Deutsche Beziehungen zur Türkei:

Interview mit Memet Kilic Deutsche Beziehungen zur Türkei: Gut für Waffenhandel und Korruption

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Deutsche Beziehungen zur Türkei: Gut für Waffenhandel und Korruption

Interview mit Memet Kilic (aus: BIG 2/2017)

Ein Gespräch mit Memet Kilic zum Umbau der Türkei in ein Präsidialsystem und über die deutsch-türkischen Beziehungen. Die Fragen stellte Gitta Düperthal.

Am 16. April ist per Referendum das Präsidialsystem in der Türkei eingeführt worden. Das bedeutet den weiteren Ausbau der Macht von Recep Tayyip Erdogan. Die Oppositionsparteien CHP und HDP haben bei der zuständigen Wahlkommission vergeblich die Annullierung des Ergebnisses wegen zahlreicher Manipulationsvorwürfe beantragt und behalten sich weitere rechtliche Schritte vor. Oppositionspolitiker, von denen viele bereits in der Türkei im Gefängnis sitzen, nennen es: Errichtung einer Diktatur. Sie meinen, wenn die deutsche Bundesregierung dennoch weiterhin zu mannigfachen Menschenrechtsverstößen in der Türkei schweigt, sei dies gar nicht – wie stets behauptet – mit dem Flüchtlingsdeal begründet, sondern vielmehr mit wirtschaftlichen Interessen, mit Waffenhandel. Wie kommen Sie darauf?

Regierende in Deutschland und Europa sind in ihren Beziehungen zur Türkei offenbar in eine Schockstarre verfallen, starren auf Erdogan wie das Kaninchen auf eine Schlange. Auch die Ungewissheit, welchen Umgang der neue US-Präsident Donald Trump mit Erdogan pflegen wird, trägt wohl zusätzlich zur Verunsicherung bei. Lange hatte man sich bemüht, Erdogan nicht an Russland und China zu verlieren; ihm alles gewährt, was er haben will. So wurde ihm Wahlkampfhilfe gewährt, auch am 1. November 2015, als Erdogan nach der Wahl im Juni erneut wählen ließ, weil er die absolute Mehrheit verfehlt hatte. Trotzdem hat Erdogan mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin paktiert und über Raketenabwehrsysteme mit China verhandelt. Vor allem in Deutschland will keine der etablierten Parteien vor der Bundestagswahl im Herbst eine Auseinandersetzung mit dem Nato-Partner Türkei riskieren. Weshalb alle so tun, als sei die Türkei Madagaskar und hätte mit Deutschland wenig zu tun. Doch hier leben drei Millionen türkischstämmige Menschen mit Verwandten und Freunden in der Türkei. Diese haben Augen, Ohren und einen Fernseher. Noch vor der Bundestagswahl werden sich die Spannungen zunehmend bemerkbar machen. Türkische Spione, von Erdogan entsandt, werden sich hierzulande weiter austoben.

War all das im Jahre 2015 beim Besuch der Kanzlerin Angela Merkel, CDU, in Erdogans Prunkpalast schon Thema?

Damals hatte Erdogan erpresserisch gepokert, zwischen Putin, der Terrormiliz Islamischer Staat und der NATO laviert. Bereits 2010 hatte er eine verfassungsändernde Volksbefragung veranlasst und die Justiz zugunsten seines Machtapparates umgebaut. In Deutschland wurde er in dieser Zeit noch als Demokrat hochgejubelt; nicht zuletzt wegen der Profite aus Erdogans Waffenkäufen, die er hierzulande tätigte, um seine Polizei auszubauen. Die Erpressung, ansonsten chinesische Abwehrraketen im Südosten der Türkei zu stationieren, hat damals wohl auch gewirkt. Als er bei der Wahl im Juni 2015 die von ihm erwünschte Mehrheit nicht erhielt, weil die prokurdische HDP die Zehn-Prozent-Hürde nahm, begann er den Krieg gegen die Kurden. Merkel war danach, zwei Wochen vor der von ihm erzwungenen Wahlwiederholung, zu Gast in Istanbul, verhalf ihm so zum Image des angesehenen Staatsmanns. Dabei hatte Erdogan schon 2014 die Geheimdienstgesetze der Türkei verändert, um operative Geschäfte im Ausland tätigen zu können. Kurz danach wurden übrigens zwei Spione am Frankfurter Flughafen mittels Haftbefehl des Generalbundesanwalts festgenommen. Nach einem Treffen zwischen Erdogan und Merkel wurde dies aber beigelegt, so als hätte am Flughafen nur jemand mal falsch geparkt.

