Jungfräulichkeitszertifikate sind heiß begehrt

SÜDAFRIKA Unter dem Banner von African Renaissance lebt ein chauvinistischer Zulu-Brauch wieder auf

Eine riesige Sahnetorte in der Form des afrikanischen Kontinents prunkt vor den Rednern. Unter dem bunten Festzelt schwitzen die Gäste, Honoratioren aus Politik, Wirtschaft und Universitäten. In Umnini, südlich von Durban, begeht man heute feierlich die Verleihung von Jungfräulichkeits-Zertifikaten. African Renaissance lautet das Stichwort, Rückkehr zu traditionellen Werten ist die Botschaft.

Draußen, in der Sonne, warten Hunderte Mädchen geduldig auf ihren Auftritt. Nervöse Mütter zupfen an den perlenbestickten Bauch- und Armreifen ihrer Töchter herum. »Ich bin stolz auf meine Tochter«, sagt Thobakile Khumalo. »Seit zwei Jahren wird sie jeden Monat untersucht. Sie ist 18 und Jungfrau. Heute ist unser großer Tag, sie erhält ihr Zertifikat.« Tochter Thembi lacht verlegen.

Durchgeführt wird der Tag der Preisverleihung von Amagugu ase Africa (der Mädchenschatz von Afrika). Amagugu ist eine von vielen Organisationen in der Provinz KwaZulu-Natal, die im Zeitalter von AIDS und krudem Materialismus die Rückkehr zu afrikanischen Traditionen betreiben. Die Frauenorganisation führt neben Sexualaufklärung für Jugendliche auch den Mädchentest Ukuhlolwa kwezintombi durch, in Anlehnung an einen alten Zulu-Brauch.

Zur Zeit »testet« Amagugu in 13 Gemeinden KwaZulu-Natals monatlich jeweils zwischen 100 und 500 Mädchen und Frauen. In penibel geführten Büchern trägt Jenny Sokhulu, die Leiterin der Organisation, das Resultat ihrer Inspektionen ein: ein Sternchen für Jungfräulichkeit, ein Fragezeichen für Nichtjungfräulichkeit bzw. Missbrauch. »Wir laden Jugendliche zu Aufklärungsworkshops ein, und anschließend können sich die Mädchen untersuchen lassen. Alles ist freiwillig, niemand wird gezwungen.«

Das Ende der Apartheid brachte ein Revival von Zulu-Kultur: Tanz- und Gesangwettbewerbe finden statt, Virginitäts-Zertifikate schmücken Jugendschlafzimmer wie in Deutschland Sportabzeichen oder Brad-Pitt-Poster. Manche Schulen testen mit dem Segen des Direktors die gesamte Schülerinnenschaft. Je höher der Anteil an Jungfrauen, desto besser. Auch Zulu-König King Zwelithini unterstützt die Kampagnen zur sexuellen Enthaltsamkeit. Unternehmen spendieren T-Shirts, Süßigkeiten und Fußbälle, mit denen Jugendliche zu den Workshops gelockt werden. Hauptsponsor von Amagugu ase Africa ist ein Verband schwarzer Unternehmer, der auch einen Vertreter zum Festtag nach Umnini entsandt hat. Aus dem fernen Johannesburg angereist wirkt er nun mit Seidenschlips und Designerbrille seltsam deplaziert zwischen den traditionell knapp bekleideten Mädchen.

»Ich bin stolz, Jungfrau zu sein,« sagt die 18-jährige Nokuthula Mthethwa. »Ich kann hocherhobenen Hauptes durchs Dorf laufen, man respektiert mich. Wenn ich heirate, wird mein Mann mich achten.« Ehrgeiz der Mädchen ist, bis zum Alter von 21 Jahren durchzuhalten - dann gibt es eine große Party, und, je nach Möglichkeiten des Elternhauses, Geschenke. »Ich will rein in die Ehe gehen,« pflichtet die 16-jährige Swasi Mkhize bei. »Meine ältere Schwester macht auch mit bei den Tests. Wie könnte ich mich da verweigern?«

Auf der Holzbühne im Zelt beginnt die Afrika-Torte zu schmelzen. Im Gras davor tanzen Jugendgruppen nach alter Zulu-Art, Trillerpfeifen kreischen, nackte Füße stampfen Staub empor. Die Herren auf dem Podium preisen afrikanische Moral und verdammen westliche Permissivität. Dagegen setzen sie African Renaissance - das Zauberwort der neuen schwarzen Elite. Es lässt sich für Interessen vieler Art benutzen. »African Renaissance ist eine breite Bewegung. Millionen Afrikaner mussten während der Apartheid ihre kulturelle Identität verleugnen.« Herbert Vilakazi, ein hochrangiger Lokalpolitiker, rückt seine Krawatte zurecht: »Das Ende der Apartheid brachte uns unsere Traditionen zurück. Diese Mädchen hier sind unser aller Stolz.«

Danach ruft S'bu Ndelebe, der ANC-Vorsitzende von KwaZulu-Natal, den jungen Mädchen und ihren Müttern zu: »Wenn die Jungs euch bedrängen, was sagt ihr?« Hundertfach hallt es ihm entgegen: »Wir sagen: Nein!« - »Wenn sie mit euch schlafen wollen, was sagt ihr?« - »Wir sagen: Nein!« Und die Fäuste ballen sich gen Himmel, so wie früher, als man die Apartheid bekämpfte.

