Hart umkämpftes Terrain

Kombi-Präparate gegen Aids In der Pharma-Branche köchelt der Konflikt zwischen Marken-Firmen und Generika-Herstellern - zu Lasten von Millionen Patienten in Asien und Afrika

Auf der 15. Welt-Aids-Konferenz in Bangkok hatten jüngst die Regierungsdelegierten aus Nord und Süd ein Schuldbekenntnis abgelegt: Es werde nach wie vor nicht genug getan, "um Menschen vor neuen Ansteckungen zu bewahren" und "allen Bedürftigen den Zugang zu den nötigen Behandlungsmaßnahmen" zu ermöglichen. Nach WHO-Angaben ist es gerade einmal gelungen, 440.000 Aids-Kranke weltweit mit den lebenserhaltenden antiretroviralen Medikamenten zu versorgen - eine Bankrotterklärung bei drei Millionen Aids-Toten allein 2003.

"Wir haben Medikamente, wir können aufklären, wir können pflegen, aber wir brauchen viel mehr Geld." Peter Piot, Direktor des UN-Aids-Programms UNAIDS, ist überzeugt: Das Wissen, wie die Epidemie bekämpft werden könne, sei vorhanden. Das zeigten die Behandlungserfolge der Staaten, in denen sich die Regierungen zu umfangreichen Aids-Programmen durchgerungen hätten.

Dennoch, die Zahlen bleiben dramatisch: In Kenia etwa, wo die Regierung seit Jahren offensive Präventions- wie auch Behandlungsprogramme aufgelegt hat, starben nach offiziellen Angaben im Jahr 2000 täglich 800 Menschen an der Pandemie - heute sind pro Tag noch 300 Opfer von Aids und dessen Begleiterkrankungen zu beklagen. Was allgemein fehlt, ist nicht allein das Geld, sondern in vielen Fällen auch der politische Wille, sich gegen die Interessen der globalen Pharma-Produzenten durchzusetzen. Mit deren Lobby geraten Regierungen besonders dann in Konflikt, wenn sie Programme zur Behandlung von Aids-Kranken finanzieren und dabei dem jeweils günstigsten Pharma-Anbieter den Vorzug geben. In der Regel sind das Generika-Hersteller aus Indien oder Südafrika, die - bis zum Jahr 2006 noch legal, weil durch eine Ausnahmeregelung legitimiert - das internationale Patentrecht umgehen und Medikamente herstellen können, die von anderen Unternehmen entwickelt wurden. Die "forschende Pharma-Industrie" mit Weltfirmen wie Merck, GlaxoSmithKline oder Boehringer Ingelheim, macht ihrerseits geltend, die Entwicklungs- und Herstellungskosten über den Verkauf ihrer Medikamente abdecken zu müssen.

Die Konkurrenz der Generika-Produzenten wie auch die von einer weltweitn Anti-Aids-Bewegung gesteigerte Verhandlungsmacht der Regierungen haben allerdings viele Global Player zwischenzeitlich zu konzilianten Preis-Angeboten veranlasst. Abkommen zwischen afrikanischen Regierungen und Pharma-Konzernen sehen vor, dass Marken-Präparate zum Teil nur fünf Prozent dessen kosten, was dafür in den Industriestaaten aufzubringen ist.

Schließlich präsentieren die Generika-Hersteller inzwischen Kombinations-Medikamente, bei denen die drei Wirkstoffe einer Aids-Therapie in einem Präparat vereint sind. Die Organisation Ärzte ohne Grenzen setzt diese Mittel bei ihren Modellprojekten bevorzugt ein, da eine solche Einnahme der Wirkstoffe die Aids-Behandlung erheblich erleichtert. Auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und der Globale Aids-Fonds unterstützen mit ihren Länderprogrammen, die auf eine kostenlose Abgabe von Aids-Medikamenten an die Patienten zielen, den Einsatz von Kombi-Präparaten.