Wie ist der Stand der Korruption in der Türkei, auch in Bezug auf die Terrormiliz Islamischer Staat?

Der IS unterhält auch heute noch Rekrutierungsbüros in der Türkei. Ein Geldwäschegesetz (Gesetz-Nr. 5811), getarnt als “Vermögensfriedensgesetz” (“Varlikbarisi”), hilft ihm, seine Geldgeschäfte leichter in der Türkei zu erledigen: Erstens fragt der türkische Staat nicht nach der Quelle von Vermögen, das aus dem Ausland stammt und zweitens ist dieses mit nur zwei Prozent besteuert. Waffen-, Drogen- oder Menschenhandel – woher das Geld auch immer kommen mag: Niemand will davon wissen.

Die AKP-Regierung behauptet ja, der Internationalen Allianz gegen den Islamischen Staat anzugehören. Inwiefern ist die Türkei insgesamt mit dem IS verquickt und unterstützt dessen Kampf?

Es ist eine bekannte Tatsache, dass die türkische Regierung den IS jahrelang unterstützt hat. Als der Bürgerkrieg in Syrien noch voll im Gange war, hat die türkische Regierung die Grenzen nicht aus humanistischen Gründen geöffnet. Erdogan als damaliger Ministerpräsident und heutiger Präsident der Türkei wollte den nicht-sunnitischen Machthaber Baschar al-Assad stürzen und in Syrien einen sunnitischen Staat installieren. Er bekämpft auch Kurden, die in Nordsyrien autonome Kantone gegründet haben. Letztere wollte er konfessionell spalten, übersah aber, dass dort in Rojava eine Gesellschaft besteht, die einem Vielvölkerstaat ähnelt und die verschiedenen Religionen toleriert. Erdogan war von libyschen Verhältnissen ausgegangen, hatte geglaubt, dass der Krieg in Syrien ebenfalls innerhalb von drei Wochen vorbei wäre. Als immer mehr Flüchtlinge in die Türkei kamen, hat die AKP-Regierung alle islamistischen Radikalen in Syrien unterstützt. Dass die Türkei eine sichere Autobahn für Dschihadisten ist, ist mittlerweile weltbekannt.

Wie ist Erdogans Zick-Zack-Kurs einzuschätzen, den IS einerseits zu unterstützen, andererseits zu bekämpfen?

Einem Teil des Islamischen Staates gefällt der Eiertanz der türkischen Islamisten nicht. Die AKP-Regierung hat zeitgleich mit ihrer Unterstützung für den IS ein Energieabkommen mit Russland abgeschlossen. Und Putin gilt als Assad-Unterstützter. Sobald die türkische Regierung aber die Vereinbarung mit den USA und der EU – angeblich nur über Flüchtlinge – getroffen hatte, wechselte sie sofort wieder die Seiten. Türkisches Militär schoss damals ein russisches Flugzeug ab. Gleichzeitig trat Erdogan scheinbar der Anti-IS-Koalition bei. Geschäftstüchtige und schlaue Teile des IS aber wissen: Weder die türkische Regierung noch Saudi Arabien und Katar engagieren sich ernsthaft in dieser Koalition. Nur islamistischen Splittergruppen, die heute schon ein Kalifat in Istanbul errichten wollen, ist das Hin- und Her der AKP-Regierung und auch die Luftwaffen- und Marineunterstützung der BRD ein Dorn im Auge. Der große Teil des IS aber fühlt sich unterstützt.

Kommen wir zu Deutschland. Wie sieht es hier aus?

Aktuell werden säkulare Migranten, die sich in der Öffentlichkeit politisch engagieren, von Islamisten beschimpft und bedroht. Die deutsche Öffentlichkeit nimmt jedoch nur von rechtsradikalen Beschimpfungen Notiz. Wenn die Islamisten die osmanische Kriegsflagge als Facebook-Banner verwenden, denken viele Deutsche, das sei nur eine nette Folklore. Dem ist aber nicht so. Es ist eine Kriegerklärung an die europäischen Werte. Fragt sich: Wenn diese für die Europäer selber nicht so wichtig sind, dass sie sie tatsächlich ernst nehmen und verteidigen – wieso sollte sich der Rest der Welt dann davon inspirieren lassen?