Doch ist Neinsagen realistisch? Südafrika hat die höchste Vergewaltigungsrate der Welt. Die Gesellschaft ist verroht. Gewalttätigkeit, so denken viele, gehöre zur Männlichkeit dazu. »Naja, manche Jungen insistieren«, gibt Thembi, 16, zu. »Sie versuchen, dich übers Ohr zu hauen. Man muss wirklich verdammt aufpassen, und manchmal kann man sich auch nicht wehren.«

»Wir haben zwei Ziele«, erklärt Jenny Sokhulu. »Einerseits wollen wir sexuelle Enthaltsamkeit aufwerten. Unsere Zertifikate sind ein Anreiz, den ersten Geschlechtsverkehr solange wie möglich hinauszuschieben. Andererseits wollen wir Missbrauch aufdecken: 15 Prozent der Mädchen, die zu uns kommen, suchen Hilfe. Sie werden miss braucht, viele schon seit Kleinkindalter. Die Täter sind meist Familienmitglieder. Die Mütter können ihre Kinder nicht schützen, sie sind oft abhängig vom Täter. Die Polizei tut nichts. Vergewaltiger werden selten verurteilt. Wir versuchen, den Mädchen zu helfen, bringen sie zum Arzt, machen den Vergewaltiger bekannt.« Nützt das etwas? Sokhulu zuckt mit den Schultern: »Die meisten Täter werden nie belangt. Viele brüsten sich sogar mit Vergewaltigungen. So ist das Klima in diesem Land.«

Die Redner in Umnini verlieren jedoch kein Wort über aggressives männliches Sexualverhalten. Stattdessen preisen sie weibliche Tugend. Die Einseitigkeit der Appelle fällt kaum jemandem auf, obwohl für Teenagerschwangerschaften, für die Verbreitung von AIDS (32 Prozent der gebärenden Frauen in KwaZulu-Natal sind HIV-positiv) und für den allgemein beklagten Verfall der Sitten sicher nicht allein Frauen verantwortlich sind. Die Beschwörung von Ubuntu (afrikanischer Gemeinschaftssinn), das Schwelgen in der rehabilitierten traditonellen Kultur trübt den Blick auf die Strukturen der eigenen Gesellschaft.

Nur wenige empören sich wie die 25-jährige AIDS-Aktivistin Promise Mthembu: »Die Tests drücken aus, dass man Frauen nicht trauen kann. Weiß ich nicht selber, ob ich Jungfrau bin? Wozu brauche ich ein Zertifikat?« »Die Tests zerstören deine Intimsphäre, sie zerstören dein Selbstvertrauen. Sie bedeuten dir: Andere kennen deinen Körper besser als du selbst.«

Einige Organisationen, darunter auch die staatliche Gleichstellungsbehörde, haben Jungfräulichkeitszertifikate als frauenfeindlich verurteilt. Die Resultate der Tests sind nicht wissenschaftlich, Hymen (Jungfernhäutchen) können auch aus anderen Gründen als Geschlechtsverkehr reißen. Mthembu und ihre Kolleginnen lachen: »Wir kennen Fälle, in denen selbst Schwangeren ihre Jungfräulichkeit bescheinigt wurde. Nein, dieser Brauch ist ein Witz. Aber Geld lässt sich machen damit. Manche Eltern treiben das Brautgeld für ihre Tochter in die Höhe, indem sie sie zur Jungfrau erklären lassen.«

Auch im Hinblick auf AIDS-Prävention wirken die Tests schädlich. »Statt Frauen als unglaubwürdig zu stigmatisieren, sollte man ihr Selbstvertrauen und ihren gesellschaftlichen Status stärken«, meint Mthembu. »Gerade wegen ihres niedrigen Status sind Mädchen nicht in der Lage, 'nein' zu sagen oder auf Safer Sex zu bestehen. Darum tragen die Tests eher zur Verbreitung von AIDS bei, als dass sie sie verhindern!«

In Umnini neigt sich der Nachmittag dem Ende zu. Weißer Zuckerguss klebt auf dem Plastiktisch. Die afrikanische Sahnetorte hat sichtbar gelitten, doch sie ist unberührt. Denn noch immer reden die Herren und vollziehen Mädchen ihre stampfenden Zulutänze, in festen Reihen und mit fliegenden Brüsten. Und während ein Sprecher gerade gegen die verderbliche Anti-AIDS-Kampagne der Gesundheitsbehörden wettert, die Kondome in Schulen ausgibt, füllt Jenny Sokhulu noch schnell die lilafarbigen Zertifikate aus, die die Mädchen später stolz nach Hause tragen werden.

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