Die mit derartigen Medikamenten ausgelöste Dynamik in der Aids-Behandlung hat die WHO ermutigt, ein ehrgeiziges Ziel anzusteuern: Bis Ende 2005 sollen drei Millionen Kranke mit antiretroviralen Arzneimitteln versorgt werden. Schon im Dezember 2003 waren Kombi-Präparate von zwei indischen Generika-Herstellern mit einem WHO-Gütesiegel ausgezeichnet worden. "Marken"-Unternehmen, die in der Regel nur einen der drei kombinierten Wirkstoffe herstellen, suchen inzwischen nach einer abgestimmten Kooperation, um analoge Präparate auf den Markt zu bringen. Merck, Bristol-Myers Squibb und Gilead - die drei europäisch-amerikanischen Multis - wollen dies auf jeden Fall tun. Andere wie Boehringer Ingelheim und GlaxoSmithKline stellen sich der Herausforderung, indem sie eine gemeinsame Verpackung für von ihnen entwickelte Aids-Medikamente auflegen.

Mit ihrer Ankündigung eines eigenen Kombi-Präparates dürften Merck, Bristol-Myers Squibb und Gilead ihrerseits darauf spekulieren, vom Milliarden schweren Anti-Aids-Programm der Regierung Bush zu profitieren. Deren Aids-Beauftragter Randall Tobias ließ zunächst durchblicken, es gäbe Vorbehalte gegen Generika, deren Qualität nicht hinreichend bewiesen sei. Noch im April galt es als ausgemacht, Generika gänzlich aus dem PEPFAR - dem President´s Emergency Plan for Aids Relief - zu eliminieren. Das sorgte international für soviel Empörung, dass in Washington postwendend erklärt wurde: Generika - und damit auch Kombi-Präparate - würden bei PEPFAR zugelassen, müssten zuvor aber ein Prüfverfahren der US-Gesundheitsbehörde durchlaufen, auch wenn sie das Gütesiegel der WHO vorweisen könnten.

PEPFAR basiert bisher weitgehend auf bilateralen Verträgen mit 15 Empfängerstaaten, das heißt, von den versprochenen 15 Milliarden Dollar ist nur eine Milliarde für den Globalen Aids-Fonds vorgesehen, der von Regierungsvertretern, NGO und Unternehmen verwaltet wird und rund um den Globus Länderprogramme zur Behandlung von HIV/Aids verantwortet. Das Programm der Regierung Bush hingegen legt besonderen Wert auf Prävention und die Paradigmen Abstinenz und eheliche Treue. Diese bigotte Philosophie hatte auf dem Internationalen Aids-Kongress in Bangkok nicht nur zu scharfen Protesten der Aktivisten geführt, sondern auch Frankreich veranlasst, im Namen der EU die US-Politik öffentlich zu rügen.

Noch ist ungewiss, wie der Machtkampf zwischen den USA und der internationalen Pharma-Lobby auf der einen und der WHO, den Generika produzierenden Ländern und der weltweiten Anti-Aids-Bewegung auf der anderen Seite ausgeht. Neben der Ankündigung Generika produzierender Staaten, mehr kooperieren zu wollen - in Bangkok haben das China, Thailand, Brasilien, Nigeria, die Ukraine und Russland signalisiert - ließ bereits Anfang 2004 eine weitere Offerte aufhorchen: Die Stiftung des früheren Präsidenten Clinton verkündete gemeinsam mit dem Globalen Aids-Fonds, dem UN-Kinderhilfswerk UNICEF sowie der Weltbank (!), dass dank eines von ihr ausgehandelten Preisnachlasses für den Aufkauf von generisch hergestellten Kombi-Präparaten aus Indien und Südafrika endlich einer flächendeckenden Therapie der Weg geebnet sei. Für nur noch 140 Dollar pro Patient und Jahr sollte demnach die Medikamenten-Kombination zu erhalten sein; bisher kosteten die Kombi-Präparate zwischen 200 und 400 Dollar pro Patient und Jahr. "Marken"-Medikamente günstigstenfalls 400 bis 600 Dollar.

Mittlerweile ist es um die 140-Dollar-Initiative verdächtig still geworden. Als erstes und bisher offenbar einziges Land, das von den verhandelten Niedrig-Preisen für die Kombi-Präparate profitieren wird, nennt der Globale Aids-Fonds das karibische Jamaika, dem ein Hilfsprogramm von 7,5 Millionen Dollar bis 2006 bewilligt wurde. Im Mai hatte sich die Koalition rings um die Clinton-Stiftung noch kämpferisch gegeben: Millionen von Aids-Kranken wolle sie erreichen und ein Zeichen setzen, dass Aids dank des Einsatzes der Kombinations-Präparate besiegbar ist. Offenbar war der Gegenwind erheblich, den die Verheißungen der Stiftung auslösten.


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