Was ist von Europa-Politikern zu halten, die meinen, im Dialog zu bleiben zu müssen, um nicht ihren Einfluss auf die Türkei aufzugeben?

Selbstverständlich sollten die Regierungen im Dialog sein: Aber warum wird in diesem Dialog nicht die Verhaftungswelle thematisiert, der kurdische oppositionelle Politiker, Journalisten, Ärzte, Lehrer, Gewerkschafter und viele andere zum Opfer fielen? Veröffentlicht wurde dazu nichts. Weshalb ergeben sich aus solchen Gesprächen stets Vorteile für den Diktator, anstatt Maßnahmen, die ihn ausbremsen? Unterdessen operiert Erdogan hierzulande mit seinen angeblich liberalen Ditib-Vorständen, übt Meinungsmanipulation und lanciert Morddrohungen: Seit den linken Protesten im Gezi-Park des Jahres 2013 verrichtet eine von Erdogan installierte und bezahlte Armee von mit Pseudo-Identitäten effektiv getarnten Netzwerk-Robotern ihr Werk. Eine Strafverfolgung der Urheber solcher aus der Türkei gesteuerter Morddrohungen in sozialen Netzwerken gegenüber Oppositionellen in Europa und Deutschland gibt es nicht. Grund für das Wegschauen der Bundesregierung ist dabei nicht, wie immer behauptet, der Flüchtlingsdeal, sondern – wie gesagt – der Waffenhandel mit der Türkei. Kein moralisch hochstehender Beweggrund!

Welche Möglichkeiten gibt es, gegen die Abschaffung der Demokratie in der Türkei Stellung zu beziehen?

Erstens kann der Europarat seine Kooperation mit der Türkei überprüfen; ihre Möglichkeiten einschränken. Die Türkei auszuschließen, sollte hingegen keine Option sein: Derzeit läuft eine Klagewelle vorm Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, an die sich Erdogan in dem Fall nicht mehr gebunden fühlen würde. Zweitens sollten die Waffenlieferungen an die Türkei gestoppt werden. Drittens: Sein verlängerter Arm in Europa muss zu spüren bekommen, dass er hier verlieren kann. Ich kann nur warnen: Die deutsche Gesellschaft, die politischen Parteien sowie liberale Institutionen geraten zunehmend unter den Druck türkischer Nationalisten. Mittlerweile sind Parteien wie die SPD oder meine eigene, die Grünen, schon unterwandert. Die deutsche Gesellschaft muss ihre Demokratie verteidigen. Denn falls die Bedrohung der Kurden einmal nicht mehr im Vordergrund stehen sollte, könnte es durchaus sein, dass Erdogans AKP sich darauf verlegt, in der Bundesrepublik deutsche Kritiker ausspionieren zu lassen. Ein Vorgeschmack darauf, was drohen könnte, ist an Erdogans Reaktion auf das Gedicht des Satirikers Jan Böhmermann zu ermessen.

Die Politikerin Ayfer Ersöz, SPD-Unterbezirk Köln, hatte BIG geschildert, wie ihren Erkenntnissen gemäß türkische Nationalisten Parteien unterwandern: AKP-Leute treten aktuell vermehrt in eine Partei ein, versuchen dort möglichst einflussreiche Positionen zu besetzen, um dann in Deutschland Erdogans Sprachrohr zu werden. In Versammlungen verhielten sie sich derweil noch zurückhaltend, aber in Pausengesprächen fragten sie SPD-Genossen beispielsweise: „Warum sind Sie so gegen die türkische Regierung eingestellt?“ Ist Ihnen als Grünen-Politiker Ähnliches aus der eigenen Partei bekannt?

Erdogans Leute und auch die Gülen-Bewegung sind tatsächlich dabei, deutsche Parteien zu unterwandern. Ich rede von „Unterwanderung“, weil diese Leute deren Grundsätze nicht auch nur ansatzweise teilen. Sie sind aktiv, um Lobby-Arbeit für ihre islamistisch-antidemokratische Gesinnung zu leisten. Da sie außengesteuert und demzufolge emotionslos sind, halten sie sich in den Parteien besser, als andere. Besser jedenfalls als diejenigen, die dort vor ihnen warnen. Diese aber werden wahlweise als „Nestbeschmutzer“, „Verschwörer“ oder „Alarmisten“ wahrgenommen. Übrigens: Selbst wenn diese Leute sich anlässlich von Themen wie „Gezi-Proteste“ oder „Armenier Resolution“ entweder outen oder aber untertauchen: Die Parteien wollen keine ernsthaften Maßnahmen gegen sie ergreifen; „Ruhe“ wird als „Gewinn“ verstanden. Was für ein Irrtum!

