Leere Hülse

ASYLRECHT Rechtsanwalt Günter Werner über entkoppeltes Asylrecht

FREITAG: Wie unabhängig urteilen Richter in Asylverfahren? Bürger, die Flüchtlinge im Kirchenasyl unterstützen, sind oft entsetzt: Fehler aus den Anhörungsprotokollen werden nicht korrigiert, Ergänzungen als "gesteigerte" und deshalb "unglaubwürdige" Vorträge zurückgewiesen. Im November erklärte sich ein Amtsrichter in Nürnberg befangen, in der Selbstanzeige erklärte er, ihm sei von Seiten des Innenministeriums drastisch gedroht worden, falls er in der Sache des Abschiebehäftlings Fathelrahman Abdalla aus dem Sudan den Antrag auf Haftverlängerung ablehne.(*) Sind Drohungen dieser Art üblich?

Günter Werner: Eine so drastische Einflussnahme wie in Nürnberg ist sicherlich ein Ausnahmefall. Drohungen würden die Richter in ihrem Selbstverständnis als Garanten der unparteiischen Rechtsprechung empören - weshalb es hier auch zu der Selbstanzeige kam. Die Beeinflussung der Richter funktioniert viel subtiler, durch ganz eigenartige Mechanismen der ›Selbstreinigung‹.

Welche Mechanismen sind das?

Das gegenwärtige Asylrecht hat die Möglichkeit der Berufung faktisch abgeschafft. Der Gang vor das Oberverwaltungsgericht ist nur noch in seltenen Fällen - nämlich solchen mit "grundsätzlicher" Bedeutung - möglich. Ich habe nachgefragt: In Bremen ist nur bei 0,5 Prozent aller Asylentscheidungen das Recht auf Berufung eingeräumt worden. Das bedeutet, die Verwaltungsrichter haben über sich nur noch den blauen Himmel. Die Angst, der Respekt vor den Obergerichten ist weg. Dass das ungute Folgen hat, geben die Richter selbst zu, denn sie verfügen so über eine erhebliche Macht: Einzelrichter entscheiden über das Schicksal von Menschen. Und leider ist dabei festzustellen, dass sich unter ihnen eine "Scheißegal"-Stimmung breit macht.

Aber das muss doch dem richterlichen Selbstverständnis als Hüter des Rechtsstaats genauso widersprechen!

In privaten Gesprächen habe ich etliche Richter über die Situation im Asylrecht stöhnen hören. Aber nach außen würden Sie ihre Zweifel nie einräumen.

Haben die Richter aufgrund der Gesetzeslage überhaupt noch die Möglichkeit, mehr Asylanerkennungen auszusprechen, als sie das jetzt tun?

Natürlich bleibt den Richtern ein Entscheidungsspielraum - und zwar im Umgang mit dem Verfahren selbst. Es liegt in ihrer Hand, dem Flüchtling wirklich zuzuhören und seine Fluchtumstände ernst zu nehmen. Dann lassen sich auch vermeintliche Widersprüche aufklären, die sonst als "unauflöslich" zu einem ablehnenden Urteil führen würden.

Für Flüchtlingsunterstützer ergibt sich der Verdacht, dass Richter dem Druck der Politik nachgeben, wenn sie in der überwiegenden Anzahl der Fälle einen politischen Hintergrund der Flucht oder eine Rückkehrgefährdung der Flüchtlinge ausschließen. Fühlen sich Richter einer "Sachverhaltsaufklärung" nicht mehr verpflichtet?

1993 wurde die Asylrechtsprechung vom restlichen Rechtssystem und insbesondere dem Verwaltungsrecht praktisch abgekoppelt, (indem es unter anderem, wie oben erwähnt, die Möglichkeit zur Berufung drastisch beschnitt). Ich habe noch gelernt, welch eminent wichtige Rolle das Verwaltungsrecht im Rechtsstaat inne hat: Es vertritt die Interessen des Einzelnen gegenüber dem Staat. Richter sind sich dessen wohl bewusst. Ich war ganz begeistert, als ich einen Richter, der die Asylbegehren vor allem von Afrikanern immer gnadenlos abschmettert, in einer anderen Rolle sah: Da pflichtete er dem Bafög-Anspruch eines Klägers bei - als tadelloser Verfechter der Rechte des Einzelnen gegenüber dem Staat. Im Asylrecht jedoch stellt das Recht des Einzelnen nur noch eine leere Hülse dar. In einem Vortrag bei der Jahrestagung des Netzwerkes "Asyl in der Kirche" habe ich es so formuliert: die Behandlung von Asylsuchenden vor deutschen Gerichten haben mit rechtsstaatlicher Verfahrensweise nur noch wenig zu tun.

Das Gespräch führte Bettina Stange

(*) Abdalla saß 11 Monate lang in Abschiebehaft; drei Mal scheiterten die bayerischen Behörden bei dem Versuch, den Sudanesen abzuschieben. Amnesty international startete daraufhin eine "urgent action", nach der Abdalla wenigstens vorübergehend aus der Abschiebehaft entlassen wurde.

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