berufsbezeichnung klang. Sie erzählte mir von den Heiligen, die bei uns in Berlin keine große Rolle spielten, las mir aus kleinen, für mich geheimnisvollen Schriften vor und erklärte mir alles, was für mich fremd war, wenn ich sie manchmal in die Kirche begleitete. So erfuhr ich, dass man sich an Antonius wenden könne, wenn etwas verloren ging und an Petrus, wenn man Fieber bekam. Ich fand es schade, dass es bei uns in der Kirche keine Kerzen anzuzünden gab und Maria keine Adresse war, an die ich Bitten richten konnte.

Schon Jahre vor ihrem Tod hatte meine Großmutter mir versprochen, dass ich ihre Krippe erben sollte. Ich kannte diese Krippe, hatte sie oft betrachtet und meine Großmutter hatte mir erzählt, wie lange sie damals gespart hatte, bevor sie in einem Devotionalienladen endlich die ganze heilige Familie zusammengekauft hatte. Es war nur die Kernfamilie, ohne Ochs, Esel, Dach oder Engel, in zart bemaltem Holz. Maria und Joseph, sehr andächtig in Betrachtung des Kindes, die Eltern so zum Mittelpunkt gebeugt, dass man sie nicht einzeln aufstellen konnte, ohne dass es sinnlos aussah.

Als meine Großmutter noch lebte, wagte ich nicht, allzu konkret darüber nachzudenken, dass ich nach ihrem Tod zwei entscheidende Details an ihrer heiligen Familie verändern würde. Es wäre mir respektlos erschienen. Das eine betraf das Jesuskind. Meine Großmutter hatte nicht gewollt, dass es so in seiner Krippe läge, wie es der Kunstschnitzer nun einmal geschnitzt hatte: nackt. Der Heiland musste in ihren Augen bekleidet sein, schon weil es in der Bibel hieß "und wickelte es in Windeln". Sie hatte sich ein Herz gefasst und hatte das Kind "in Windeln" gewickelt, die sie aus einer Mullbinde geschnitten hatte. Den Spott der Familie ertrug sie mit Würde.

Nun ärgerte sie nur noch eins: dass immer wieder Gäste dreist nach dem Jesuskind griffen und es aus seinem Bettchen nahmen. Als eines Tages selbst der Pfarrer, der ihr seinen weihnachtlichen Besuch abstattete, kurzerhand den Heiland aus seiner Krippe holte, war das Maß voll. Meine Großmutter fixierte das Kind mit einem Gummiband.

Als ich die Krippe erbte, befreite ich Jesus von Fessel und Verband. Bei mir zu Hause hat der Gottessohn keine Angriffe zu befürchten. Nur wenige meiner Besucher fühlen sich so vertraut mit dem Krippengeschehen, als dass sie eine hübsche, kleine Geste des Kindes auf sich bezögen: Erst nach der Enthüllung fiel mir auf, dass das Jesuskind sehr einladend seine Ärmchen austreckte. Diesem "Komm her zu mir!" zu widerstehen, fällt sicher nicht leicht, wem die heilige Familie etwas bedeutet. Und vielleicht hatte sich meine Großmutter mit ihrer Sicherung auch selbst daran hindern wollen, dieses Kind in den Arm zu nehmen.

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