Welche Strategie fährt Ihrer Kenntnis nach Erdogan militärisch und wirtschaftspolitisch gegenüber dem neuen US-Präsidenten Donald Trump?

Beide Politiker haben weder Strategien noch Ideen; sie sind in erster Linie von Tageslaune und psychischen Zuständen gesteuert. Beide sind Frauenverächter, treten die Rechte von Minderheiten, die Freiheit der Presse und der Wissenschaft mit Füßen, mögen bürgerliche Freiheiten nicht; der Klimawandel ist ihnen egal, die Demokratie betrachten sie als Übergang zur Machtergreifung. Wenn sie bei Waffen- oder Energiegeschäften wirtschaftlich voneinander profitieren können, werden sie harmonieren. Wenn nicht, droht im Nahen Osten ein neuer Brandherd in Gestalt der Türkei.

Kann man beim Referendum zur Verfassungsänderung und der angestrebten kompletten Machtaneignung von Erdogan überhaupt von einer demokratischen Wahl sprechen?

Schon vor dem Referendum hatten selbst Umfragen von Institutionen, die auf Erdogans Seite standen, seinen Sieg angezweifelt. Seitdem das Regime Oppositionskritiker verhaftet, kritische Medien dicht macht, Bürgermeister entmachtet und ins Gefängnis steckt, das Land ins Chaos gestürzt und die Kurden mit Krieg überzieht, war sowieso wohl kaum mehr zu behaupten, dass es sich um eine freie Wahl handelt. Und nun dieses knappe Ergebnis für Erdogan von 51,4 Prozent. Die Wahlbeobachter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) und des Europarates hatten beim Referendum zahlreiche Mängel attestiert. Viele demokratisch legitimierte lokale Strukturen sind längst zerschlagen; Erdogan hat einen Geheimdienststaat gegründet. Er verschiebt Gelder in die Hände seiner Getreuen und hat Aleviten und Kurden weitgehend enteignet: Diese Art von Wirtschaftspolitik betreibt er, um sein Ansinnen des Machtausbaus voranzutreiben.

Was ist dazu zu sagen, dass Deutschland die PKK als Terrororganisation listet – auch nicht verbotene sogenannte PKK-nahe Organisationen stehen im Visier des Verfassungsschutzes und der Polizei? In Frankfurt am Main etwa durften in den vergangenen Monaten Flaggen und Symbole der syrisch-kurdischen Partei der Demokratischen Union PYD und der Frauen- und Volksverteidigungseinheiten YPJ/YPG bei Demonstrationen bereits nicht mitgeführt werden. Im März hat nun auch die Bundesregierung deren Symbole auf ihre Verbotsliste gesetzt.

Oppositionellen aus der Türkei und prokurdischen Kräften bleibt doch gar nichts anderes übrig, als Widerstand zu leisten. Widerstand gegen Tyrannei ist übrigens durch die deutsche demokratische Verfassung gedeckt. Wenn Bundesinnenminister Thomas de Maizière bezüglich der deutsch-türkischen Beziehungen sagt: „Wir sollten nicht Schiedsrichter beim Thema Menschenrechte sein“, ist ihm mit Thomas Mann zu entgegnen: „Toleranz wird zum Verbrechen, wenn sie dem Bösen gilt.“ Erdogan hat in dieser Hinsicht die Prinzipienlosigkeit der EU regelrecht zur Schau gestellt.

Memet Kilic ist Rechtsanwalt in Heidelberg. Er ist Vorsitzender des Bundeszuwanderungs- und Integrationsrates (BZI), einer Dachorganisation von Integrationsräten, und Ansprechpartner für Regierungsorgane auf Bundesebene. Von 2009 bis 2013 war Kilic Bundestagsabgeordneter für Bündnis 90/Die Grünen. Er ist Mitglied der Rechtsanwaltskammern Ankara/Türkei und Karlsruhe.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

BIG Business Crime

BIG Business Crime ist eine Drei-Monats-Zeitschrift des Vereins Business Crime Control e.V. Seit Ende 2018 online unter: big.businesscrime.de

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